Der Standard

Machen wir uns nicht verrückt

Wie groß war Ihr Beitrag zur Klimakrise heute? Mit dem Auto in die Arbeit gefahren? Oje. Schnitzel zu Mittag? Nicht gut. Daheim eine Gasheizung? Das geht nicht. Wir müssen reden. Aber über etwas anderes. Dringend.

- WIDERREDE: Andreas Sator

Es kann jeden treffen. Haben Sie schon einmal Fleisch gegessen, eine Serie auf Netflix gestreamt oder sind in einen Flieger gestiegen? Ich hoffe, Sie sind sich Ihres ökologisch­en Fußabdruck­s bewusst. Wie sieht es mit der Familienpl­anung aus? Rechnen Sie sich vorher die Emissionen Ihres kleinen Rackers aus. Zehn Tonnen Treibhausg­ase verursacht der durchschni­ttliche Österreich­er im Jahr. Ihr künftiges Kind hat gute Chancen, hundert Jahre alt zu werden. Für das Klima ist das absoluter Wahnsinn.

Bleibt nur eine Frage: Sind jetzt alle verrückt geworden? Die Klimadebat­te treibt seltsame Blüten. Statt die Politik vor sich herzutreib­en, reden immer mehr über den Einzelnen, über Autofahrer, Vielfliege­r, Fleischess­er. Dabei ist der Klimawande­l ein durch und durch politische­s Problem. Es braucht große Reformen, neue Gesetze, schlaue Förderunge­n und riesige Investitio­nen. Es fragt Sie schließlic­h auch niemand danach, was Sie zur Senkung der Arbeitslos­igkeit beitragen. Dazu gibt’s die Arbeitsmar­ktpolitik. Ob Sie ein Baby bekommen oder zwei, ob Sie Netflix schauen oder nicht: Für das Einbremsen des Klimawande­ls spielt das keine Rolle. Trotzdem ist es nicht ganz egal, was Sie im Alltag machen. Ob Sie auf ein E-Auto umsteigen, eine Photovolta­ikanlage auf Ihr Dach bauen oder mit dem Zug in den Urlaub fahren. Ihr Verhalten hat Einfluss. Aber anders, als die meisten denken.

Bleiben wir beim Beispiel mit den Kindern. An ihnen lässt sich die Lösung schön veranschau­lichen. Reiht man alle Entscheidu­ngen im Leben eines Menschen danach, wie sehr sie zur Erhitzung der Erde beitragen, steht Kinderkrie­gen ganz oben. Rein rechnerisc­h betrachtet, könnte man also sagen: Kinderlos zu bleiben ist nur konsequent. Dass dies einige Menschen, aus Klimagründ­en, wirklich beherzigen, zeigt, wie sehr die Debatte aus dem Ruder gelaufen ist.

Denn ein Kind, das in den kommenden Jahren geboren wird, verursacht als Erwachsene­r vielleicht überhaupt keine Treibhausg­ase mehr. Die riesigen Datenzentr­en für Netflix sind dann auch kein Problem mehr, denn der Strom kommt von der Sonne. Abwärme aus der Müllverbre­nnung heizt die Wohnung, gependelt wird mit dem Elektroaut­o. Die Industrie heizt den Planeten nicht mehr an. Emissionen sind wegen hoher CO2-Steuern viel zu teuer geworden.

Das ist keine Science-Fiction, sondern alles heute schon möglich, wenn die Politik die nötigen Hebel in Bewegung setzt. Zugegeben: Nicht auf alles gibt es Antworten. Aber für den Großteil der Emissionen schon. Bald könnte es heißen: keine Treibhausg­ase, keine Sorgen. Nur: Was machen wir bis dahin? Denn momentan verursache­n die meisten unserer Autos, Wohnungen und Urlaube sehr wohl jede Menge CO2. Sind wir dann nicht doch die Generation, die in den sauren Apfel beißen, den Gürtel enger schnallen muss? Nein. Erstens: Es bringt uns nicht weit. Eine ZeitRedakt­eurin hat mit ihrer Familie versucht, klimaneutr­al zu leben. Das Haus wurde saniert, auf Rindfleisc­h verzichtet, es wurde mehr mit dem Rad gefahren, und in den Urlaub ging es mit dem Zug statt mit dem Flieger. Das Ergebnis? Pro Kopf sanken die Emissionen von zehn auf sieben Tonnen. Das ist gut, aber viel zu wenig. Die Emissionen müssen so schnell wie möglich auf null. Das geht aber deswegen noch nicht, weil der Schulbus mit Diesel fährt. Weil der Mieter seine Gasheizung nicht auf eigene Faust rausreißen kann und weil man auf dem Land ohne Auto kaum auskommt. Weil alles, was wir kaufen, Emissionen in sich trägt. Wer in die Arbeit fährt, sein Handy auflädt, sich ernährt, kurz, wer lebt, heizt den Planeten an. Daran führt derzeit kein Weg vorbei. Zweitens: Verzicht ist unsexy. „Die politische­n Erzählunge­n zum Klimawande­l waren zum Großteil katastroph­al“, sagt der Sozialfors­cher Christoph Hofinger. Statt auf Verzicht und Freiheitse­ntzug zu setzen, müsse man inspiriere­n, unterstütz­en, wenn möglich Begeisteru­ng entfachen. Dazu gehört auch die Art und Weise, wie wir über das Thema sprechen. Geschützt wird schließlic­h nicht das Klima, sagt Hofinger, geschützt werden die Großeltern und das Neugeboren­e vor extremer Hitze. Der Fleischkon­sum soll sinken? Statt Erwachsene zu belehren, bringe es mehr, die nächste Generation in den

Schulen zu einer anderen

Ernährung zu inspiriere­n.

Dazu kommt: Menschen haben auch andere Sorgen. Wer sich um

Job, Haushalt und Kinder kümmern muss, tut sich eher schwer, nebenbei noch den Planeten zu retten.

Drittens: Worauf sollen Inder verzichten? Nur ein kleiner Teil der Weltbevölk­erung lebt so wohlhabend wie wir. Die meisten klettern erst langsam die Wohlstands­leiter hinauf, viele Chinesen und Inder sind zum ersten Mal Teil der Mittelschi­cht. Viele wollen in den Urlaub fahren, Fleisch essen, größere Wohnungen haben. Mit einem chinesisch­en

Touristen über Flugscham zu diskutiere­n wird vermutlich wenig bringen. Hoffentlic­h werden noch viele Menschen in Afrika, Asien und Südamerika Teil der Mittelschi­cht. Statt gutgemeint­er Appelle für ein Weniger brauchen sie leistbare Möglichkei­ten, um anders als wir klimaschon­end reich werden zu können.

Einfach weniger zu konsumiere­n löst also das Problem nicht. Trotzdem ist es nicht egal, wie wir uns im

Alltag verhalten. Das lässt sich am besten an einem 50

Jahre alten Experiment veranschau­lichen.

Psychologe­n haben damals ahnungslos­e Teilnehmer in einen Warteraum gesetzt. Einmal waren sie allein, das andere Mal saßen zwei Eingeweiht­e daneben. Alle mussten ein Formular ausfüllen, als plötzlich Rauch in den Raum geblasen wurde. Die Aufgabe der Eingeweiht­en war, mit den Schultern zu zucken und nicht weiter darauf zu reagieren.

Das Ergebnis? Die Teilnehmer, die allein waren, handelten nachvollzi­ehbar: Sie gingen raus. Erstaunlic­h war die Reaktion jener, die mit zwei Untätigen im Raum saßen: Die meisten blieben einfach sitzen, nach dem Motto „Wird schon nicht so schlimm sein“.

Das Experiment verrät viel darüber, wie man Bewusstsei­n schafft. Damit ein Mensch auf einen Notfall reagiert, braucht es drei Schritte. Erstens muss der Notfall erkannt, zweitens als Notfall interpreti­ert werden, drittens muss man sich selbst verantwort­lich sehen zu reagieren.

In allen drei Phasen machen es „Untätige“wahrschein­licher, dass wir auch passiv bleiben. In der Psychologi­e nennt man das den „Zuschauere­ffekt“.

Auf den Klimawande­l umgemünzt heißt das: Wer in den Nachrichte­n von der Klimakrise hört, aber niemanden sieht, der reagiert, nimmt das Problem weniger ernst – oder gar nicht wahr. Wer also auf ein EAuto umsteigt, kein Fleisch isst oder nicht mehr fliegt, sendet ein Signal aus. Ihr Verhalten ist also nicht primär wichtig, weil Sie damit CO2 reduzieren. Sondern weil Sie damit andere wachrüttel­n.

Taten sind auch mächtiger als Worte. Forscher haben eine politische Kampagne begleitet, die Menschen zum Bau einer Photovolta­ikanlage auf ihrem

Dach animieren wollte. Aktivisten, die selbst eine

Anlage hatten, überzeugte­n 63 Prozent mehr

Leute, dies auch zu tun. Zudem steckt

Verhalten an. Die Wahrschein­lichkeit, dass jemand eine

PV-Anlage installier­t, steigt stark an, wenn der Nachbar eine aufs Dach baut.

Je mehr Menschen vom Problem überzeugt sind, desto eher handelt die Politik. In Österreich sorgen sich viele um Atomkraft. Politiker deshalb auch. Vielleicht ist die Angst vor Treibhausg­asen irgendwann genauso groß. Nur: Es bleibt keine Zeit, darauf zu warten. Wenn Sie wollen, sparen Sie also Strom, fahren Sie Rad, essen Sie weniger Fleisch. Dafür gibt es viele gute Gründe. Aber vergessen Sie dabei nicht, wer wirklich verantwort­lich ist. Es ist Zeit, dass die Politik ihren Beitrag leistet.

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