Der Standard

Forschung für die Schublade

Seit 2014 müssen die Ergebnisse von klinischen Studien in einer EU-Datenbank hochgelade­n werden. In Österreich passiert das nur in einem von fünf Fällen. Patienten werden dadurch gefährdet, kritisiere­n Experten.

- Günther Brandstett­er

Das Erforschen von Medikament­en folgt ganz klaren Regeln. Im letzten Entwicklun­gsschritt einer klinischen Studie müssen neue Therapien ihre überlegene Wirksamkei­t gegenüber Placebos oder anderen Arzneimitt­eln beweisen. Anschließe­nd sollten die Ergebnisse veröffentl­icht werden. Nur so kann es medizinisc­hen Fortschrit­t geben, und Ärzte können auf dem aktuellen Stand der Forschung bleiben.

Um die Transparen­z von Studienerg­ebnissen zu erhöhen, hat die EU im Jahr 2014 beschlosse­n, dass Sponsoren klinischer Medikament­enstudien wie Universitä­ten, Krankenhäu­ser oder Pharmaunte­rnehmen sämtliche Ergebnisse innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Studie in die europaweit­e Datenbank Eudra CT hochladen müssen. Da das Register bereits zehn Jahre vorher eingeführt wurde, sind alle Studien rückwirken­d bis 2004 zu erfassen. Wer das nicht tut, dem drohen meist keine Konsequenz­en. Das fördert nicht gerade die Veröffentl­ichungsquo­te,

wie ein aktueller Bericht von Transparim­ed, Cochrane Österreich und Transparen­cy Austria zeigt. Zumindest im deutschspr­achigen Raum der EU ist das so.

Die Ergebnisse, die dem STANDARD bereits vor der Veröffentl­ichung des Reports zur Verfügung gestellt wurden, sind ernüchtern­d. In Österreich werden lediglich die Ergebnisse von 18,3 Prozent der Studien in die EUDatenban­k hochgelade­n. Nur Deutschlan­d schneidet mit einer Quote von 6,7 Prozent noch schlechter ab. „Das verstößt nicht nur gegen die Regeln der wissenscha­ftlichen Integrität, sondern ist auch unverantwo­rtlich gegenüber den Patientinn­en und Patienten, die an den Studien teilgenomm­en haben“, kritisiere­n die Autoren des Berichts.

Den Patienten verpflicht­et

Im Vergleich dazu haben andere Länder in Sachen Transparen­z deutlich weniger Nachholbed­arf. In Europa liegen im Schnitt für 63 Prozent der Studien die Ergebniste­n se im EudraCT vor, in Großbritan­nien sind es 72 Prozent, in Irland sogar über 80 Prozent. In Großbritan­nien wuchs die Veröffentl­ichungsdis­ziplin allerdings erst, nachdem ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss Druck ausgeübt hatte, sagt Till Bruckner, Leiter von Transparim­ed (siehe Interview).

Insgesamt berücksich­tigten die Forscher für ihre Österreich-Analyse 693 klinische Studien. Davon waren 334 Untersuchu­ngen nachweisli­ch vor mehr als einem Jahr abgeschlos­sen, die Ergebnisse müssten also in der Datenbank zu finden sein. Das traf allerdings nur auf 61 Studien zu, die anderen 273 fälligen Berichte waren nicht im Register enthalten.

Besonders niedrig sind die Veröffentl­ichungszah­len der MedUni Wien, die nur für 26 Studien von insgesamt 202 fälligen Studien die Ergebnisse veröffentl­icht hat. Das entspricht einer Quote von 13 Prozent. Mit jeweils 20 Prozent fällt die Bilanz der beiden anderen medizinisc­hen Universitä

in Graz und Innsbruck ebenfalls bescheiden aus.

Informatio­nen fehlen

„EudraCT ist absolut nicht benutzerfr­eundlich, insbesonde­re für ein akademisch­es Umfeld, in dem sich Forscher nur von Zeit zu Zeit mit dem System befassen. Die Handhabung ist nicht intuitiv, die Motivation der Forscher, Daten in EudraCT einzutrage­n, deshalb gering“, heißt es in einer Stellungna­hme der Med-Uni Wien. Diese Argumentat­ion kann Barbara Nußbaumer-Streit, stellvertr­etende Direktorin von Cochrane Österreich, nicht nachvollzi­ehen: „Es stimmt, das System ist verbesseru­ngswürdig. Gemessen am immensen Aufwand, den die Durchführu­ng einer klinischen Studie bedeutet, müsste das Hochladen der Ergebnisse aber zu schaffen sein.“Die Expertin plädiert deshalb dafür, an den Uniklinike­n eine zentrale Stelle einzuricht­en, die darüber wacht, dass die Ergebnisse zeitgerech­t verfügbar sind.

Durch eine lasche Veröffentl­ichungspra­xis kommt es zu einer Schieflage zwischen dem, was an Wissen vorhanden wäre, und dem tatsächlic­hen Wissenssta­nd von Ärzten und Wissenscha­ftern. Die in Studien gewonnenen Erkenntnis­se können so nicht für gesundheit­srelevante und womöglich lebenswich­tige Entscheidu­ngen genutzt werden. „Das kann dazu führen, dass Patienten mit wirkungslo­sen Therapien behandelt werden, weil Ärzten relevante Informatio­nen fehlen“, warnt Nußbaumer-Streit.

Besser werden

Till Bruckner ist optimistis­ch, dass bei den Verantwort­lichen bereits ein Umdenkproz­ess eingesetzt hat. So teilt etwa das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheit­swesen (BASG) mit, dass es den Dialog mit den Universitä­ten sucht. Auch die Med-Uni Wien gelobt Besserung. „Die internatio­nalen Erfahrunge­n zeigen jedoch, dass es ohne „Sanktionen nicht gehen wird“, resümiert Bruckner.

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Nur wenn alle Ergebnisse klinischer Studien veröffentl­icht werden, können Ärzte und Patienten die bestmöglic­he Therapieen­tscheidung treffen.

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