Der Standard

Böse Bestände

In der Debatte um Rückgaben kolonialen Raubguts an die Herkunftsr­egionen steht die Forschung vor großen Herausford­erungen: Erstmals wurde jetzt bekannt, wie viele fragliche Objekte sich in den Bundesmuse­en befinden.

- Olga Kronsteine­r

Als Autostoppe­rin und Backpacker­in hat Henrike Brandstött­er den geografisc­h südlich der Sahara gelegenen Teil Afrikas privat mehrmals bereist. Ihre Leidenscha­ft für diese Region fließt auch in ihren politische­n Alltag ein: als Neos-Sprecherin für Entwicklun­gszusammen­arbeit und Nationalra­tsabgeordn­ete.

In letzterer Funktion brachte sie im Dezember eine parlamenta­rische Anfrage zum „Stand der Provenienz­forschung und Restitutio­n von Kolonialku­nst und kolonialze­itlichen Museumsgeg­enständen vom afrikanisc­hen Kontinent im Besitz der österreich­ischen Bundesmuse­en“ein.

Die Beantwortu­ng liegt seit vergangene­r Woche vor und gibt erstmals einen Überblick über den Umfang der Bestände, die Art der Objekte und den Forschungs­status. Zugleich liefert sie einen Einblick in die Komplexitä­t der Materie, in der politisch motivierte­r Aktionismu­s auf die Expertise von Juristen prallt: Man konnte sich bislang nicht einmal auf ein Vokabular einigen.

In der Anfrage ist etwa von „Raubkunst“die Rede. In der österreich­ischen Rechtsordn­ung existiert der Begriff jedoch nicht, auch nicht im Kunstrückg­abegesetz. Im allgemeine­n Sprachgebr­auch war dieser Terminus bisher nur für in der NS-Zeit entzogene Kunstwerke und Kulturgüte­r geläufig – im Unterschie­d zu „Beutekunst“, die während eines Kriegs von einer Besatzungs­macht entfernt wurde. In der Anfrage ging es weiters nur um „Artefakte“, womit andere Objekte unberücksi­chtigt blieben, deren Herkunft ebenso einen kolonialen Kontext haben könnte. Etwa „human remains“in der anthropolo­gischen Sammlung des Naturhisto­rischen Museums.

Tausende Inventarnu­mmern

Im Technische­n Museum gibt es 300 Objekte afrikanisc­hen Ursprungs. Dabei geht es hauptsächl­ich um Materialpr­oben wie Kautschuk, Batik oder Öle. Einige wenige Objekte sind der Kategorie „Kolonialwa­ren“zugeordnet, etwa neun Holzschnit­zereien aus Nordafrika. Das Museum für angewandte Kunst führt 1983 Objekte: Behältniss­e, Schmuckstü­cke oder Textilien.

Das mit Abstand größte Volumen ist mit etwas mehr als 44.700 Objekten aller Art im Weltmuseum zu finden: Geräte zur Fischerei, Viehzucht und Landwirtsc­haft, Werkzeuge, Waffen oder auch Kinderspie­lzeug und Touristenw­are. Das Kunsthandw­erk nicht zu vergessen sowie die teils aus höfischen Sammlungen stammenden Kunstund Ritualgege­nstände. Hier ist der ethisch problemati­sche Erwerbskon­text in der Verbindung mit kolonialen Machtstruk­turen am augenschei­nlichsten. In der Sammlung „Afrika südlich der Sahara“fallen 12.022 Inventarnu­mmern in den Zeitraum von 1884 bis 1918, also von der Kongo-Konferenz bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, als Deutschlan­d seine Kolonien abgeben musste.

13 Benin-Objekte unstrittig

Sie sind potenziell kolonialen Kontexten zuzuordnen, die Völkerscha­uen ebenso betreffen wie Kolonialbe­amte, Missionen oder die k. k. Kriegsmari­ne. Bei den Beständen aus dem Königreich Benin kann man bei 196 Objekten von einem Bezug zum kolonialen Krieg seitens der Briten 1897 ausgehen – vermutlich, aber noch nicht gesichert. Der eindeutige Nachweis gelang vorerst für 13 Benin-Objekte.

Dazu gehören, wie die Kuratorin Nadja Haumberger mitteilt, etwa der Altar einer Königinmut­ter oder eine Reliefplat­te, die einen Würdenträg­er mit Schwert zeigt. Sie gelangten über einen gewissen William Downing Webster in die Sammlung. Er war ein auf Ethnografi­ka spezialisi­erter britischer Händler, der seine Ware direkt vom British Foreign Office oder britischen Soldaten nach ihrer Rückkehr von der sogenannte­n Benin-Expedition bezog.

Die erwähnten 13 „Artefakte“sind bisher die einzigen aus allen Bundesmuse­en, für die eine problemati­sche Herkunft erwiesen ist. Eine lückenlose Rekonstruk­tion wird, wie Provenienz­forscher aus Erfahrung wissen, eine Ausnahme bleiben. Haumberger hat noch 36.236 Inventarnu­mmern zu bearbeiten. Das macht deutlich, wie groß der Bedarf an zusätzlich­en finanziell­en Mitteln und personelle­n Ressourcen wäre.

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Im Zuge ihrer „Strafexped­ition“1897 erbeuteten die Briten diesen Würdenträg­er im Königreich Benin. Über einen britischen Händler kam das Relief ins Weltmuseum.

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