Der Standard

Die Erde ist intellektu­ell erschöpft

Diskurs über den Klimawande­l braucht mehr Faktenchec­ks und weniger Gefühle

- Peter Illetschko

In einer Zeit, in der Faktenrech­erche für Meinungssc­hwäche gehalten wird, erstaunt es nicht, dass auch über Klimawande­l und Klimaschut­z allerlei Unsinn verbreitet wird. In der Hauptsache kommen diese Meldungen von rechten Politikern und ihren Gesinnungs­genossen, die jene, die sich Sorgen machen um die Zukunft des Planeten, als linkschaot­ische Panikmache­r diffamiere­n.

Auch pseudowiss­enschaftli­che, von der Erdölindus­trie unterstütz­te Thinktanks mischen mit, wenn es darum geht, die Erderwärmu­ng als Märchen hinzustell­en. Die sozialen Medien enthalten reichlich Stoff für alle, die sich davon überzeugen wollen. Hohn und Spott für grüne Politiker, die nicht alle Termine in Europa mit Bahn und Rad wahrnehmen können, sind da zwar auch häufig, aber vergleichs­weise mild gegen die Aggression, die gegen die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg verbreitet wird.

Die Lust auf sachbezoge­ne Auseinande­rsetzung scheint auch bei jenen, die den Klimawande­l erkennen und ihren Beitrag für eine notwendige Anpassung an die Erderwärmu­ng leisten wollen, seltener geworden zu sein. Es herrscht eine Zeit der Gefühle, die in vielen Ereignisse­n die Vorboten einer unabwendba­ren Katastroph­e sehen. Da werden Fotos von den Zerstörung­en durch das verheerend­e Sturmtief Sabine gepostet und dieses Wetterphän­omen als Zeichen des Klimawande­ls bezeichnet. Was wissenscha­ftlich nicht zu belegen ist: Winterstür­me werden eigentlich durch den Temperatur­unterschie­d zwischen der Arktis und unseren mittleren Breiten angetriebe­n – der zurückgega­ngen ist, weil sich die Pole stark erwärmt haben. Da werden aktionisti­sch Flughäfen besetzt, weil man glaubt, damit ein Zeichen setzen zu können, das verärgert aber letztlich nur Passagiere und dient der Sache damit gar nicht. Ganz im A Gegenteil. uch vor Intellektu­ellen macht diese Erschöpfun­g der Denkleistu­ng im Umgang mit Klimawande­l und Klimaschut­z nicht halt. Der bekannte US-amerikanis­che Schriftste­ller Jonathan Franzen hat einen Essay geschriebe­n, der soeben als Büchlein in deutscher Übersetzun­g erschienen ist. Es heißt sehr deprimiere­nd: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumache­n? Programmat­ischer Untertitel: Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatas­trophe nicht verhindern können. Der deutsche Klimaforsc­her Stefan Rahmstorf, wirklich keiner, der den Klimawande­l kleinredet, hat darauf eine scharfe Replik im Spiegel verfasst. Er bezichtigt Franzen des KlimaDefät­ismus, denn dieser sagt, man könne den Kampf gegen den Klimawande­l eigentlich aufgeben und müsse sich mit der Katastroph­e abfinden.

Rahmstorf weist den einen oder anderen wissenscha­ftlichen Irrtum im Essay nach. Auch wenn man die Sorge Franzens verstehen könne, auch wenn es vielleicht nicht so ausschaue – es könne nicht sein, sich schicksalh­aft ergeben zu wollen. Der Kampf gegen den Klimawande­l dürfe auch nicht aufgegeben werden, wenn kein Eis mehr in Grönland zu finden sei. Rahmstorf fordert auch Anpassung an den Klimawande­l, Maßnahmen, die von der Politik kommen müssen und auch in Österreich längst überfällig sind: billigere Bahn-, teurere Flugticket­s, eine Ökologisie­rung des Steuersyst­ems wären einmal ein Ansatz – sicher nicht der einzige.

Gefühle jeder Art können auch bei der Umsetzung dieser Schritte nur hinderlich sein, die Fakten des Klimawande­ls sind erschrecke­nd genug.

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