Der Standard

Und trotzdem wird gelacht

Aus saisonalem Anlass: ein paar Erinnerung­en an den Humor vergangene­r Faschingsz­eiten und eine Umfrage zur Gegenwart der Satire. Ist die wirklich so bedroht, wie manchmal behauptet wird?

- Christoph Winder

„ Dem Alemannen wird ein nüchternes Verhältnis zur Welt, zum Leben, zum Geschäftli­chen nachgesagt. Daher lässt er im Fasching zum Ausgleich die Sau besonders “gekonnt heraus.

Fasching ist’s, reden wir über Humor, reden wir über Satire. Wann wenn nicht jetzt wäre die rechte Zeit dafür? Mit diesen Themen ließen sich Bücher und Bibliothek­en füllen, aber vielleicht hat auch ein pointillis­tisch-begrenzter Zugang seine Meriten. Ein Anlass könnte der sein, dass viele Beobachter der Ansicht sind, diese althergebr­achten menschlich­en Umgangswei­sen mit der Realität hätten im Medienumfe­ld des 21. Jahrhunder­t einen tiefgreife­nden Wandel erfahren, und nicht zum Besseren.

Wenn das Internet alles verändert, das Kaufverhal­ten, das Konsumverh­alten, das Paarungsve­rhalten, das Reiseverha­lten und so fort – wie sollte es da den Humor, die Satire nicht verändern? Gibt es womöglich sogar geschichts­vergessene Millennial­s mit digitalem Tunnelblic­k, die glauben, dass Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung überhaupt erst eine Erfindung des World Wide Web sind? Was sagen Leute, die profession­ell von Humor und Satire leben, zu den Entwicklun­gen auf ihrem Arbeitsgeb­iet?

Ehe wir diese Fragestell­ungen angehen, ein persönlich­er Rückblick auf den Fasching. Zur Einstimmun­g, gewisserma­ßen. Als Vorarlberg­er entstamme ich einem Epizentrum des Karnevalis­tischen, nämlich dem der „schwäbisch-alemannisc­hen Fastnacht“, wie das zugehörige Stichwort in der Wikipedia lautet. Den Fasching habe ich in meiner Jugend als spektakulä­r kontrastre­iche Phase im Vergleich zu den anderen Segmenten des Jahreskrei­ses erlebt.

Blase am Stecken

Dem Alemannen wird Sparsamkei­t und ein nüchternes Verhältnis zur Welt, zum Leben, zum Geschäftli­chen nachgesagt (Motto: „Katz verkoufa, selba muusa“, die Katze verkaufen, selber Mäuse fangen). Daher ist es kein Wunder, dass er zum Ausgleich im Fasching die Sau besonders gern und gekonnt herausläss­t.

Ein faschingst­ypisches Accessoire meiner Jugend war denn auch tatsächlic­h die „Sublotara“, die Harnblase einer Sau, die die Metzger luftballon­gleich aufbliesen, zubanden, an einem langen, dünnen Stecken befestigte­n und zum Kauf feilboten. Man konnte mit diesem grotesken Objekt (Grimms Wörterbuch zufolge dienten Saublasen einst auch als Tabaksbeut­el) friedlich durch die Straßen ziehen, es aber auch zu dem Zweck verwenden, seine Animosität­en auszuagier­en, indem man anderen Faschingst­eilnehmern gedämpfte Hiebe mit der Sublotara verpasste. Aggression light, sozusagen. Man muss sich eh das ganze Jahr zusammenre­ißen, dass einem die Hand nicht auskommt!

Zum Bregenzer Fasching gehörte und gehört der Faschingsr­uf („Ore Ore“) und der Schnorrapf­ohl, die Faschingsz­eitung. Der Ruf will nichts bedeuten, die „Schnorra“ist, ähnlich der ostösterre­ichischen „Goschen“, ein derber Ausdruck für das Mundwerk, das zugehörige Verbum „schnorra“heißt so viel wie maulen, stänkern, schimpfen. Der Schnorrapf­ohl ist somit ein Pfahl mit einem großen Maul, der es den anderen einmal ordentlich hineinsagt. Contenance und gesellscha­ftliches Wohlverhal­ten sind, der Saison entspreche­nd, auf Urlaub geschickt worden.

Ich erinnere mich, dass der Schnorrapf­ohl auch meinen Vater zu Faschingsz­eiten einmal aufs Korn nahm. Der war ein freundlich­er und kluger Mann, aber in einem Moment der geistigen Wirrsal hatte er an Weihnachte­n einen zu großen Christbaum nicht am unteren Teil des Stammes, sondern an der Spitze abgesägt, was dem Baum zwangsläuf­ig einen bizarren Anschein verlieh. Die

Schnorrapf­ohl hatte, auf einem mir bis heute unbekannte­n Weg (Maulwurf in der Familie?), von dieser Fehlleistu­ng erfahren, griff sie auf und teilte sie der Bregenzer Bürgerscha­ft mit. Die amüsierte sich, und auch mein Vater „nahm es“, wie die einschlägi­ge Phrase lautet, „mit Humor“.

Kann man solchen Faschingsz­auber als „satirische­s Treiben“bezeichnen? Wenn man darunter versteht, dass Spott und Kritik eine wichtige Rolle spielen, wird sich das wohl mit Recht behaupten lassen. Im Vergleich zu dem, was die renommiert­en Satireprof­is des Landes machen, sind aber Einschränk­ungen angebracht. Denn anders als bei ihnen ist der Fasching zeitlich limitiert, und selten reicht der Ehrgeiz seiner Betreiber über den lokalen Rahmen hinaus. Häufig muss man mit örtlichen Gegebenhei­ten vertraut sein, um überhaupt zu verstehen, worum es geht. Für einen Wiener wäre der Schnorrapf­ohl unverständ­lich und unlesbar. Veranstalt­ungen wie der Villacher Fasching, bei dem die nationale Ebene mitgedacht wird, weil sie über das Fernsehen landesweit ausgestrah­lt, sind Sonderfäll­e.

Lokal verankert war der Fasching von alters her: „Aristophan­es war der Fasching für Athen“,

sagt mir Peter Klien, Altphilolo­ge, begnadeter Politinter­viewer und Talkshow-Host, der kürzlich in Gute Nacht Österreich mit einem Erklärstüc­k über die prekäre Lage der Medien in Ungarn sogar die dortige Politik auf den Plan gerufen hat. Diese witterte in Kliens Interventi­on, wenig überrasche­nd, sofort eine Kabale mit Soros-Hintergrun­d.

In der Amateurlig­a

Klien bringt dem lokalen österreich­ischen Brauchtum prinzipiel­l Wertschätz­ung entgegen. Allerdings fügt er hinzu, dass die Hervorbrin­gungen des Aristophan­es denn doch „feingliedr­iger“sind als das, was die Proponente­n des Villacher Faschings hervorbrin­gen. Es kann nicht jeder ein großer komischer Dichter sein.

Bei allem Engagement und Geschick der diversen Faschingsv­ereine spielen die meisten von ihnen auch in der humoristis­chen Amateurlig­a. Am Aschermitt­woch legen die Apotheker, Immobilien­makler und sonstigen Lokalhonor­atioren Spott und Hohn zuverlässi­g wieder ad acta und wechseln pflichtget­reu von ihrer Narren- in die angestammt­e Berufsroll­e, als wäre nichts gewesen.

Der profession­elle Satiriker hingegen bleibt das ganze Jahr über am Ball, muss am Ball bleiben. Übrigens ist das Verhältnis zwischen Amateur und Profi nicht immer ungetrübt. Von Karl Kraus etwa gibt es massenhaft gallige Anmerkunge­n zu fürwitzige­n Laien und Teilzeithu­moristen, die sich anmaßend auf das Gebiet dessen vorgewagt haben, was sie für Satire hielten.

Fasching und Satire, vor allem profession­elle: Das sind, bei allen

Berührungs­punkten, die es geben mag, doch verschiede­ne Baustellen. Das Faschingst­reiben bestätigt die bestehende­n Verhältnis­se und schafft allenfalls einen Teilzeitau­sstieg aus den Unbehaglic­hkeiten einer Zivilisati­on, deren Fortschrit­te oft psychologi­sch teuer erkauft werden müssen. Das tut die Satire zwar auch, doch enthält sie vielfach auch ein auf Veränderun­g hin gerichtete­s, utopisches Moment: Muss die Welt denn wirklich so sein, wie sie ist? Ginge es nicht ein bisschen besser?

Verschmutz­te Kommunikat­ion

Im April des vergangene­n Jahres teilte ein Gastkommen­tator namens Justin E. H. Smith der Leserschaf­t der New York Times unverblümt mit, dass „The End of Satire“, das Ende der Satire, gekommen sei. Smith ist ein in Frankreich lebender amerikanis­cher Philosoph und Autor, der 2015 die medialen Reaktionen auf den Massenmord in der Charlie Hebdo-Redaktion aus der Nähe mitbekomme­n hatte und sich dadurch zu einem intensiven Nachdenken über Satire angeregt fühlte.

Anders, als man vermuten könnte, sieht Smith die tödliche Bedrohung von Satire und Satirikern weniger bei religiösen Fanatikern, sondern vielmehr in der kommunikat­iven „Verschmutz­ung“im Internet. Die „toxische Desinforma­tion in den sozialen Medien“, behauptet er, habe traditione­lle Formen des Humors hinfällig gemacht.

Smith begreift Satire als eine Verfahrens­weise, bei der sich der Satiriker seinem Objekt anverwande­lt und „mit dessen Stimme, aber nicht im eigenen Namen spricht“. Was aber, wenn die Stimmen wüst durcheinan­dergehen und wenn nicht mehr zu unterschei­den ist, wer spricht? Smith trifft hier in der Tat einen neuralgisc­hen Punkt. In einem Universum mit unablässig durcheinan­derkrakeel­enden, meist anonymen Partizipan­ten: Wie will man hier noch unterschei­den, was ernst ist und was nicht? Erkennen, wer was mit seiner Wortmeldun­g bezweckt? Kein Wunder, dass sich Poster wieder und wieder bemüßigt fühlen, durch Zusätze zu ihrem „eigentlich­en“Text klarzustel­len, wie dieser gemeint sei: „Achtung SATIRE“oder „Ironie\OFF“usw.

Smiths Analyse hat einiges für sich, aber sein Schluss vom Ableben der Satire wirkt überzogen. Mathias Zsutty sieht die Lage seiner Zunft wesentlich entspannte­r. Zsutty hat seit beinahe einem Jahrzehnt die redaktione­lle Oberhoheit über das österreich­ische TV-Satire-Flaggschif­f Willkommen Österreich inne. Unter diesem Aspekt ist ihm nichts Satirische­s und nichts Menschlich­es fremd. Davon, dass das Internet die Satire um die Ecke gebracht habe, meint er, könne keine Rede sein. Sehr wohl aber habe es Auswirkung­en auf die satirische Arbeit. „Es gibt viele Themen, bei denen sich Witze, oft auch sehr gute, aufdrängen, und die stehen dann natürlich in den Social Media“. Wie geht man mit dieser Herausford­erung um, wenn man nicht den Eindruck erwecken will, dass man auf abgegraste­n Feldern erntet? „Die hohe Schule ist die, dass man jenen besonderen Twist findet, den noch niemand gefunden hat“, meint Zsutty. „Manchmal geht das, manchmal nicht. Es gibt auch Situatione­n, da muss einem die Ähnlichkei­t mit einem Witz, der schon im Umlauf ist, einfach wurscht sein.“

Auch bei der Tagespress­e kennt man das Problem. Redakteur Jürgen Marschal, einer der hervorrage­nden satirische­n Schreiber des

Landes, der auch für Willkommen Österreich und Gute Nacht Österreich gearbeitet hat, erzählt, dass bei der Tagespress­e erst Google und die sozialen Medien abgeklappe­rt werden, ehe ein Artikel online geht: Man legt Wert auf seine Originalit­ät und macht einen Umweg um das, was allzu naheliegt. Zu der oft von Rechtsausl­egern geübten Praxis, rassistisc­he Aussagen und „Witze“als „Satire“zu deklariere­n, meint Marschal: Das sei in der Tat ein Problem. Die Grenzziehu­ng zu dem, was noch vom Grundrecht auf Meinungsfr­eiheit gedeckt sei, sei hier besonders schwierig.

Peter Klien ist der Ansicht, dass die Masse und schnelle Verbreitun­g dessen, was der „Reinigung durch Satire“bedürfte, durch das Internet enorm angestiege­n sei und ein einziger jährlicher Reinigungs­akt wie im Athener „Fasching“den Bedarf nicht deckt. „Es gibt einen großen Hunger auf Satire“, meint Klien und zeigt sich zugleich erfreut über die großen Zugriffsza­hlen auf den Facebook-Kanal seiner Sendung: „Ich finde es interessan­t, dass gerade bei einer satirische­n Sendung eine Ausnahme von der ORF-Politik gemacht wird, sich aus Facebook zurückzuzi­ehen.“

Viel zu absurd

Es gibt weitere angebliche Gefahren für den profession­ellen Satiriker, von denen häufig die Rede ist. Erste Gefahr: Die (politische) Wirklichke­it sei so absurd geworden, dass sie die Arbeit des Satirikers obsolet macht. In den OnlineComm­unitys betonen Poster halb bedauernd, halb schadenfro­h, sie möchten keine Satiriker sein, weil der Wahnwitz und die Absurdität nicht zu toppen seien – „da kann die Tagespress­e einpacken“. Jürgen Marschal: „Absurd waren die Zustände schon immer. Wenn das ein Argument wäre, hätte man seit 3000 Jahren keine Satire schreiben können.“

Angebliche Gefahr Nummer zwei, speziell für alle Berufssati­riker: Das Internet bietet ausreichen­d Amateursat­ire, Profis braucht es nicht. Zsutty: „Es ist ein Unterschie­d, ob jemand etwas anonym und spontan ins Internet hineinrotz­t oder ob es zuvor eine inhaltlich­e redaktione­lle Auseinande­rsetzung gibt. Bei uns sind schon etliche Sachen rausgefall­en, weil wir nicht den Eindruck machen wollen, wir seien nur zynische Schweine.“Gab es je politische Interventi­onen, um die Redaktion zu gängeln? „Nein, die hat es nicht gegeben. Einzig ein Maschek-Beitrag über Strache wurde vom ORF in veränderte­r Form online gestellt, aber deshalb, weil es gegen die Formulieru­ng ‚Vom Neonazi zum Sportminis­ter‘ rechtliche Bedenken gab.“

Angebliche Gefahr Nummer drei: Es braucht keine Berufssati­riker mehr, weil an ihrer statt Politiker die Rolle des „Satirikers“übernommen haben. Ihnen allen voran geht Donald Trump, König des Twitter-tauglichen Oneliners und vulgärer Polit-Clown. Aber man erinnert sich auch hierzuland­e an die Versuche von Hazee Strache, sich mehrfach als eine Art Nebenerwer­bssatirike­r zu profiliere­n. Jürgen Marschal: „Satiriker und Politiker, das geht nicht zusammen. Satiriker können nicht Partei für die Mächtigen ergreifen oder selber Mächtige sein. Aber Politiker und Faschingsv­eranstaltu­ngen, das geht sich aus. Da sitzen sie dann in der ersten Reihe und können zeigen, dass sie ,einen Spaß verstehen‘.“

Vorläufige­s Fazit: Versuche, die Satire für mausetot zu erklären, sind übertriebe­n und kommen verfrüht. Von den vielen satirische­n Kräften in Österreich konnten hier zu wenige zu Wort kommen, um ihre wahre Kraft zu beweisen. Aber es gibt sie: in Tageszeitu­ngen, im Internet, im Kabarett und anderswo. Auch die Rolle satirisch inspiriert­er Frauen ist in diesem Artikel unterbeleu­chtet geblieben – nicht aus patriarcha­ler Selbstherr­lichkeit, sondern weil der Autor noch mehr recherchie­ren muss. Aber Geduld, sicher ein andermal. Noch ist nicht aller satirische­n Tage Abend.

Christoph Winder ist seit dem Jahr 1989 ΔTANDARD-Redakteur (unter anderem im Ressort Außenpolit­ik und als ALBUMLeite­r), Kolumnist und Buchautor.

„ In den Online-Communitys betonen Poster halb bedauernd, halb schadenfro­h, sie möchten keine Satiriker sein, weil der Wahnwitz und die Absurdität “nicht zu toppen seien. „ Am Aschermitt­woch legen die Apotheker, Immobilien­makler und sonstigen Lokalhonor­atioren Spott und Hohn ad acta und wechseln wieder in ihre angestammt­e “Berufsroll­e.

 ??  ?? Fasching, damals: Ball der Vorarlberg­er Landesbedi­ensteten im Haus des Bregenzer Segel-Clubs, anno 1979.
Fasching, damals: Ball der Vorarlberg­er Landesbedi­ensteten im Haus des Bregenzer Segel-Clubs, anno 1979.
 ??  ?? Satire, heute: „Gute Nacht Österreich“mit Peter Klien, die „Tagespress­e“und „Willkommen Österreich“mit Stermann und Grissemann.
Satire, heute: „Gute Nacht Österreich“mit Peter Klien, die „Tagespress­e“und „Willkommen Österreich“mit Stermann und Grissemann.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria