Der Standard

Die Zerstörer des Kreisky-Erbes

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Ein halbes Jahrhunder­t nach dem ersten epochalen Wahlsieg Bruno Kreiskys, der drei Jahre zuvor bei einer Kampfabsti­mmung zum SPÖ-Vorsitzend­en gewählt wurde, und fast dreißig Jahre nach seinem Tod ist die Faszinatio­n dieses Mannes ungebroche­n. Das beweist die Flut von Büchern (zuletzt Kult-Kanzler Kreisky von Christoph Kotanko) und Artikeln aus Anlass der diversen runden Jahrestage. Heute wird allgemein anerkannt, was Armin Thurnher im Jahr 2000 festgestel­lt hat: Kreisky sei „im Urteil von Kritikern und Wegbegleit­ern der bedeutends­te Politiker, den das Österreich der beiden Republiken hervorgebr­acht hat“. er Großbürger jüdischer Herkunft war vor allem der Sieger. Er hatte seine Partei zu einer in der modernen europäisch­en Geschichte einzigarti­gen Serie von fünf Wahlsiegen (auch zur dreimalige­n Erringung der absoluten Mehrheit der Mandate und der Wählerstim­men) geführt. Dass der kranke Kreisky nach seinem Rücktritt 1983 durch maßlos übertriebe­ne Formulieru­ngen, vor allem gegen den zeitweilig­en Rivalen und Mitarchite­kten der außerorden­tlichen Erfolge, Hannes Androsch, sein eigenes Denkmal zum Teil zerstört hat, ändert im Rückblick kaum etwas an seiner historisch­en Größe,

Dderen Kriterium im Sinne Jacob Burckhardt­s Weltgeschi­chtlichen Betrachtun­gen nicht bloß Machtversc­hiebung, sondern die grundlegen­de Veränderun­g der gesellscha­ftlichen Strukturen und des gesellscha­ftlichen Bewusstsei­ns ist.

Auch in der Kreisky-Ära blieben jedoch zum Wohl Österreich­s der Kompromiss und die Dialogbere­itschaft die Grundlagen der liberalen Demokratie und der Sozialpart­nerschaft, dieser zutiefst österreich­ischen Besonderhe­it. Kreisky nannte die Interessen­konflikte zwischen Gewerkscha­ften und Unternehme­rverbänden einen „sublimiert­en Klassenkam­pf“am grünen Tisch. Die wirtschaft­lichen und außenpolit­ischen Erfolge der Zweiten Republik

wären ohne den gewaltfrei­en Ausgleich der Interessen und damit ohne ein annähernd gerechtes Zusammenle­ben, auch während der nachfolgen­den SPÖ- und ÖVP-Bundeskanz­ler, nicht möglich gewesen. Die von den Wählern legitimier­te, gemäßigte Mitte-links-Kraft hat zu der im Ausland oft beneideten sozialen Stabilität beigetrage­n. Deshalb sehen auch unabhängig­e Beobachter den desaströse­n Zustand der österreich­ischen Sozialdemo­kratie mit Sorge. ach der kabarettre­ifen Flucht ihres würdelos gescheiter­ten Vorgängers hat sich die Wahl von Pamela Rendi-Wagner zur SPÖ-Vorsitzend­en auch als eine gewaltige Fehlkalkul­ation herausgest­ellt.

NZum Teil wurde die politisch völlig unerfahren­e Ärztin, die erst als Frauen- und Gesundheit­sministeri­n den Weg zur SPÖ-Mitgliedsc­haft gefunden hat, in den vierzehn Monaten an der Parteispit­ze von Anfang an und immer wieder öffentlich von intrigante­n Spitzengen­ossen abmontiert. Verbissen hat sie nun hinter dem Rücken der gewählten Parteigrem­ien auf eigene Faust inmitten des Wiener Wahljahres eine Vertrauens­abstimmung über ihre Führungsko­mpetenz unter den SPÖ-Mitglieder­n ausgerufen. Ihr selbstmörd­erisches Experiment könnte diese traditions­reiche Partei zu einer linken Sekte degradiere­n. Die SPÖ braucht einen Neustart – aber ohne die gescheiter­te Quereinste­igerin.

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