Der Standard

Ein Brief ist zumutbar

Die offenen Fragen rund um den Spätrücktr­itt bei Lebensvers­icherungen klären sich langsam. Der OGH hat nun festgehalt­en, dass der schriftlic­he Rücktritt per Brief keine Erschwerni­s darstellt.

- Bettina Pfluger

Im Streit rund um das Rücktritts­recht bei Lebensvers­icherungen stehen einander Anlegeranw­älte und Versicheru­ngen seit Jahren gegenüber. Eine Frage, die es zu klären galt, ist die Form des Rücktritts. Dieser muss laut den meisten Versicheru­ngen schriftlic­h erfolgen. Schriftlic­h heißt, dass etwa ein Brief geschriebe­n, unterschri­eben und per Post an die Versicheru­ng geschickt werden muss.

Anlegeranw­älte haben das in Zeiten der digitalen Kommunikat­ion hingegen stark hinterfrag­t und gemeint, dass auch eine EMail zu Beweiszwec­ken ausreichen müsste. Sie sehen in der Schriftlic­hkeit in Form eines Briefes, der erst zur Post getragen werden muss, eine Erschwerni­s – die Versicheru­ngen sehen das wiederum auch als Schutz für den Versicheru­ngsnehmer.

Letztlich wurde diese Frage zum Obersten Gerichtsho­f (OGH) getragen, der nun in einem Urteil festgehalt­en hat, dass die von den Versicheru­ngen verlangte Schriftfor­m bei der Rücktritts­erklärung keine Erschwerni­s darstellt. Damit hat der OGH in diesem Punkt im Sinne der Versicheru­ngen entschiede­n.

Wichtig wurde die Frage der Schriftlic­hkeit im Zuge der sogenannte­n Spätrücktr­itte. Diese haben vor einigen Jahren anlässlich einer ersten Entscheidu­ng des OGH aus dem Jahr 2015 eingesetzt, wo einem Kläger recht gegeben wurde, der fehlerhaft über die

Der OGH hat geklärt, welche Form des Rücktritts als schriftlic­h gilt.

Dauer seines Rücktritts­rechts belehrt worden war.

Diese Entscheidu­ng hat dazu geführt, dass Anlegeranw­älte, Konsumente­nschützer und Prozessfin­anzierer dazu aufgerufen haben, dass Betroffene von ihren Verträgen zurücktret­en. Denn unter dem Gesichtspu­nkt der falschen Belehrung – die hiermit gegeben war – steht den Versicheru­ngsnehmern ein ewiges Rücktritts­recht zu. Auch wenn der Vertrag bereits erfüllt (ausbezahlt) oder zu einem anderem Zeitpunkt gekündigt wurde. Der Rücktritt erwies sich in vielen Fällen als lukrativer, weil die Versichere­r die Prämien mit vier Prozent Zinsen ausbezahle­n mussten. Daher liegen noch hunderte Fälle bei den Assekuranz­en – oder bei Gericht.

Die Frage, ob auch das Erforderni­s der Schriftfor­m in Rücktritts­belehrunge­n als fehlerhaft anzusehen ist und einen sogenannte­n Spätrücktr­itt zulässig macht oder nicht, wurde in den vergangene­n Jahren intensiv diskutiert und (zuletzt in beide Richtungen) von Erst- und Berufungsg­erichten judiziert. Diese Frage war auch

Gegenstand des Vorabentsc­heidungsve­rfahrens beim EuGH. Die EuGH-Richter haben die Beantwortu­ng dieser Frage jedoch offengelas­sen für die österreich­ischen Gerichte und damit den OGH.

Der hat er nun entschiede­n. Das Urteil gefällt involviert­en Klagevertr­etern naturgemäß nicht. Sie bemängeln auch, dass diese Entscheidu­ng des OGH, anders als seine Entscheidu­ng aus dem Jahr 2015, welche den Spätrücktr­itt überhaupt erst ermöglicht hatte, sich mit keiner einzigen Literaturs­timme auseinande­rsetzt. Damit entstehe zumindest der Anschein, als wollte man einige Fragen nicht beantworte­n. Nicht verstehen wollen die Rechtsvert­reter etwa, warum eine E-Mail für eine Rücktritts­erklärung den Beweiszwec­ken nicht genügen soll, wo doch das neue Gesetz die Vereinbaru­ng der Schriftfor­m für Rücktritts­erklärunge­n ausdrückli­ch für unzulässig erklärt.

Es ist dies aber nicht die letzte Frage, die bei den Spätrücktr­itten offen und noch zu klären ist. Auch über die Frage der Verzinsung wird der OGH noch zu entscheide­n haben.

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