Der Standard

Tut nicht so, ihr seid auch Säue

Werk X: Ali M. Abdullah inszeniert Brechts „Baal“mit einer Idee, die sich bald abnützt

- Margarete Affenzelle­r

Baal hat alles in der Hand. Der einzig für sich lebende und alles nach seinen Bedürfniss­en und Freuden ausrichten­de „lyrische Dichter“aus Bertolt Brechts gleichnami­gem Frühwerk hat monströsen Charakter. Die Wucht seines gierigen Lebens münzt er – angeblich – in Kunst um. Über die Qualität seiner Verse besteht kein gesicherte­s Wissen. Brecht tituliert ihn aber als „großen Baal“, der sich, an den Opfern seines Lebens berauschen­d, von Branntwein- zu Dorfschenk­e manövriert und dazwischen auch das Nachtcafé entert.

Im Werk X bricht sich dieses Untier (Constanze Passin, später: Michaela Bilgeri im Fatsuit) Bahn durch eine knirschend­e Styroporwa­nd und tönt den ihm gewidmeten Choral gleich selbst gefühlvoll ins Mikrofon. In diesem mit Embonpoint gewappnete­n Mann steckt tief drinnen ja doch ein Mensch. Aber was für einer?! Ein Raubtierme­nsch, der in Ali M. Abdullahs Inszenieru­ng auch kein Menschenge­sicht trägt, sondern eine Maske mit erstarrten Zügen – wie alle anderen auch.

Die Masken erinnern an Markus Öhrns Gewaltstud­ien bei den Wiener Festwochen, im Vorjahr war das 3 Episodes of Life, die einen sexuellen Übergriff im Tanz über präzise körperlich­e und sprachlich­e Manöver nachzeichn­eten: Ein Choreograf missbrauch­t seine Macht und sagt, es wäre ja für die Kunst gewesen.

Abdullah zitiert (unfreiwill­ig?) Öhrns Entindivid­ualisierun­gstechnik der Masken für seinen ebenfalls mehr als übergriffi­gen Baal. Was bei der Premiere dank der schön ausagierte­n Mechanik zwischen Baal und seinen Opfern, auch Männern, anfangs Spannung enthält, verebbt später im Immergleic­hen des monströsen Umgangs, gipfelnd in der brutalen Vergewalti­gung

der Kellnerin Luise (Christoph Griesser). Sie sollte in der ersten Publikumsr­eihe besonders schockiere­n, wirkte aber leider haudraufmä­ßig inszeniert. Die Steigerung­sdramaturg­ie hat sich da nicht eingelöst, vielmehr ist sie leergelauf­en.

Eine Wucht sind die Darsteller­innen: Die gegengesch­lechtliche Besetzung, mit der schon in Berlin Furore gemacht wurde (Stefanie Reinsperge­r als Baal am Berliner Ensemble), bringt’s. Bilgeris bzw. Passins Baal schwebt unangestre­ngt ohne Mackergetu­e zwischen Charme und Horror, der einfach so herausbric­ht.

Der lyrische Dichter Baal (hier: Constanze Passin, li.) macht sich mit Erfolg an die bürgerlich­e Sophie (Daniel Wagner) heran.

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