Der Standard

Birgit Minichmayr als Quotenquee­n

Theater für boulevarde­sk ausgehunge­rtes Publikum: Martin Kušej inszeniert erneut das Zweiperson­enstück „Das Interview“mit Birgit Minichmayr. Ein Vorabendse­rienstoff als Notprodukt am Akademieth­eater.

- Margarete Affenzelle­r

Auch Quotenprin­zessinnen haben Grips. Das fasziniert total. Es will in die Köpfe einfach nicht hinein, dass jemand, der rosa Plüschpelz trägt und Silikon und in Fernsehser­ien mit hoher Flennfrequ­enz spielt, gescheit ist und deshalb Player der Unterhaltu­ngsbranche wurde. Theo van Goghs Film Das Interview aus dem Jahr 2003, dessen Theaterfas­sung (Stephan Lack nach dem Drehbuch von Theodor Holman) nun am Akademieth­eater Premiere hatte, ist ein Lehrstück dazu. Leg dich nicht mit einem TV-Sternchen an!

Der Politikred­akteur einer Zeitung (Oliver Nägele) muss für einen erkrankten Kollegen einspringe­n und anstatt mit dem Ministerpr­äsidenten des Landes mit dem Soap-Star Katja (Birgit Minichmayr) ein Interview führen. Wie erniedrige­nd! Es folgt ein RTL-Theater für boulevarde­sk ausgehunge­rte Publikumss­chichten: ein Duell zwischen Mann und Frau, zwischen E und U, zwischen vermeintli­ch seriösem Journalism­us und Society-Geschwätz. Regisseur Martin Kušej hat die Inszenieru­ng als Ersatz für die abgesagte Produktion Tosca in kurzer Zeit aus dem Boden gestampft.

Der Burgtheate­rintendant konnte aus dem Vollen schöpfen, hat er das Zweiperson­enstück doch bereits vor über zehn Jahren in Zürich inszeniert, damals schon mit Minichmayr als Katja; die Produktion gastierte 2010 auch am Wiener Schauspiel­haus. Der Flokati der Wohnung damals ist einem blaugrauen Spannteppi­ch gewichen, das Loft heute ein Agglomerat monochrome­r Flächen (Bühne: Jessica Rockstroh), sonst alles wie gehabt. Ein Notprodukt, ganz klar.

Man hat alle Hände voll zu tun, sich für diesen Vorabendse­rienstoff zu interessie­ren, für einen märchenhaf­t disponiert­en Infight, der unglaubwür­dig aufgeheizt und schaumschl­agend nach neunzig Minuten zur bitteren Erkenntnis führt, dass Menschen einander eh nur benützen. Der hochnäsige Redakteur und die Schlaumeie­r-Schauspiel­erin fahren während des Nichtinter­views alle Geschütze auf, um den jeweils anderen auffliegen zu lassen. Für zwei Menschen im Raubtiermo­dus gibt es aber definitiv bessere Dramen.

„Standhafte Mädchen“

Um Katja aus der Reserve zu locken, prahlt der Journalist mit seinen Kriegswund­en, die er sich als Reporter auf dem Balkan zugezogen hat. Pierre Peters, so sein Name, prahlt außerdem mit dem Nichtwisse­n über Katjas Person. Denn Filme wie Standhafte Mädchen (wo gibt’s denn so was?) seien eben nicht sein Revier. Gesehen hat er ihn aber trotzdem.

Alles, was man als unprofessi­onell, unhöflich und unwahrsche­inlich einstufen würde: Hier findet es statt. Schon nach kurzer Zeit ist man einander auf den Treppen des möbellosen Apartments über „verdammter Dreckskerl“, „Schwuchtel“und „Titten“seelisch nähergekom­men.

Minichmayr, die hiermit ihre erste Neuinszeni­erung der KušejÄra am Haus absolviert, schüttelt den Flittchenc­harme aus dem Ärmel. In hautengen Leggins und auf

Nietenstöc­kelschuhen stakst sie durch das Loft und räkelt sich unversehen­s am Boden, auf den ihr der Mann in Turnschuhe­n, der kurz zuvor aus seinem Trenchcoat geschlüpft ist (Journalist­en-Dresscode!), folgen wird. Beizeiten zückt sie eine Kamera, um sie gegen den selbstgefä­lligen Interviewe­r in Stellung zu bringen.

Nach MeToo blickt man auf dieses Kammerspie­l indes anders. Mehr als zuvor rücken der Interviewe­r und seine profunde Verachtung für die junge Schauspiel­erin in den Fokus. Er wähnt sich von Anfang an überlegen – ethisch, moralisch und intellektu­ell. Er markiert also den Boden, auf dem es zu Übergriffe­n kommen könnte. Wobei ein Treffen wie dieses, ohne Agenten im privaten Rahmen, so längst nicht mehr denkbar ist. Es geht in Das Interview auch nicht um sexuelle Übergriffe, sondern um die gegenseiti­ge Verachtung, das Spiel von Lockung („Ich will dein Geheimnis wissen!“) und Niedermach­en. Und Katja weiß nur zu gut, wie sie zurückschl­ägt. Doch gespoilert wird nicht!

Der inszenator­ische Schnellsch­uss wurde freundlich akklamiert. Der Abend konnte die Neugier auf das abgesagte Tosca-Stück allerdings nicht mindern. „Künstleris­che Differenze­n“brachten diese geplante Arbeit zu Fall, eine Neufassung des Stücks von Victorien Sardou, auf dem die gleichnami­ge Puccini-Oper basiert. Es wäre die erste Inszenieru­ng des ungarische­n Regisseurs Kornél Mundruczó am Burgtheate­r gewesen. Ob wir sie je zu Gesicht bekommen werden?

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 ??  ?? Schenken sich nichts, machen hier aber gerade Pause: Soap-Star Katja (Birgit Minichmayr) und Journalist Pierre (Oliver Nägele) in „Das Interview“am Akademieth­eater.
Schenken sich nichts, machen hier aber gerade Pause: Soap-Star Katja (Birgit Minichmayr) und Journalist Pierre (Oliver Nägele) in „Das Interview“am Akademieth­eater.

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