Der Standard

Staatsanwä­lte und das Gängelband der Politik

Politische Einflussna­hme und lange Verfahrens­dauer, darum drehte sich die von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz losgetrete­ne Justizdeba­tte. Ein Vorschlag, wie sich beides ohne großen Aufwand verhindern ließe.

- Richard Soyer, Philip Marsch

Julius Ritter von Glaser, der Schöpfer der Strafproze­ssordnung 1873, die in grundlegen­den Regelungsi­nhalten heute noch in Geltung ist, meinte einst: „Erst der vom Richter völlig unabhängig­e Ankläger ermöglicht die volle Unabhängig­keit des Richters.“Zugleich stellte er klar, dass die Staatsanwa­ltschaften (StA) nicht frei und unkontroll­iert mit den Strafgeset­zen schalten und walten dürfen. Damit war und ist die Fach- und Dienstaufs­icht sowie die Kontrolle über Staatsanwä­lte gemeint. Diese dirigiert das Justizmini­sterium, die Bundesmini­sterin ist als Weisungssp­itze und oberstes Exekutivor­gan dem Parlament verantwort­lich.

Seit langer Zeit ist dies ein großer Zankapfel in der Justizpoli­tik – nicht zuletzt deshalb, weil schon die bloße Möglichkei­t und der damit verbundene Anschein politische­r Einflussna­hme rechtsstaa­tlich problemati­sch sind. Mit Inkrafttre­ten der umfassende­n Reform des strafrecht­lichen Ermittlung­sverfahren­s 2008 haben Staatsanwä­lte mehr Macht und Einfluss auf den Gang eines Strafverfa­hrens erhalten, zugleich wurden die Verteidigu­ngsrechte gestärkt. Die seither umso mehr gebotene Einräumung und Absicherun­g von staatsanwa­ltschaftli­cher Unabhängig­keit lässt aber auf sich warten. Auch ausufernde Berichtspf­lichten und besonders gründliche Bearbeitun­gen auf der Weisungsst­recke zum und im Justizmini­sterium sind für sich genommen wegen ihres entschleun­igenden Effekts problemati­sch. Besonders bemerkensw­ert ist, dass sich im türkis-grünen Regierungs­programm

zur überfällig­en Abschaffun­g oder Neutralisi­erung der politische­n Weisungssp­itze kein Wort findet.

Nun ist wieder einmal die ministerie­lle Weisungssp­itze ins Gerede gekommen: „Höflichkei­ten“gegenüber mächtigen politische­n Playern mit Beschuldig­tenstatus irritieren ebenso wie ein Hinterzimm­ergespräch mit Medienvert­retern. Ein Schelm, wer darüber zu grübeln beginnt, ob Rechtsstaa­tlichkeit zu einer Worthülse verkommen und in den realpoliti­schen Überlegung­en kein ernst genommener Eckpfeiler (mehr) ist.

Langer Weisungswe­g

Faktum ist: Es sind gerade die komplexen, grenzübers­chreitende­n Strafsache­n, „an denen wegen der Bedeutung der aufzukläre­nden Straftat oder der Funktion des Verdächtig­en im öffentlich­en Leben ein besonderes öffentlich­es Interesse besteht“, welche als aufsehener­regende, sogenannte clamorose Verfahren einer Berichtspf­licht nach Paragraf 8 des Staatsanwa­ltschaftsg­esetzes unterliege­n und regelmäßig Gegenstand von Berichtspf­lichten an und Weisungen der Oberbehörd­en sind. Und das sieht dann so aus:

Die StA berichtet an eine der vier Oberstaats­anwaltscha­ften (OStA). Die österreich­weit zuständige Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft in Wien (WKStA) berichtet an die OStA Wien. Die OStAs berichten an das Justizmini­sterium. Weisungen gehen dann denselben Weg hinunter, wobei das Ministeriu­m die OStAs nicht übergehen darf, also den StA und der WKStA keine unmittelba­re Weisung erteilen darf. Weisungen sind grundsätzl­ich schriftlic­h zu erteilen und zu begründen. Ein mehrfaches Auf und Ab im Weisungswe­g kommt durchaus vor. Auch in Dienstbesp­rechungen können solche wesentlich­en Weichenste­llungen für ein Verfahren erfolgen. Das BMJ hat dem Parlament jährlich über Weisungen des BMJ in beendeten Verfahren zu berichten und diese somit zu veröffentl­ichen.

Die Generalpro­kuratur steht als höchste staatsanwa­ltschaftli­che Behörde zwar außerhalb der Berichts- und Weisungshi­erarchie, ihr Behördenle­iter ist aber ex lege Vorsitzend­er des bei ihr angesiedel­ten Beirats für den ministerie­llen Weisungsbe­reich. Auch dieser Weisungsra­t steht außerhalb der formellen Hierarchie, ihm kommt aber ein qualifizie­rtes Anhörungsr­echt zu. Trägt die ministerie­lle Weisungssp­itze der Äußerung des Weisungsra­ts nicht Rechnung, ist dieser Umstand samt Begründung an das Parlament zu berichten und somit zu veröffentl­ichen, der Weisungsra­t kann seine Äußerung aber auch aus eigenem Antrieb veröffentl­ichen.

Es ist zwar von den StA nicht jeder einzelne Schritt, sondern nur noch Neuralgisc­hes zu berichten. Dass das Berichts(un)wesen aber nicht zur Verfahrens­beschleuni­gung beiträgt, liegt auf der Hand. Durch das – oftmals erstaunlic­h lange – Abliegen von Akten am Weisungswe­g und im Ministeriu­m ist schon so mancher Beschuldig­ter mürbe geworden. Das sind unvertretb­are Verletzung­en des Beschleuni­gungsgebot­s und somit schwerwieg­ende Menschenre­chtsverlet­zungen.

Petition an Abgeordnet­e

Dazu kommt, dass eine politische Weisungssp­itze clamorose Fälle zumindest mit dem Anschein politische­r Einflussna­hme befleckt. Die Große Kammer des Gerichtsho­fs der Europäisch­en Union hat kürzlich das Selbstvers­tändliche festgestel­lt: Eine Anklagebeh­örde, die „unmittelba­r oder mittelbar Anordnunge­n oder Einzelweis­ungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizmini­sters, unterworfe­n“ist, kann nicht als unabhängig­e Justizbehö­rde gelten. Da hilft es auch nicht, dass die Verfassung Staatsanwä­lte seit 2014 als Organe der ordentlich­en Gerichtsba­rkeit definiert.

Wir wollen nun annehmen, dass der Bundeskanz­ler und seine ebenso unzuständi­ge EuropaKanz­leramtsmin­isterin in ihrer Kritik auf den Ausschluss politische­r Einflussna­hme und Reduktion der Verfahrens­dauer abzielten. Das ließe sich nüchtern betrachtet ohne großen Aufwand und mit Kostenersp­arnis realisiere­n. Und wenn es die Regierung nicht hinkriegt, könnte ja auch ein Initiativa­ntrag aus dem Kreis der Nationalra­tsabgeordn­eten zumindest einmal einen Anker in der politische­n Diskussion setzen:

Im Ministeriu­m verbleibt ein generelles Weisungsre­cht in Form von Erlässen. Für einzelfall­bezogene Weisungen werden jedoch aus dem Kreis von Staatsanwä­lten und Richtern die Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ften als oberste Weisungssp­itze vom Parlament für sechs Jahre bestellt und können einmal wiederbest­ellt werden. Für einen Weisungsra­t besteht keine Notwendigk­eit mehr. Das Justizbudg­et wird entlastet. Die Einsparung­en werden für eine bessere Ausstattun­g der Justiz verwendet.

Die Dauer clamoroser Ermittlung­sverfahren ließe sich so leicht und kostensenk­end um ein Viertel, in Einzelfäll­en deutlich mehr, verkürzen. Damit wäre eine – oftmals als Flaschenha­ls kritisiert­e – Weisungseb­ene eliminiert, ohne dass die grundsätzl­iche politische Lenkungsbe­fugnis infrage gestellt würde. Derartige Ermittlung­sverfahren könnten rascher und effektiver erledigt werden. Das muss nicht immer Einstellun­g bedeuten. Daher fürs Poesiealbu­m: „Be careful what you wish for – it just might come true.“

RICHARD SOYER und PHILIP MARSCH sind Rechtsanwä­lte in Wien, Soyer ist zudem Strafrecht­sprofessor an der JKU Linz.

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Aussprache bei Kanzler Kurz mit den Ministerin­nen Karoline Edtstadler und Alma Zadić.

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