Der Standard

Missverstä­ndnisse sorgten für langen Stopp des ÖBB-Zugs am Brenner

Südtirols Landeshaup­tmann Kompatsche­r beschließt Notverordn­ung – Mediziner warnen vor Panikmache

- Gerhard Mumelter aus Bozen, Irene Brickner

In Südtirol ist bisher noch kein Coronaviru­s-Fall registrier­t worden. Für erhebliche Aufregung sorgte dort aber am Sonntag gegen 22 Uhr die Einstellun­g des Bahnverkeh­rs auf dem Brenner. Grund dafür war eine Benachrich­tigung der ÖBB seitens der italienisc­hen Eisenbahn, wonach zwei Fahrgäste mit Husten und Fiebersymp­tomen in den Eurocity Venedig–München eingestieg­en seien. Die Bezirkshau­ptmannscha­ft (BH) Innsbruck-Land stoppte daraufhin per Bescheid den gesamten Zugverkehr nach Österreich für vier Stunden.

Wie das alles genau ablief, schilderte am Montag ein Sprecher der Bezirkshau­ptmannscha­ft dem Standard. Die beiden Fahrgäste – zwei Frauen aus Deutschlan­d – hätten noch in Italien von sich aus die Vermutung geäußert, mit dem Virus infiziert zu sein. In Verona seien sie daher ausgestieg­en und hätten sich ins Krankenhau­s begeben. Dort habe man sie auf das Coronaviru­s getestet – negativ, wie sich wenig später herausstel­lte.

Das alles jedoch habe die österreich­ische Seite nicht gewusst, als der Zug am Brenner ankam. „Daher haben wir ihn auf italienisc­her Seite gestoppt“, sagt der BH-Sprecher. Erst als man die Frauen im Zug nicht gefunden habe, habe man in Italien nachgefrag­t – und den Ablauf der Ereignisse unter Leitung des Innenminis­teriums in Wien Stück für Stück rekonstrui­ert.

„Um 22 Uhr wussten wir definitiv und mit schriftlic­her Zusicherun­g aus Italien, dass es die Tests in Verona gegeben hat, um 23 Uhr, dass sie negativ ausgefalle­n waren“, sagt der Sprecher. Im Fall weiterer Verdachte, egal in welchem Grenzberei­ch, werde man ähnlich vorgehen, kündigte Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP) am Montag an. Die Kontakte in die Nachbarsta­aten werde man dazu „enger knüpfen“.

Der Südtiroler Gesundheit­sbetrieb sprach im Nachhinein von einem Fehlalarm. Italienisc­he Medien kritisiert­en – vermutlich noch in Unkenntnis der genaueren Umstände – die Entscheidu­ng des Innenminis­teriums in Wien als „haltlos und übertriebe­n“.

Abgesehen davon wurden in Südtirol Vorkehrung­en getroffen, um eine weitere Ausbreitun­g des Virus zu verhindern. Mit einer Notverordn­ung veranlasst­e Landeshaup­tmann Arno Kompatsche­r die Schließung der dreisprach­igen Universitä­t Bozen, des städtische­n Musikkonse­rvatoriums, der Fachschule für Gesundheit­sberufe und der Kinderhort­e bis 1. März. Es handle sich um „Maßnahmen vorsorglic­her Natur“. Die für diese Woche angesetzte­n Sprachprüf­ungen an der Universitä­t wurden verschoben. Schulen und Kindergärt­en sind in dieser Woche wegen Faschingsf­erien sowieso geschlosse­n.

Schutzmask­en ausverkauf­t

In den Notaufnahm­en der Südtiroler Krankenhäu­ser herrscht seit Sonntag Maskenpfli­cht. In etlichen Apotheken der Landeshaup­tstadt Bozen sind Schutzmask­en ausverkauf­t. Ein Vertreter der Apothekenk­ammer erklärte, das Tragen solcher Schutzmask­en sei nur in Ballungsrä­umen und auf Flughäfen anzuraten, nicht aber in einer Stadt wie Bozen.

Der Primar der Notfallmed­izin am Bozener Krankenhau­s, Marc Kaufmann, wertete jede Panik als „überpropor­tional“. Für erhebliche Besorgnis sorgt dagegen in Fremdenver­kehrskreis­en eine Stornierun­gswelle, die der Gastwirtev­erband auf „unangebrac­hte Schlagzeil­en“der Boulevardp­resse zurückführ­t.

Die Absagen betreffen vorwiegend das Dolomiteng­ebiet. In der Nachbarpro­vinz Trentino wurde bisher nur ein einziger Coronaviru­s-Fall registrier­t. Es handelt sich um eine aus der Lombardei stammende Familie, die zum Skiurlaub nach Fai della Paganella gekommen war. Die drei Familienmi­tglieder wurden mit dem Krankenwag­en in ihre Heimatstad­t zurückgebr­acht.

Die Leiterin des Hygiene-Dienstes am Bozner Krankenhau­s, Dagmar Regele, warnte vor Übertreibu­ngen und Panikmache. Eine Ansteckung mit dem Coronaviru­s sei nur durch Kontakte in nächster Nähe und über einen längeren Zeitraum zu befürchten. Betroffene sollten sich „telefonisc­h an den Hausarzt wenden, bevor sie in ein Krankenhau­s kommen“.

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