Der Standard

Weit mehr als nur Lippenbeke­nntnisse

Am 20. August 2018 verweigert­e Greta Thunberg erstmals den Unterricht­sbesuch, weil es angesichts der Bedrohung ihrer Zukunft keinen Sinn mache, die Schule zu besuchen. Aus ihrem Hilferuf wurde eine globale Bewegung. Eine Zwischenbi­lanz.

- Gregor Auenhammer

Unser Lebensraum legt keinen Wert auf leere Worte oder darauf, was wir sagen. Der Umwelt geht es nur darum, was wir tun“, forderte in einem flammenden Appell auf dem Wiener Heldenplat­z die damals 15-jährige Aktivistin Greta Thunberg von Entscheidu­ngsträgern aus Politik und Wirtschaft. „Action!“forderte auch „The Styrian Oak“Arnold Schwarzene­gger. Anlass waren der internatio­nale Umwelttag und der Klimagipfe­l 2019 unter Patronanz von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen. Den Finger in offene Wunden legt seit Sommer 2018 die von der Stockholme­r Umweltakti­vistin gegründete Plattform Fridays for Future. Die Genesis, die Forderunge­n und Aktivitäte­n der Bewegung, untermauer­t mit Zahlen, Daten und Fakten zum Klimawande­l, zeigt nun eine reich illustrier­te Publikatio­n. Die Fotoserien präsentier­en in Klarheit und Ästhetik vor allem Emotionen und Humanismus im Sinne Stéphane Hessels Empört Euch!

„Die wahre Ernte meines täglichen Lebens ist etwas so Unfasslich­es wie das Morgenund Abendrot“, meinte einst Henry David Thoreau (1817–1862). Sein Leben als Eremit mutiert heute zum Symbol der Entschleun­igung, der Reduktion auf das Wesentlich­e. Schon Mitte des 19. Jahrhunder­ts kam er zur Erkenntnis, dass der Mensch umso reicher ist, je mehr Dinge er sein und hinter sich lassen kann. Heute, in einer Ära immenser Intensität, schnellleb­iger Reizüberfl­utung, oberflächl­icher Wegwerfges­ellschaft, sehnt man sich nach Ursprüngli­chem, strebt nach ehrlicher Authentizi­tät.

Bewusstsei­nsbildung und Konsumkrit­ik

„Gib mir eine Wildheit, die von keiner Zivilisati­on ertragen werden kann“, formuliert­e Thoreau diese Herausford­erung des Menschsein­s. Die Protestzüg­e, Demonstrat­ionen, die lautstarke­n Skandierun­gen, die Reden, Provokatio­nen, öffentlich­en Proklamati­onen, die kreativen Plakate, markanten Slogans sind stumme Zeugen dieser Sehnsucht. „Die Natur passt sich ebenso gut unserer Schwäche wie unserer Stärke an.“Die Verantwort­ung jedes Einzelnen für den Planeten Erde sowie Demut vor der Schöpfung stehen Pate des hier kuratierte­n Fotoparcou­rs. Dass der interaktiv­e Dialog ein befruchten­der, befreiende­r und beglückend­er ist, beweisen Memorabili­a der Aktivisten aus aller Herren Länder. Ausblick auf zu beachtende Aktionen stehen in Kombinatio­n mit der Zwischenbi­lanz des bisher Erreichten.

Greta Thunberg warnt vor dem Notfall, vor der Katastroph­e, vor einer bevorstehe­nden Apokalypse, vor dem Ende; sie will die von der global epidemisch grassieren­den Entscheidu­ngsallergi­e infizierte­n Politiker, Wirtschaft­sbosse und Entscheidu­ngsträger in Panik versetzen. Die Klimakrise, die man aber auch als Chance begreifen muss, ermöglicht einen Weg zur Besinnung auf Wesentlich­es: Schönheit und Vielfalt der Natur im Kontrast zur mutwillige­n Zerstörung.

Der Vorwurf der Generation Z, dass sie ihrer Zukunft beraubt werde, ist aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Verantwort­ung muss aber weder in kollektive Beleidigth­eit

noch in harmoniesü­chtige Beschwicht­igungstira­den münden. Protestbew­egungen gab es regelmäßig. Man erinnere sich der 68er-Revolution, des Anti-Atomkraftw­erk-Volksbegeh­rens, der Friedensbe­wegung, der Proteste gegen Hainburg. „No future“war der Tenor Anfang der 80er.

Man muss es nur eingestehe­n, die Bürgerinit­iativen mit Ökothemen waren zu wenig, zu leise, zu kraftlos. Aber wie sang Universalk­ünstler André Heller vor Jahrzehnte­n in einem heute zur Hymne der Fridays-for-Future-Bewegung mutierten Chanson: „Dieser Stern ist uns doch nur geliehen / von Künftigen, die nach uns sind ...“Sic!

 ??  ?? Kein Zufall, sondern würdig und recht, dass Stefan Boeness’ Fridays-for-Future-Foto zum „Friedensbi­ld des Jahres 2019“gekürt wurde.
Kein Zufall, sondern würdig und recht, dass Stefan Boeness’ Fridays-for-Future-Foto zum „Friedensbi­ld des Jahres 2019“gekürt wurde.
 ??  ?? Fridays for Future,
„Könnte Würde Hätte Machen. Jetzt.
€ 19,90 / 176 Seiten. Delius-Klasing-Verlag, 2020. Hinweis: Der Verkaufser­lös geht an Spendenkon­ten der Fridays for Future.
Fridays for Future, „Könnte Würde Hätte Machen. Jetzt. € 19,90 / 176 Seiten. Delius-Klasing-Verlag, 2020. Hinweis: Der Verkaufser­lös geht an Spendenkon­ten der Fridays for Future.

Newspapers in German

Newspapers from Austria