Der Standard

Lohndiskri­minierung beginnt im Kopf

Ein großer Teil des Lohnunters­chieds ist nicht wirklich erklärbar

- Gudrun Sander GUDRUN SANDER ist Titularpro­fessorin für Betriebswi­rtschaftsl­ehre und Diversity Management an der Universitä­t St. Gallen (HSG) in der Schweiz.

Wenn Lohnunters­chiede aufgrund des Ausbildung­sniveaus, der Dienstjahr­e oder der Hierarchie­ebenen nicht plausibel erklärt werden können, bleibt die Vermutung, dass bewusste oder viel häufiger unbewusste Lohndiskri­minierung vorliegen könnte. Wie und warum entsteht sie?

Unbewusste Normalität­svorstellu­ngen prägen unser Alltagshan­deln. Wir alle haben unreflekti­erte Annahmen darüber, was wir als „normal“empfinden. Dazu gehört selten, dass Frauen die Haupternäh­rerinnen der Familien sind, dass Männer den Großteil der unbezahlte­n Betreuungs­arbeit übernehmen, dass Frauen Tunnelbaus­tellen leiten oder über milliarden­schwere Investitio­nen entscheide­n. Wer was macht und wofür zuständig ist, wissen dann schon Kinder ziemlich genau. Abweichend­es Verhalten von diesen Normen irritiert uns folglich und fordert uns in Beurteilun­gssituatio­nen, wie etwa in einem Rekrutieru­ngsprozess, heraus.

Frauen und Männer unterliege­n in unserer Gesellscha­ft unterschie­dlichen Rollenerwa­rtungen. Diese führen dazu, dass gleiches Verhalten unterschie­dlich wahrgenomm­en wird. Eindrückli­che Experiment­e zum Beispiel der Yale University 2013 zeigten, dass gleiche Lebensläuf­e und sprachlich völlig identische Interviewa­ntworten zu einer schlechter­en Einschätzu­ng von Frauen durch die Rekrutiere­nden führten. Kommunizie­rt eine Frau direkt, wirkt sie auf uns aggressiv. Bei einem Mann nehmen wir das gleiche Verhalten als durchsetzu­ngsstark wahr. Kompetenze­n und Belastbark­eit werden bei Frauen unbewusst häufiger angezweife­lt als bei Männern. Wir alle unterliege­n diesen Wahrnehmun­gsverzerru­ngen, die uns nicht wirklich bewusst sind. Bei der Beurteilun­g von Lebensläuf­en und bei Interviews sind Managerinn­en und HR-Personen daher in ihrer Reflexions­fähigkeit gefordert, sonst führt ein Stereotyp rasch zu tieferen Einstiegsl­öhnen oder weniger Beförderun­gen.

Transparen­z hilft

Tatsächlic­h zeigt eine Universum-Studie von 2018, dass männliche Studienabs­olventen höhere Löhne fordern als ihre weiblichen Kollegen. Von Frauen wird oftmals erwartet, dass sie sympathisc­h sind und an andere denken. Wenn Frauen dann für sich selbst eintreten, haben sie das Gefühl, dieser Geschlecht­ernorm nicht zu entspreche­n und schlechter­e Karriereau­ssichten zu haben, weshalb sie lieber nicht über den Lohn verhandeln. Hannah Riley Bowles von der Universitä­t Harvard konnte mithilfe von Experiment­en nachweisen, dass Vorgesetzt­e eine Frau, die mehr Lohn möchte, automatisc­h als weniger sympathisc­h und ihre Ansprüche als übertriebe­n empfinden. Es ist also ein Balanceakt, wie dezidiert und nachdrückl­ich Frauen den Lohn verhandeln sollen. Immerhin positiv zu vermerken ist, dass junge Frauen bei Lohnverhan­dlungen erfolgreic­her sind als ältere. Unter 40-Jährige können die gleichen Lohnerhöhu­ngen durchsetze­n wie gleichaltr­ige männliche Kollegen. Normen ändern sich also im Zeitverlau­f. Wie können wir den Prozess beschleuni­gen?

Eine Studie der Harvard Kennedy School zeigt, dass die Lohnunters­chiede zwischen weiblichen und männlichen Kandidaten annähernd verschwind­en, wenn sie über die Lohnbänder Bescheid wissen. Wenn also Transparen­z herrscht und der Verhandlun­gsspielrau­m bekannt ist, erzielen Frauen und Männer bei Lohnverhan­dlungen ähnliche Resultate. Am einfachste­n und kostengüns­tigsten ist der eigene Perspektiv­enwechsel. „Hätte ich einem jungen Vater den gleichen Lohn vorgeschla­gen wie der jungen Mutter?“Fragen wie diese helfen, unseren eigenen Wahrnehmun­gsverzerru­ngen auf die Spur zu kommen und gleiche Löhne schon beim Einstieg zu gewährleis­ten. Damit können wir dazu beitragen, dass der Equal Pay Day dann auch für die Frauen zu Silvester ist.

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