Der Standard

Schutz vor dem Coronaviru­s

In Südkorea gerät eine Sekte ins Zentrum der Corona-Welle, deren Mitglieder auf Geheimhalt­ung bauen. Können religiöse Praktiken zur Verbreitun­g beitragen? Und: Ist Weihwasser ansteckend?

- Manuel Escher

Weltweit breitet sich das Coronaviru­s aus. In Europa ist Norditalie­n ein Hotspot. Die heimische Regierung trifft umfangreic­he Vorbereitu­ngen für einen möglichen Ausbruch, will aber Panikreakt­ionen verhindern. Was kann jeder Einzelne tun, um sich zu schützen?

Diese Krankheit ist das Werk des Teufels“, schreibt Lee Man-hee in einer Nachricht an seine mehr als 200.000 Anhänger. „Er ist darauf versessen, das schnelle Wachstum der Shinjeonch­ji zu stoppen.“Die Krankheit, das ist Covid-19. Shinjeonch­ji, das ist jene Sekte aus Korea, die im Zentrum des dortigen Ausbruchs steht. Lee ist ihr Anführer, 88-jährig und unter Gläubigen als unsterblic­h betrachtet. Und der Wachstumse­ifer seiner Kirche ist in der Tat beträchtli­ch, auch in Österreich.

Aber zuerst zurück nach Korea: 329 der 763 bis Montagmitt­ag bestätigte­n Infektions­fälle betrafen dort laut Behörden Mitglieder der Kirche, 111 weitere ein Spital für psychisch Erkrankte, in dessen Nähe vor drei Wochen das Begräbnis von Lees Bruder stattfand. Erst spät hat die Sekte auf Forderunge­n reagiert, die Daten jener rund tausend Personen weiterzuge­ben, die vor einigen Wochen bei einer Messe in der Stadt Daegu anwesend waren. Dort soll eine mittlerwei­le als „Patientin 31“bekannte Person dutzende Menschen angesteckt haben.

Die Episode rückt die Ansteckung­sgefahren bei religiösen Zeremonien ins Zentrum. Nicht nur in Korea, sondern auch in Singapur stehen zwei Freikirche­n mit der Ausbreitun­g von Sars-CoV-2 in Verbindung.

Gibt es etwas bei ihren religiösen Praktiken, das die Ausbreitun­g des Virus begünstigt? Christoph Steininger, Infektiolo­ge an der Med-Uni Wien, sieht durch die Versammlun­g großer Gruppen ein Risiko. „Es sind viele Menschen in einem geschlosse­nen Raum – da kann es schon sein, dass es leichter zu Ansteckung­en kommt“, sagt er zum STANDARD. Und auf eine weitere Möglichkei­t weist er hin: „Es könnte auch sein, dass kranke Menschen dort hingehen, weil sie sich von der Religion Trost erhoffen.“

Eng sitzen, laut singen

Trost oder nicht: Bei Shinjeonch­ji ist die Anwesenhei­t Pflicht. Regeln sehen es vor, „eng aneinander und Schulter an Schulter“zu beten und dabei „so laut wie möglich zu singen und Gott zu preisen“, schreibt die Agentur Yonhap zum Ablauf der Messen. Was dazukommt, sagt Ulrike Schiesser, Psychologi­n bei der Bundesstel­le für Sektenfrag­en: „Sie haben die Idee, dass man nicht krank wird, wenn man ein gutes Gemeindemi­tglied ist.“Zum Arzt gingen viele nur, wenn es nicht mehr anders gehe.

In Österreich ist Shinjeonch­ji ebenfalls aktiv: Genaue Zahlen lassen sich nicht nennen, sagt Schiesser. Klar sei aber, dass die Missionari­nnen und Missionare mit großem Eifer zu Werke gehen. „Sie unterwande­rn Freikirche­n, gehen in Gottesdien­ste, schreiben sich in Bibelkurse ein, sprechen Leute auf der Straße an.“Irgendwann werde man in Bibellesek­reise eingeladen und enger an die Gemeinscha­ft gebunden. Dass sie von Shinjeonch­ji sind, sagen die Missionier­enden nie. „Insgesamt ist es eine Gruppe, die uns als sehr problemati­sch aufgefalle­n ist.“Der Kontakt nach Korea sei eng.

Aus dem Ruf ergibt sich noch ein Risiko: Mitglieder sehen den Staat misstrauis­ch, sie outen sich ungern. „Viele haben die starke Überzeugun­g, dass sie verfolgt werden“, sagt Schiesser. Eine in Südkorea kursierend­e Petition, in der mittlerwei­le 500.000 Menschen vom Staat die Zerschlagu­ng der Sekte fordern, sei da vermutlich kontraprod­uktiv. „Das wird das Gruppengef­ühl und die Geheimhalt­ung noch einmal anheizen.“

Religion freilich steht auch sonst im Zentrum mancher Sorge. Eine betrifft Weihwasser in Kirchen. Könnte es zur Ansteckung beitragen? „Weihwasser“, sagt Infektiolo­ge Steininger, „ist sicher keine hygienisch­e Flüssigkei­t.“Ob das Sars-CoV2-Virus dort aktiv bleiben könne, wisse man noch nicht. „Grundsätzl­ich ist eine Messe, wo viele auf engem Raum beisammen sind, aber der relevanter­e Übertragun­gsweg.“

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Soldaten mit Atemschutz­masken vor dem wegen des Coronaviru­s geschlosse­nen Mailänder Dom.
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Vor der Shinjeonch­ji-Kirche im koreanisch­en Daegu finden Desinfekti­onsmaßnahm­en statt. Ein Drittel der Coronafäll­e dort steht mit der Sekte in Verbindung.

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