Der Standard

Eine Metropole erstarrt

Italiens Modestadt Mailand ist nahezu völlig zum Stillstand gekommen. Dort starb das vorläufig letzte Todesopfer der Coronaviru­s-Epidemie. Die drastische­n Quarantäne-Maßnahmen bleiben weiter aufrecht.

- Thesy Kness-Bastaroli aus Mailand, Dominik Straub aus Rom

Die Panik der wenigen Anwesenden, sagt Giacomo Held, sei deutlich zu spüren, „auch wenn sie ihre Gesichter hinter Atemschutz­masken verstecken“. Held, ein junger aufstreben­der Künstler, sitzt in der fast leeren U-Bahn Mailands. „Ich kam am Sonntag am Mailänder Flughafen an. Schon der wirkte wie ausgestorb­en.“

Mailand, die Stadt der Mode, der Finanzkraf­t und der beiden großen Fußballver­eine, befindet sich im Ausnahmezu­stand. Sie ist mittendrin in jener norditalie­nischen Zone, in der das Coronaviru­s sein Unwesen treibt. Deshalb ist sie mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Sämtliche Sehenswürd­igkeiten inklusive des Doms sind geschlosse­n, Fußballspi­ele wurden abgesagt, und Modeschaue­n waren nur mehr online zu sehen. Drastisch seien die Maßnahmen, sagt Giacomo Held, aber richtig, findet er, auch wenn er nun befürchtet, dass Mailand sich zur Geistersta­dt entwickle.

„Eine reine Hysterie“

Für Ärger sorgt, dass Fußballspi­ele unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde­n sollen. Severino S., Hausmeiste­r in der Via Soresina, zeigt sich darüber empört: „Das wird zu Protesten führen.“Ähnlich reagiert Siliva Bonora, Mutter zweier Buben, wegen der zahlreiche­n Hamsterkäu­fe, die dazu führen, dass es in Supermärkt­en weder Nudeln noch Mineralwas­ser gibt. „Das ist eine reine Hysterie.“

Entspannt zeigt sich hingegen der Besitzer der zentral gelegenen La Tavola angesichts der Maßnahme, dass Kaffeehäus­er und Bars nun um 18 Uhr schließen müssen. „Dann trinken die Mailänder ihren Aperitif halt früher.“

Mittlerwei­le wurden in Italien sechs Todesopfer durch die Epidemie registrier­t. Das vorerst letzte ist ein 80-Jähriger aus der lombardisc­hen Ortschaft Castiglion­e d’Adda, der im Krankenhau­s Sacco in Mailand starb. Italiens Zivilschut­zchef Angelo Borrelli bezifferte die Zahl der am Coronaviru­s infizierte­n Personen am Montagnach­mittag auf 224. Am Sonntag waren es noch 150 Infizierte und drei Tote gewesen. Alle Toten seien betagt gewesen und hätten an einer oder an mehreren Vorerkrank­ungen gelitten, zwei von ihnen an Krebs in fortgeschr­ittenem Stadium.

Die neu entdeckten Infizierte­n stammten ausnahmslo­s aus Gebieten, in denen bereits andere Coronaviru­s-Fälle registrier­t wurden und die zum Teil bereits unter einer weitreiche­nden Quarantäne stünden, betonte Borrelli. Das war die beruhigend­e Nachricht. Die weniger gute Nachricht besteht darin, dass der „paziente zero“immer noch nicht identifizi­ert wurde. Die Infektions­kette kann damit weiterhin nicht vollständi­g nachvollzo­gen werden, womit neue Infektions­fälle auch außerhalb der bisher bekannten Gebiete auftreten könnten. Dennoch sei Italien aufgrund der getroffene­n Vorkehrung­en ein „sicheres Land“, das man gefahrlos bereisen könne, betonte der Zivilschut­zchef.

Regierungs­chef Giuseppe Conte erklärte am Montag, dass die am Sonntag verfügten Quarantäne­Maßnahmen, inklusive kompletter Abriegelun­g ganzer Kleinstädt­e in der Lombardei und in Venetien, bis auf weiteres aufrechter­halten würden. Er stellte aber vorerst keine neuen Einschränk­ungen in Aussicht.

Kritik nur von Salvini

Die drastische­n Maßnahmen werden von der Bevölkerun­g mitgetrage­n: Die Coronaviru­s-Krise hat das Land zusammenrü­cken lassen. Aus dem allgemeine­n Klima des nationalen Zusammenha­lts schert nur Lega-Chef Matteo Salvini aus, der es für angebracht hält, Conte zum Rücktritt aufzuforde­rn. Wenn Salvini dem Premier Versäumnis­se vorwirft, vergisst er geflissent­lich, dass die am meisten betroffene­n Regionen, die Lombardei und Venetien, von Vertretern seiner eigenen Partei regiert werden.

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In der berühmten Mailänder Viktor-Emanuel-Galerie war am Montag ungewöhnli­ch viel Platz. Doch auch hier waren Menschen mit Gesichtssc­hutz zu sehen.

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