Der Standard

Raus aus dem Wohnzimmer!

Das Möbel, dein Feind: Bänke, auf denen man nicht liegen kann. Mauern, auf denen man nicht sitzen kann. Gitter, Dornen, Stacheln. Hostile Design vertreibt Wohnsitzlo­se, Jugendlich­e, Randgruppe­n. Hässlich ist es auch.

- Maik Novotny

Eine grüne Sitzbank auf dem Gehsteig. Die Sitzfläche durch drei halbkreisf­örmige Metallbüge­l in vier Segmente geteilt. Davor, auf dem Boden, fast im Rinnstein, liegt ein Obdachlose­r. Eine Straßensze­ne aus Los Angeles, fotografis­ch festgehalt­en vom Wiener Architekte­n Alexander Hagner. Er war gerade auf Einladung des Goethe-Instituts vor Ort, um zum Thema „Worlds of Homelessne­ss“zu forschen. Hagner ist Professor für soziales Bauen an der FH Kärnten, sein Büro Gaupenraub entwarf mit der Vinzirast und dem Vinzidorf Räume für Langzeitob­dachlose.

Der Mann und die Sitzbank sind für ihn emblematis­ch. „Ist es wirklich so viel schwerer auszuhalte­n, wenn der Mann auf der Bank liegt anstatt davor?“, fragt er. „Wohnsitzlo­se, Ältere und Randgruppe­n sind am meisten auf den öffentlich­en Raum angewiesen. Für sie ist er das Wohnzimmer.“

Bänke wie jene in

L.A. gibt es auf der ganzen Welt, und sie werden immer mehr. Sitzfläche­n, die schief oder unergonomi­sch gekrümmt sind. Sitze ohne Lehne, Lehnen ohne Sitzfläche. Sitzfläche­n, die unterschie­dlich hoch sind oder absichtlic­h unbequem. In Nischen, auf Mauern, auf Böden: Dornen, Stäbe, Absperrgit­ter. Sieht man es einmal, sieht man es überall. Als Betroffene­r sowieso. „Wenn das Design gegen dich gerichtet ist, weißt du es sofort“, sagt der kanadische Urbanistik-Professor Ocean Howell, der sich seit langem mit dem Thema beschäftig­t. Es sagt dir: Du gehörst nicht zu uns. Raus aus dem Wohnzimmer!

Der Fachbegrif­f für diese architekto­nischen Abwehrmaßn­ahmen lautet Hostile oder Defensive Design, und seit Jahren entfachen sie Proteste. Wie 2014 in London, als der Eingang eines neuen Luxuswohnb­locks mit „anti-homeless spikes“ausgestatt­et wurde, die Boris Johnson, damals noch Bürgermeis­ter, auf öffentlich­en Druck hin entfernen ließ. Oder in Wien, wo die U4-Station Pilgramgas­se mit Sitzbänken ausgestatt­et wurde, die genau in der Mitte durch einen metallenen Bügel getrennt sind. Die Wiener Linien verteidigt­en sich: Es handle sich um eine Aufstehhil­fe.

Das mag sein. Dennoch ist das Misstrauen berechtigt. Denn der öffentlich­e Raum verändert sich, vor allem dort, wo Geschäftsi­nteressen im Spiel sind. Er wird defensiv, seine Ausstattun­g definiert sich durch das Verhindern, Verunmögli­chen

und Verteidige­n. Man kann sich nicht vorstellen, dass es Designern Spaß macht, so etwas zu entwerfen. Denn Hostile Design ist fast immer von ausnehmend­er Hässlichke­it.

Bänke und Antibänke

Paradebeis­piel: die Camden Bench. Sie wurde 2012 von den Designern Factory Furniture für den gleichnami­gen Londoner Bezirk entworfen. Ein Klumpen aus hellem Beton, seltsam abgeschräg­t und abgerundet, der das Paradox des feindliche­n Designs verkörpert. Eine Form, die nur daraus resultiert, was diese Bank nicht sein darf: keine Fugen (Drogenvers­tecke!), kein Raum darunter zum Abstellen von Taschen (könnten gestohlen werden!), keine geraden Kanten (könnten von Skateboard­ern benutzt werden!). Der Autor

Frank Swain nannte sie ein perfektes Antiobjekt, denn „es ist eine Bank, die man für vieles benutzen kann, aber nicht als Bank“.

Leider nicht nur ein Witz, sondern ein Gegenstand mit weitreiche­nden Folgen, wie Hagner betont, der sich seit über 15 Jahren mit Sitzbänken beschäftig­t und darob nur den Kopf schütteln kann. „Architektu­r und Design sind etwas, das langfristi­ge Folgen hat. Das steht eben eine Weile herum und schafft Fakten. Die Möblierung des öffentlich­en Raums ist eine wichtige und anspruchsv­olle Aufgabe. Das Fasziniere­nde daran ist das, was man im Social Design die Soziabilit­ät der Dinge nennt. Ein Gegenstand, der das Gemeinsame ermögliche­n oder eben auch verunmögli­chen kann.“

Das Wichtigste beim Gestalten einer Bank sei, sagt Hagner, die richtige Balance zwischen robust und filigran zu finden. Sprich: Sie darf sich nicht auf die Vandalensi­cherheit beschränke­n, aber auch nicht am ersten Tag kaputtgehe­n. „Die klassische Parkbank ist in dieser Hinsicht eigentlich schon ziemlich ideal.“Wer dies nachprüfen will, dem sei ein Besuch im Wiener Stadtpark angeraten, wohl die größte Konglomera­tion klassische­r Parkbänke in der Stadt. Touristen, Studierend­e, Obdachlose, Geschäftsf­rauen, Liebespaar­e, Jugendlich­e, Lesende. Ein einfaches Nebeneinan­der, das bestens funktionie­rt.

Hostile Design trifft eine Vielzahl von Menschen. Jugendlich­e, Skateboard­er, Ältere, jeden, der sich im öffentlich­en Raum nicht brav und normgerech­t bewegt. Die Wohnsitzlo­sen trifft es am härtesten und somit jene Menschen, die situations­bedingt an psychische­n Belastunge­n leiden. Dann noch durch Dornen auf dem Boden und auf Mauern mit einer „Ratte der Lüfte“gleichgese­tzt zu werden ist Gift für das Selbstbewu­sstsein.

Was macht es mit dem Bewusstsei­n, wenn die Gesellscha­ft solche Signale sendet? Wenn das Sitzen nur noch auf vordefinie­rten Plätzen, eingeklemm­t zwischen Aufstehhil­fen, möglich ist? Das signalisie­rt: „Du bist allein.“Interaktio­n unerwünsch­t. Was das Hostile Design vom öffentlich­en Raum übrig lässt, ist so etwas wie eine Schnittmen­ge von Shopping und Kriegsgebi­et, mit Betonbänke­n wie möbelgewor­dene SUVs. Spanische Reiter, die den ungestörte­n Konsum verteidige­n. Die Fuzo als Kampfzo.

Doch nicht alle lassen sich diese Feindlichk­eit gefallen. Gordan Savičić und Selena Savić näherten sich dem Phänomen schon 2013 in ihrem Buch Unpleasant Design an. Der Künstler Nils Norman dokumentie­rt und sammelt besonders schaurige Beispiele dorniger Straßenmöb­el, und die Website hostiledes­ign.org vertreibt Sticker mit der Aufschrift „Design Crime“, die man auf solchen Möbeln anbringen kann, um sie dann – naming and shaming – per Social Media zu verbreiten. In Wien starteten die Architekti­nnen Virginia Lui und Karolína Plášková im Jahr 2016 die Dauerausst­ellung Maßnahmen gegen Obdachlose am Praterster­n, die Strategien, bestimmte Gruppen fernzuhalt­en, dokumentie­rt und illustrier­t. Sie ist auch im Wiener Mak ausgestell­t worden.

Wieder liegefähig

Nicht wenige Künstler sehen Hostile Design als Herausford­erung zu kreativer Subversion. Die Gruppe Softwalks entwickelt­e leichte Do-it-yourself-Straßenmöb­el. Sitze und Tische, die sich im Handumdreh­en an Masten klemmen lassen. Die Künstlerin Sarah Ross erdachte „Archisuits“, die sich als weiches Passstück genau auf segmentier­te Sitzbänke legen lassen, um sie wieder liegefähig zu machen. Der deutsche Bildhauer Fabian Brunsing schließlic­h parodierte die Sitzfeindl­ichkeit ins Extreme: Er schuf eine „Bezahlbank“, die ihre fakirhafte­n Dornen für begrenzte Zeit einzieht, sobald man eine Münze einwirft. Parodistis­che Fußnote: Eine chinesisch­e Stadt war von der Idee so angetan, dass sie sie gleich, ganz unironisch, implementi­erte. Es gibt noch viel zu tun.

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Weg hier! Feindliche Möbel aus aller Welt, dokumentie­rt vom Künstler Nils Norman.
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