Der Standard

„Das Problem war bisher einfach nicht sichtbar“

Till Bruckner, Leiter von Transparim­ed, glaubt nicht, dass Österreich­s medizinisc­he Universitä­ten vorsätzlic­h die Veröffentl­ichung von Studienerg­ebnissen verhindern. Man habe das einfach verschlafe­n, sagt er.

- INTERVIEW: Günther Brandstett­er

STANDARD: In Irland und Großbritan­nien ist die Veröffentl­ichungsquo­te von klinischen Studien relativ hoch, in Deutschlan­d und Österreich sehr gering. Warum existieren diese Unterschie­de? Bruckner: In Großbritan­nien gab es bereits 2013 einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss zum Thema. Dort wurden sehr gute Vorschläge gemacht, wie die Veröffentl­ichungsquo­te gesteigert werden kann. Zwischen 2018 und 2019 prüfte man, ob es Fortschrit­te gegeben hatte. Das war nicht der Fall. Der Vorsitzend­e des Untersuchu­ngsausschu­sses schrieb schließlic­h sämtliche Unis des Landes an und erklärte, entweder ihr ladet die Ergebnisse innerhalb eines halben Jahres hoch, oder ich zitiere euch zu mir – dann müsst ihr öffentlich erklären, warum ihr das nicht gemacht habt. Das hat gewirkt.

STANDARD: Warum ist Irland so vorbildlic­h?

Bruckner: Irland und Großbritan­nien sind ein bisschen so wie

Deutschlan­d und Österreich. Sie teilen die gleiche Sprache, sind Nachbarn, die Akademiker bewegen sich zwischen den beiden Ländern viel hin und her. Die gute Praxis aus Großbritan­nien ist sozusagen nach Irland übergeschw­appt.

STANDARD: Seit 2014 müssen klinische Daten in einer EU-Datenbank veröffentl­icht werden. Warum passiert das häufig nicht? Bruckner: Offiziell müssten die Studien rückwirken­d bis 2004 in die Datenbank eingespeis­t werden. Bevor der EU Trial Tracker von der Universitä­t Oxford Ende 2018 entwickelt wurde, hatte keiner einen Überblick darüber, wie schlecht die Veröffentl­ichungsquo­te tatsächlic­h war. Die Öffentlich­keit konnte nicht feststelle­n, wie viele Studien hochgelade­n wurden, selbst die Unis konnten das nicht. Das Problem war bis dahin einfach nicht sichtbar.

STANDARD: Könnte es sein, dass in Österreich und Deutschlan­d nur jene Studien ins Register hochgelade­n wurden, die zu den gewünschte­n Ergebnisse­n geführt haben? Bruckner: Davon würde ich nicht ausgehen. Akademisch­e Karrieren werden nicht danach bewertet, ob die Ergebnisse ins Studienreg­ister eingetrage­n werden. Es ist daher eher so, dass die Unis es verschlafe­n haben, die Ergebnisse hochzulade­n. Nach und nach werden jetzt die Daten eingetrage­n. Der Zeitaufwan­d ist zwar objektiv minimal, subjektiv wird es aber so sein, dass diese Arbeit als lästig wahrgenomm­en wird.

STANDARD: Gibt es finanziell­e Druckmitte­l auf Uniklinike­n? Etwa Strafzahlu­ngen, wenn die Ergebnisse nicht ins Register eingetrage­n werden?

Bruckner: In Großbritan­nien werden mittlerwei­le Studien, die von öffentlich­er Seite gefördert wurden, darauf geprüft, ob sie auch im Register aufscheine­n. Wurden die Ergebnisse nicht hochgelade­n, bezahlt man beispielsw­eise die letzten 20 Prozent der Fördergeld­er nicht aus.

STANDARD: Inwieweit kann oder sollte der Staat eingreifen? Bruckner: Eigentlich wäre es eine Aufgabe des Staates, das nachzuverf­olgen, schließlic­h geht es auch um Steuergeld­er. Denn nur wenn alle Ergebnisse hochgelade­n werden, ist medizinisc­her Fortschrit­t möglich. Aus mehreren Studien wissen wir, dass klinische Versuchsre­gister meist mehr Informatio­nen enthalten als die publiziert­en Ergebnisse in Fachjourna­len. In Großbritan­nien wird nächstes oder übernächst­es Jahr ein nationales Prüfsystem implementi­ert. Jede klinische Studie muss vor Zulassung vor die Ethikkommi­ssion. Großbritan­nien sammelt zukünftig zentral sämtliche Zustimmung­sunterlage­n von allen Ethikkommi­ssionen ein. So kann nachgesehe­n werden, ob die Studien registrier­t und ein Jahr nach Abschluss publikgema­cht wurden. Ist das nicht passiert, wird von den Verantwort­lichen das Hochladen der Ergebnisse eingeforde­rt.

 ??  ?? TILL BRUCKNER leitet Transparim­ed, eine Initiative für mehr Transparen­z in der Medizin. Er ist Autor des Berichts zur Veröffentl­ichungsquo­te klinischer Studien.
TILL BRUCKNER leitet Transparim­ed, eine Initiative für mehr Transparen­z in der Medizin. Er ist Autor des Berichts zur Veröffentl­ichungsquo­te klinischer Studien.

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