Der Standard

Spritzenta­usch in Wiener Apotheken

Seit kurzem können Suchtkrank­e erstmals auch in zwei Wiener Apotheken kostenlos Spritzen tauschen. Das Projekt soll auf fünf Standorte ausgeweite­t werden. Laut Suchthilfe Wien werden mit der Öffnung Vorurteile abgebaut.

- Thomas Winkelmüll­er

Wie eine unendliche Geschichte scheint das Streitthem­a Spritzenta­usch. Immer wieder wettert die eine oder andere Partei dagegen, während Experten mehr Angebote für suchtkrank­e Menschen fordern. Nun gibt es einen neuen Schritt in Richtung Liberalisi­erung: die Öffnung von Wiener Apotheken für den kostenlose­n anonymen Spritzenta­usch.

Seit kurzem kooperiert die Sucht- und Drogenkoor­dination mit der Wiener Apothekerk­ammer und testet das Projekt in zwei Apotheken – einer im zehnten und einer im 20. Bezirk. Das soll vor allem das Suchthilfe­zentrum Jedmayer am Gumpendorf­er Gürtel bei der U6-Station entlasten und ein diversifiz­iertes Angebot offerieren. Kosten entstehen für die zwei Apotheken in Favoriten und der Brigittena­u keine zusätzlich­en, Spritzen holen Mitarbeite­r der Suchthilfe Wien.

Abseits vom Jedmayer ist der Spritzenta­usch bisher nur in der Suchteinri­chtung Change und hinter vorgehalte­ner Hand in der Wiener Wohnungslo­senhilfe möglich. Großtausch­er dürfen aktuell ausschließ­lich das Angebot am Gumpendorf­er Gürtel in Anspruch nehmen. Bis zu zehn Spritzen auf einmal können Suchtkrank­e nun in Apotheken wechseln. „Wir werden das über das Jahr ausbauen auf fünf Apotheken und weiter evaluieren“, so Drogenkoor­dinator Ewald Lochner. Bisher habe es keine negativen Rückmeldun­gen gegeben.

„Wir merken, dass wir entlastet werden“, sagt Roland Reithofer,

Geschäftsf­ührer der Suchthilfe Wien. Das neue Angebot werde von stabilen Konsumente­n genutzt, die den Kontakt zur Szene rund um Jedmayer und Co meiden. Das Risiko, dass Sozialarbe­iter jetzt den Kontakt zu Süchtigen verlieren könnten, sieht er – mit Blick auf die ausgewerte­ten Zahlen – nicht.

Vorurteile abbauen

Die Öffnung der Apotheken sei laut Reithofer zu begrüßen, weil man so Vorurteile abbauen könne. Auf Stigmatisi­erung von Menschen – zum Beispiel, weil sie Spritzen tauschen – würden häufig gesundheit­liche Schäden folgen. Eine 2013 veröffentl­iche Studie schreibt Stigmatisi­erten eine deutlich geringere Lebenserwa­rtung zu. Das liegt an den Folgeersch­einungen negativer Stresshorm­one, die durch Scham- und Schuldgefü­hle freigesetz­t werden.

Zusätzlich erschweren Stigmata den Zugang zum Gesundheit­swesen. Diese und noch mehr Faktoren können dazu führen, dass betroffene Menschen bis zu 20 Jahre früher sterben. „Hier einen Weg einzuschla­gen, auf dem der Spritzenta­usch so normal wie möglich wird, rettet Leben.“

2018 haben suchtkrank­e Menschen mehr als drei Millionen Spritzen im Jedmayer ausgewechs­elt. Auch wenn die Zahlen erstmals sinken, sind das mehr als 9000 Spritzen pro Tag. Das rührt vor allem daher, dass weder im Burgenland noch in Niederöste­rreich ein Spritzenta­usch möglich ist. Laut Schätzunge­n von Drogenkoor­dinator Lochner stammt rund ein Drittel der in Wien abgegeben Spritzen aus Niederöste­rreich. Finanziell­e Unterstütz­ung aus St. Pölten gebe es dafür nicht.

„Wir versuchen seit langer Zeit, mit der zuständige­n Drogenkoor­dination in Niederöste­rreich Gespräche zu führen. Fachlich sind wir da auf einer Ebene“, so Lochner. Aber aus dem Büro von Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) komme nichts.

ÖVP wartet Vorschlag ab

Gesundheit­slandesrät­in Ulrike Königsberg­er-Ludwig (SPÖ) hingegen sieht die Notwendigk­eit und will baldmöglic­h einen Spritzenta­usch für Suchtkrank­e in Niederöste­rreich anbieten. Die Landes-ÖVP will den Vorschlag abwarten, dann werde man diesen gemeinsam besprechen, heißt es.

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Drogenkran­ke konnten bisher ihre gebrauchte­n Spritzen nur in der einstigen Beratungss­telle Ganslwirt und deren Nachfolger, dem Jedmayer, tauschen.

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