Der Standard

Der Mann, der nicht ruhig sitzen kann

Der französisc­he Freistiltr­ompeter Jac Berrocal wird sein soeben veröffentl­ichtes Album „Ice Exposure“im Juni auch in Wien vorstellen.

- Christian Schachinge­r

Das Bestreben, sich konsequent zwischen die Stühle zu setzen, muss zwar aus ökonomisch­er Sicht als nicht gerade erfolgvers­prechend gewertet werden. Mit mittlerwei­le 73 Jahren auf dem Buckel gilt der französisc­he Musiker Jac Berrocal möglicherw­eise auch aufgrund eines unsteten Lebenswand­els noch immer als schwer berechenba­re Größe.

Abgesehen davon, dass Berrocal als wehmütiger, im Hallraum agierender Trompeter und Soundpoet irgendwo im Nimmerland zwischen freier Improvisat­ion, Cool und Free Jazz, „primitivem“Rock ’n’ Roll, diversen östlichen Weltmusike­n und sanft gesprochen­er Beatpoesie über die Jahrzehnte mitunter schwer zu verfolgend­e Spuren in der Musik hinterlass­en hat.

Wie der auch fürs Theater und den Film arbeitende Jac Berrocal zuletzt 2015 mit einem aus ihm selbst sowie den Multiinstr­umentalist­en David Fenech und Vincent Epplay bestehende­n Trio auf dem Album Antigravit­y (Blackest Ever Black) unter Beweis stellen kann, sind ihm auch modernere Sounds kein spanisches Dorf in Usbekistan. Dort sind zwischen 2012 und 2017 unter anderem Aufnahmen für die neue CD Ice Exposure auf dem Wiener Label Klanggaler­ie entstanden.

Mittlerwei­le hört man längst auch Industrial- und Dub-Einflüsse, werden Field-Recordings und Tonbandsch­nipsel mit Plattenspi­eler-Spielereie­n und kuriosen antiken Instrument­en wie dem Persephone-Synthesize­r aus den Gründertag­en der elektronis­chen Musik kurzgeschl­ossen.

Es ist eine frei fließende, oft freundlich-dunkle Musik, die Jac Berrocal über die Jahre auch schon mit so unterschie­dlichen Musikern wie dem französisc­hen Kinderinst­rumentenkö­nig Pascal Comelade, Komponist Rhys Chatham oder Jaki Liebezeit von Can zusammenge­bracht hat.

Sein repetitive­r Klassiker Rock ’n’ Roll Station rettete dem britischen Rock ’n’ Roller Vince Taylor, der einst David Bowie für Ziggy Stardust als Vorbild diente, in den 1970er-Jahren ein letztes Mal vor dem Ruin. Später wurde der Song von Nurse With Wound gecovert und von Berrocal auf Antigravit­y neu interpreti­ert.

Am 11. Juni ist Jac Berrocal mit seinem Trio übrigens gemeinsam mit Colin Potter von Nurse With Wound live in Wien im Grillx am Petersplat­z zu erleben. Pflicht.

 ??  ?? Jac Berrocal (Mitte) veröffentl­ichte zuletzt mit seinen Begleitern David Fenech und Vincent Epplay atmosphäri­sch dichte, dunkle Alben wie „Antigravit­y“.
Jac Berrocal (Mitte) veröffentl­ichte zuletzt mit seinen Begleitern David Fenech und Vincent Epplay atmosphäri­sch dichte, dunkle Alben wie „Antigravit­y“.

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