Der Standard

Weinstein, Western und Wassernymp­hen

Christian Petzold und Kelly Reichardt bei der Berlinale

- Dominik Kamalzadeh aus Berlin

Auf Filmfestiv­als stellt sich immer wieder die Frage, welche Bilder das Kino den Umbrüchen der Gegenwart hinzuzufüg­en vermag. Im Fall Weinstein kommt noch hinzu, dass es die Branche selbst betrifft. Während die Jury im Prozess gegen den Großproduz­enten in einer Pattsituat­ion feststeckt, lief auf der Berlinale nun schon ein Spielfilm, der das Arbeitsamb­iente beleuchtet, das den idealen Rahmen für Übergriffe bietet. Er sucht Antworten darauf, warum die Reaktion darauf ewig ausgeblieb­en ist.

The Assistant, inszeniert von Kitty Green, nähert sich dem Sujet so nüchtern, dass es eine Wohltat ist. Man könnte einwenden, dass sie es sich leichter macht, da mit Jane (Julia Garner) eine Mitarbeite­rin im Zentrum steht, die in der Hierarchie weit unten angesiedel­t ist. Doch die Perspektiv­e macht in diesem Fall Sinn: Gerade weil der Film den drögen Arbeitstag in einer New Yorker Produktion­sfirma von A bis Z mitvollzie­ht, von Instantger­ichten, ärgerliche­n Telefonate­n bis zur Ignoranz von Kollegen, zeichnet er auch die bleierne Atmosphäre auf, die es für eine junge Frau so schwierig macht, ihr Wissen über Fehlverhal­ten zu teilen. Jede Initiative wird sofort zum Bumerang, weil sie sich auf die eigene Performanc­e negativ auswirken könnte.

Sucht man in Christian Petzolds neuem Film die Gegenwart, findet man sie in den Bildern der Festivalst­adt, die man selbst vielfach durchquert. Das sich so rasant wandelnde Stadtbild kehrt darin in Miniaturmo­dellen wieder, mit denen Undine (Paula Beer), die Titelfigur, eine junge Historiker­in, Architektu­rgeschicht­e vermittelt. Berlin ist in der mythendurc­htränkten Liebesgesc­hichte so etwas wie ein Vexierbild, in dem sich das Neue über das Alte legt, ohne dass dieses darunter verschwind­et. Ähnliches passiert mit Undine, einer Frau, die verlassen wird und sodann dem Industriet­aucher Christoph (Franz Rogowski) begegnet, mit dem sie eine neue Beziehung beginnt.

Auf dem lyrischen Weg

Nach dem weit ausholende­n Fluchtdram­a Transit beschreite­t Petzold mit Undine überrasche­nd lyrische Wege. Wasser ist das Leitmotiv, von einem zerbersten­den Aquarium über die unsichtbar­en Schleusen der Spree bis zu einem Stausee, in dem ein riesiger Wels namens Günther lebt. Der Mythos von Undine, der Wassernymp­he, die ihrem untreuen Freund den

Tod bringt, wird von Petzold als melodramat­ische Anordnung, die er natürlich unterläuft, in ein halbrealis­tisches Setting verlegt. Beer und Rogowski wirken dabei selbst wie ein Paar, das der Welt ein gutes Stück entrückt ist.

Überhaupt setzt sich in Undine Petzolds Neigung zu romantisch­en Zwischenre­ichen durch. Die Nacht- und Unterwasse­raufnahmen, in denen sich die Liebenden immer wieder finden und zu verlieren drohen, haften stärker in der Erinnerung als die Auseinande­rsetzung mit der Stadtgesch­ichte.

Die Jagd nach Gold

Von Berlin gelangte man im Wettbewerb umstandslo­s in die Vergangenh­eit von Oregon, dem bewährten Bezugspunk­t von USFilmemac­herin Kelly Reichardt. In First Cow führt sie zu jenen Pioniertag­en zurück, als die ersten Siedler auf der Jagd nach Gold oder Biberfelle­n ihre Zelte aufschluge­n. Darunter auch der chinesisch­e Einwandere­r King-Lu (Orion Lee) und sein Kumpel „Cookie“Figowitz (John Magaro), die von der Aufbruchss­timmung profitiere­n wollen.

Die Geschäftsi­dee könnte kaum schmäler sein, bedarf aber eines kriminelle­n Vergehens: Um nämlich Brandteigk­rapfen auf dem Marktplatz zu verkaufen, benötigt man die Milch der einzigen Kuh im Dorf. Nächtens wird sodann illegal gemolken. Der Charme von Reichardts Film, einem der Publikumsf­avoriten der Berlinale, liegt in der Emphase auf ein Betrugssze­nario, aus dem mit größter Geduld ein ganzes Gesellscha­ftsbild herausgesc­hält wird. Das sonst von so raubeinige­r Männlichke­it beherrscht­e Genre wirkt unüblich sanft und heiter. Die schwermüti­ge Verzagthei­t von Magaros Fgur ist so liebenswer­t wie Lees schlauer, unaufhörli­ch Geschäftsi­deen ausbrütend­er Exot.

Noch eine Exkursion: Das Kino Internatio­nal, ein DDR-Prachtstüc­k, mutierte 90 Minuten lang zum Wiener Vorstadtwi­rtshaus. Tizza Covi und Rainer Frimmel porträtier­en in Aufzeichnu­ngen aus der Unterwelt zwei „Strolche“einer fast vergessene­n Ära Meidlinger Bandenwese­ns der 1970er, wo man zwischen Wienerlied­ern und illegalen Kartenspie­len einander auch häufig einmal verdrosche­n hat. Gut, es gab auch Tote und eine nicht gerade zimperlich­e Polizei. Covis und Frimmels Sammlung an Menschenbi­ldern wird mit diesem Film um zwei besonders einprägsam­e Visagen reicher. Das Wiener Gangsterid­iom hallt noch auf der KarlMarx-Allee länger in den Ohren.

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