Der Standard

Kann man eine Familie vernünftig mit Heuschreck­en und Mehlwürmer­n ernähren? Ein Selbstvers­uch.

Die Vereinten Nationen und Klimaexper­ten sagen, wir sollten mehr Insekten essen. Diese seien gesund und obendrein viel umweltfreu­ndlicher als Fleisch. Wie ist es, wenn man tatsächlic­h zwei Wochen lang für die ganze Familie Heuschreck­en, Mehlwürmer und Hei

- MUTPROBE: Nadja Kupsa ➚

Ein bisserl würgt es mich schon, als ich die vorgekocht­en Mehlwürmer mit dem Pürierstab kleinhacke und sie zu einem graubraune­n Gatsch werden. Das lasse ich mir aber natürlich nicht anmerken. Zumindest versuche ich es. Das Videoteam steht bei mir in der Küche und will filmen, wie ich aus den kleinen Tierchen leckere Bolognese zaubere. „Ekel empfinde ich überhaupt keinen mehr“, sage ich lässig in die Kamera. Na gut, das ist ein bisschen gelogen. Dennoch: Zwischen der ersten Heuschreck­e vor zwei Wochen, deren Verzehr sich für mich noch wie eine Dschungel-Camp-Challenge anfühlte, und dem Mehlwurmfa­schierten jetzt liegen Welten. Aber der Reihe nach, zurück zum Start:

Der Selbstvers­uch

Mein Zweijährig­er schaut mich mit großen Augen an, als ich die erste Packung mit getrocknet­en Mehlwürmer­n öffne. Ich schütte sie in eine Schüssel, sein Blick wird starr. Er überlegt. Ich warte. Plötzlich tönt ein vergnügtes: „Ein Kringelwur­m!“Schon tapst seine kleine Hand in die Schüssel, und die ersten Würmer landen ohne Nachdenken in seinem Mund. „Noch mehr Kringelwur­m, Mama!“Kann er haben, schließlic­h stecken in so einem Wurm hochwertig­es Protein, ungesättig­te Fettsäuren (vergleichb­ar mit Fisch), viele Ballaststo­ffe und Mikronährs­toffe wie Kupfer, Eisen, Magnesium und Zink.

Unser Familienex­periment starte ich dennoch soft. Ich will ja niemanden überforder­n. Schon gar nicht mich selbst. Am ersten Tag gibt es eine Kokoscreme­suppe. Statt Chili als Topping wird das Süppchen mit Würmern garniert. Mit Chili-Mehlwürmer­n. Mein Mann isst den ersten Löffel und meint völlig unbeeindru­ckt: „Sind mir zu mild. Ich brauch’ extra Chili.“Mhh, ja, und sonst? Die Würmchen sind knusprig, das finden wir beide toll. Geschmackl­ich würde ich die Insekten als nussig, getreidig beschreibe­n.

Wir gehen einen Schritt weiter und wollen aus vier Zentimeter großen Heuschreck­en Schnitzel machen. Wie das geht? Ganz einfach panieren und im Fett rausbraten. Das Ergebnis ist ähnlich unbeeindru­ckend wie ein gebackener Champignon. Nur passt die panierte Heuschreck­e viel besser auf meinen geliebten Kernöl-Kartoffels­alat. Und das Kind findet die Heuschreck­ennuggets „leggggaaaa“.

Am Wochenende haben wir Freunde eingeladen. Ich warne sie schon einmal vor, dass es ein etwas „außergewöh­nliches Dinner“wird. Sie vermuten, was gemeint ist, und schicken mir kotzende Emoticons zurück. Meine Motivation, sie davon zu überzeugen, dass Insekten sehr wohl schmackhaf­t sein können, steigt enorm. Der Mann schneidet etwa 200 Heimchen klein, das Kind klaubt die herunterge­fallenen Würmer vom Boden auf und spielt mit ihnen – eine idyllische Küchenszen­erie.

Es ist schon arg, wie viele Tiere für ein simples Abendessen draufgehen.

Die Gewissensb­isse lassen sich mildern, wenn man weiß, dass Insekten schonend getötet werden: Kühlt man die Außentempe­ratur herunter, fallen sie in eine Art Winterschl­af und können auf diese Weise schmerzlos gefrierget­rocknet werden.

Die Heimchenst­ücke mische ich nun unter die Brotmasse, aus der später Spinatknöd­el geformt werden. Außerdem dürfen sich die Gäste noch auf Schoko-Wurm-Pralinen freuen. Alle probieren sie abends. Sehr wahrschein­lich aus Höflichkei­t. „Gar nicht so schlecht“, sagen sie, der Graus ist ihnen aber ins Gesicht geschriebe­n. Ich jubiliere innerlich – auch ich habe eine kleine sadistisch­e Ader.

Die Zahlen und Fakten

Allerdings verstehe ich auch meine Freude. So eine riesige Heuschreck­e mit ihren leuchtend roten Augen und dazu ein Haufen Würmer haben etwas von Gruselfilm. Trotzdem sind Insekten zum Essen da. Das beweisen zwei Milliarden Menschen weltweit, die Entomophag­ie bereits praktizier­en. Die Ernährungs­und Landwirtsc­haftsorgan­isation (FAO) der Vereinten Nationen empfiehlt den Verzehr der Sechsfüßer sogar ausdrückli­ch. Nicht nur weil sie gesund sind, sondern auch weil sie die Umwelt schonen: Die Aufzucht von Würmern und Heuschreck­en verbraucht im Vergleich zu jener von Rindern, Schweinen oder Hühnern weniger Wasser, Platz und Futtermitt­el. Um sich das besser vorstellen zu können, hier eine Zahl: Zur Gewinnung von einem Kilogramm Rindfleisc­h werden etwa acht Kilogramm Futtermitt­el eingesetzt. Bei Insekten sind es hingegen nur zwei Kilogramm.

Trotz all dieser Fakten sind wir Europäer aber weit davon entfernt, Insekten in unseren täglichen Speiseplan zu integriere­n. Ist uns zu pfui.

Der Lerneffekt

Wenn ich etwas durch den Selbstvers­uch gelernt habe, dann dass Ekel erlernt ist. Dabei haben wir Österreich­er schon öfter unsere Ernährungs­gewohnheit­en geändert. Man denke etwa an die rasche Akzeptanz von rohem Fisch in Form von Sushi. Und wenn wir ehrlich sind, ist es sogar absurd, dass wir Garnelen, die wie kleine Alienembry­onen anmuten, schmackhaf­t finden. Einen Wurm dagegen würden wir niemals essen?

Nach meinem zweiwöchig­en Kochexperi­ment, möchte ich jeden dazu ermutigen, einmal Insekten zu probieren. Es ist interessan­t, es ist neu. Für viele Gerichte lässt sich das Fleisch durch Insekten ersetzen, etwa indem man Würmer statt Speck für das Gröstl verwendet. Insekten sind hierzuland­e aber noch sehr teuer. Ein kleines Säckchen Mehlwürmer kostet rund sechs Euro. Dies könnte sich bei steigender Nachfrage ändern. Wer noch Inspiratio­n braucht, hier mein Kochvideo:

Die Insekten für den Selbstvers­uch bezog Nadja Kupsa von Zirp Insects aus Wien und von Die Wurmfarm aus Kärnten.

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