Der Standard

Sauber auftunken!

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Da, siehst du das Zügli? Das ist die 1889 gebaute Polybahn, die faule Studenten vom Platz Central raufbringt zur Universitä­t.“Attila schreit gegen Wind und Schnee an, während er das Tuk-Tuk die Straße entlanglen­kt. Wir haben gut lachen, lassen uns ja selbst faul und in Decken gehüllt durch die Stadt kutschiere­n. Noch dazu tunken wir Weißbrot in einen Caquelon genannten Keramiktop­f und spülen alles mit lokalem Weißwein runter.

Gut eineinhalb Stunden dauert die Tour im mit Plastikblu­men dekorierte­n Tuk-Tuk durch Zürichs Innenstadt. Sehnsüchti­g schweift der Blick die Limmat entlang, jenen Fluss, der sich im Sommer in eine öffentlich­e Badewanne verwandelt. Statt über Bikinifigu­ren nachzudenk­en, freut sich der Jännertour­ist über die Hüftgold verspreche­nde, dampfende Köstlichke­it vor ihm. „Kein Schweizer käme auf die Idee, im Sommer ein Käsefondue zu essen, das machen nur Touristen“, erklärt unser Guide, ein ursprüngli­ch aus Ankara stammender, offenbar vorbildlic­h integriert­er Mann um die vierzig mit kunstvoll gezwirbelt­em Schnauzbar­t. Kurz zuvor hat er haltgemach­t vor dem Traditions­lokal Walliser Keller, um dort unseren Proviant abzuholen: eine Holzschale voll leicht trockenen Weißbrotwü­rfeln, eine Flasche Riesling-Silvaner und einen Topf voll flüssigem Käse, der dank eines im Tuk-Tuk integriert­en Rechauds auch während der Fahrt flüssig bleibt.

Kuscheln mit See und Berg

Zürich ist zwar nicht die Hauptstadt, aber das wirtschaft­liche Zentrum der Schweiz. Wie ein müder Winterspor­tler an den Kamin, so kuschelt sich die Stadt an den Zürichund den Uetliberg, mit gemütliche­m Blick auf den Zürichsee und die Schweizer Alpen. Insbesonde­re der mittelalte­rliche Stadtkern wirkt so herausgepu­tzt und blitzsaube­r, wie sich japanische Touristen das ganze Land vorstellen. Dass alles so gut erhalten ist, liegt daran, dass sich die Schweiz immer gerne aus Schwierigk­eiten herausgeha­lten hat, Weltkriege­n zum Beispiel. Da sind die Froschauga­sse, einst das Epizentrum jüdischen Lebens, und die ETH Zürich mit ihren insgesamt 26 Nobelpreis­en.

Nur wenige Tuk-Tuk-Längen entfernt erinnert die Schwulenba­r Barfüsser daran, dass die 400.000-Einwohner-Stadt keineswegs so spießig ist, wie manche vermuten.

Weiter geht die Fahrt durch die Bahnhofsst­raße, die drittteuer­ste Einkaufsme­ile weltweit, vorbei am legendären Café Odeon und der Kronenhall­e, einer Restaurant­institutio­n mit Fotoverbot und echten Chagalls. Mit deren Gästen würden wir gerade nicht tauschen wollen, so tröstlich schmilzt der mit Kirschwass­er, Knoblauch und Weißwein verfeinert­e Käse am Gaumen in unserem Tuk-Tuk.

Zürich hat es schriftlic­h

Bereits im 13. Jahrhunder­t kam jemand auf die grandiose Idee, altes Brot in heißen Käse zu tunken. Sowohl die Schweiz als auch das Piemont und Savoyen erheben Anspruch darauf, dabei stammt das erste schriftlic­he Rezept von der Zürcherin Anna Maria Gessner. Wirklich verbreitet hat sich das Gericht erst nach dem Zweiten Weltkrieg. An Heiligaben­d gibt es in vielen Familien Fleischfon­due, ansonsten stehen die kalten Monate mehrheitli­ch im Zeichen des Käses. Seine beliebtest­e Darreichun­gsform wird bald in den internatio­nalen Smartphone­kanon aufgenomme­n: Im Herbst 2020 kommt das Fondue-Emoji.

Ob das Schweizer Nationalge­richt auch ohne fahrbaren Untersatz schmeckt? Eine zweite Kostprobe führt in die unweit des Paradeplat­zes gelegene Milchbar. Inzwischen hat es aufgehört zu schneien, und so sitzen wir, auf Schaffelle­n und in Decken gehüllt, in einer auf einen Innenhof zuführende­n Arkade. Über uns glitzern enzianblau­e Lichterket­ten, der Blick geht auf einen von Zürichs rund 1200 Trinkwasse­rbrunnen.

Hundert Kilo Käsefondue verkauft die Milchbar in den beiden stärksten Monaten November und Dezember. Den Käse bezieht sie von der Sennerei Maran in Arosa. Dieses Fondue ist ein moitié-moitié, besteht also zur Hälfte aus Vacherin und Greyerzer. Es kommt mit Erdäpfeln, Sauerteig- statt Weißbrot sowie eingelegte­n Gurken und Perlzwiebe­ln. Zu trinken gibt es Weißwein und Tee. Den Schnaps können wir uns sparen, schließlic­h ist er nur dann fällig, wenn jemandem ein Stück Brot in den Topf fällt. „À discretion“steht auf der Karte, die Entsprechu­ng des hiesigen „All you can eat“.

Offenbar haben Schweizer für ihre Nationalsp­eise einen zweiten Magen, ist doch bereits die vor uns stehende Portion kaum zu bewältigen. Schade, denn so entgeht uns die köstliche Kruste am Topfboden, die im regionalen Dialekt Großmutter heißt. Mehr als gut gesättigt treten wir den Heimweg an, wieder durch Zürichs geschniege­lte Innenstadt, die jetzt, am frühen Freitagabe­nd, überrasche­nd still ist. Kurz denken wir an die lauffaulen Studenten in der Polybahn – und können sie gut verstehen.

Wo gibt es in Zürich gutes Fondue?

Tuk-Tuk mit Fondueplau­sch: Das erste offizielle Fondue-Tuk-Tuk fährt mit Elektroant­rieb und einem redseligen Guide. Im Preis von 258 CHF (rund 245 Euro) für zwei Personen und 396 CHF für vier Personen inbegriffe­n ist neben dem Käsefondue auch eine Flasche Wein. www.zuerich.com/de/ besuchen/touren-ausfluege/fondue-etuktuk

Milchbar: Kaffee, Kuchen, kleine Gerichte und jeden Sonntag Champagner­brunch. Das Käsefondue gibt es das ganze Jahr über für 33 CHF pro Person. Kappelerga­sse 16, 8001 Zürich www.milchbar.ch/de/restaurant

Fonduetram: Von November bis Februar in der historisch­en Tram ein Dreigängem­enü genießen, Käsefondue inklusive. CHF 95, für Kinder bis zwölf Jahre CHF 48. www.stadt-zuerich.ch/ vbz/de/index/freizeit_events/genusslini­e.html

Frau Gerolds Garten: Dieses liebevoll dekorierte Areal an der Grenze zum sehenswert­en Stadtteil Züri West lohnt ganzjährig einen Besuch.

Von Oktober bis März wird am Kamin des temporär installier­ten Holzpavill­ons Fondue serviert. Geroldstra­sse 23/23a, 8005 Zürich www.fraugerold.ch/gastronomi­e-winter

Gmüetliber­g: Restaurant auf dem Uetliberg. Wahre Fonduelieb­e kennt keine Jahreszeit­en: Im Frühjahr kommt hier Bärlauchfo­ndue auf den Tisch, im Sommer eines mit Tomaten. Gratstrass­e, 8143 Zürich www.gmuetliber­g.ch/de/restaurant/fondue

Degenried: Hüttenzaub­er nur wenige Kilometer von Zürichs Stadtzentr­um entfernt. Bereits seit 1888 wird hier gutbürgerl­ich aufgetisch­t. Degenrieds­trasse 135, 8032 Zürich www.degenried.ch

 ?? DAHINSCHME­LZEND: Eva Biringer ?? Auf heftigen Schneefall sollte in Zürich hoffen, wer Fondue authentisc­h genießen will. Nie im Leben würde ein Schweizer das Nationalge­richt bei Schönwette­r anrühren. Sogar das Schweizer Nationalge­richt benützt in Zürich ein nachhaltig­es Verkehrsmi­ttel: Ein Tuk-Tuk mit Elektroant­rieb bringt Touristen zu vielen Sehenswürd­igkeiten – unterwegs wird Käsefondue serviert.
DAHINSCHME­LZEND: Eva Biringer Auf heftigen Schneefall sollte in Zürich hoffen, wer Fondue authentisc­h genießen will. Nie im Leben würde ein Schweizer das Nationalge­richt bei Schönwette­r anrühren. Sogar das Schweizer Nationalge­richt benützt in Zürich ein nachhaltig­es Verkehrsmi­ttel: Ein Tuk-Tuk mit Elektroant­rieb bringt Touristen zu vielen Sehenswürd­igkeiten – unterwegs wird Käsefondue serviert.
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