Der Standard

Im Pan-Cancer-Projekt haben Forscher das Genom verschiede­ner Tumorarten entschlüss­elt.

Das globale Pan-Cancer-Projekt entschlüss­elte das Genom verschiede­ner Tumorarten, ein Meilenstei­n für die Krebsforsc­hung.

- Friederike Schlumm

Krebs entsteht, wenn Körperzell­en außer Kontrolle geraten. Sie vermehren sich ungehinder­t, wodurch bösartige Wucherunge­n, Tumoren, auftreten. Diesem Verhalten geht immer eine genetische Veränderun­g, eine Mutation, voraus.

Mutationen sind in unseren Zellen eigentlich an der Tagesordnu­ng. Doch hin und wieder verändern sich Gene in einer Weise, die der Zelle einen Vorteil gegenüber den anderen Zellen im Gewebe verschafft. Das ist Evolution im Miniaturfo­rmat. Die Zelle vermehrt sich schneller, verdrängt die anderen Zellen. Es entwickelt sich eine Krebserkra­nkung.

Sieben Jahre für einen Datenberg

Nicht jeder Krebs ist gleich, doch gibt es auch Gemeinsamk­eiten. Um diesen auf den Grund zu gehen, wurde im Jahr 2013 das Pan-Cancer-Projekt des Internatio­nal Cancer Genome Consortium (ICGC) gestartet, dessen erste Ergebnisse Anfang Februar in einer Sonderausg­abe des Fachmagazi­ns Nature veröffentl­icht wurden.

Es war eine Mammutaufg­abe, der sich die Krebsforsc­her unter der Leitung des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg stellten: Um die Erbinforma­tion von 38 Krebsarten zu entschlüss­eln, arbeiteten über 1300 Wissenscha­fter aus 37 Ländern zusammen. Mit den Tumoren und Vergleichs­geweben von 2600 Patienten erstellten sie einen Datensatz in der Größe eines Petabytes. Ein Petabyte sind 1.000.000.000.000.000 Byte, also eine Eins mit 15 Nullen.

Für das Projekt wurden Patientinn­en und Patienten verschiede­ne Krebsgeweb­e entnommen. Danach wurde das Genom der Tumoren sequenzier­t. Man kann in der Erbinforma­tion der Zellen lesen wie in einem Buch. Dieses hat beim Menschen immerhin über drei Milliarden Buchstaben.

Das Tumorgenom wurde schließlic­h mit dem Genom gesunder Zellen verglichen, um die erfolgten Veränderun­gen zu finden. Dies brachte bereits einige interessan­te Erkenntnis­se. Trotz der zu erwartende­n individuel­len Unterschie­de konnten die meisten Tumoren auf eine Handvoll von Mutationen zurückgefü­hrt werden, die den Krebs verursacht hatten. Einige davon befanden sich nicht direkt in den Genen, sondern in Bereichen, die deren Aktivität steuern.

Blick in die Vergangenh­eit

Aus den Daten können die Wissenscha­fter auch herauslese­n, in welcher Reihenfolg­e bestimmte Veränderun­gen stattfinde­n. Wenn eine Mutation in allen Zellen, eine andere aber nur in wenigen zu finden ist, kann man davon ausgehen, dass sie nacheinand­er passiert sind. Mit diesen Informatio­nen kann man die Geschichte des Tumors rekonstrui­eren.

Zudem fanden die Forscher heraus, dass die Schnelligk­eit, in der mehrere Mutationen nacheinand­er im Krebsgeweb­e entstehen, offenbar auch von genetische­n Veranlagun­gen beeinfluss­t wird. Ein erhöhtes Risiko für eine Tumorerkra­nkung ist demzufolge vererbbar.

Zu den häufig beobachtet­en Veränderun­gen gehören Gene, die die Krebszelle­n unsterblic­h machen. Normalerwe­ise haben unsere Körperzell­en eine eingebaute Abschaltei­nrichtung, die eine weitere Zellteilun­g unterbinde­t. Tumorzelle­n sind in der Lage, diese Abschaltun­g zu umgehen und sich ungehinder­t zu vermehren. Diese Tumormutat­ionen kommen besonders in Geweben vor, in denen normalerwe­ise keine Zellteilun­g mehr stattfinde­t.

Das Pan-Cancer-Projekt ist ein Meilenstei­n für die Krebsforsc­hung, doch viele Fragen sind weiterhin offen. Die Daten wurden aufbereite­t und in einer Art digitaler Bibliothek öffentlich für Forscher aus aller Welt zur Verfügung gestellt. In Zukunft sollen weitere Patientend­aten erhoben werden. Dabei geht es nicht nur um die Diagnose verschiede­ner Tumorarten, sondern auch um deren Verläufe und die Erfolge von Therapiean­sätzen.

Christine Haberler von der Abteilung für Neuropatho­logie und Neurochemi­e der Med-Uni Wien sieht ein großes Potenzial der neuen Daten für die Krebsforsc­hung. Die Neuropatho­login ist die Leiterin des österreich­ischen neuropatho­logischen Referenzze­ntrums für kindliche Hirntumore­n.

Für ihre eigene Forschung sei natürlich vor allem der Teil des Datensatze­s interessan­t, der Gehirntumo­ren behandelt. Aber auch der Vergleich zu anderen Krebsarten ist wichtig. „Man muss in der Krebsforsc­hung auch immer nach links und rechts schauen, da Erkenntnis­se auch für die eigene Forschung bedeutsam sein können“, so Haberler.

Der Trend in der Krebsmediz­in geht dahin, aufgrund des genetische­n Profils des Tumors eine speziell auf den Patienten zugeschnit­tene Therapie anzubieten. Dies ist der Kern einer personalis­ierten Medizin.

Früherkenn­ung und Vermeidung

Doch auch für die Vorsorge liefern die Daten neue Erkenntnis­se. Bestimmte Mutationen geschehen bereits Jahre vor dem Auftreten von Tumoren. Diese speziellen Muster seien laut Haberler als sogenannte Biomarker sehr spannend für die Entwicklun­g neuer Methoden der Früherkenn­ung. Sogar Impfungen gegen Krebs, wie sie vom aus Wien stammenden Immunonkol­ogen Christoph Huber in Mainz bei Blutkrebs entwickelt werden, seien denkbar.

Neben vererbbare­n Risikofakt­oren fanden die Wissenscha­fter vom Pan-CancerProj­ekt auch Hinweise auf Mutationsm­uster, die sich auf äußere Faktoren des Lebensstil­s zurückführ­en lassen könnten. Diese Erkenntnis­se können bei der Vermeidung von Krebserkra­nkungen und der Einschätzu­ng von Risiken helfen.

Trotz der enormen Größe des Datensatze­s handelt es sich doch nur um einen Ausschnitt, gibt Christine Haberler zu bedenken. Allein bei den Gehirntumo­ren gebe es 100 verschiede­ne Arten. „Forschung kann man sich wie ein Puzzle vorstellen, bei dem viele kleine Puzzlestei­ne ein Gesamtbild ergeben. Das ist jetzt sicher ein sehr großes Stück, eine ganze Insel aus mehreren Steinen. Aber es fehlen noch andere.“

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 ??  ?? Zufällige Veränderun­gen in der DNA wie das Austausche­n einzelner Buchstaben oder das Umsortiere­n ganzer Abschnitte stehen häufig am Anfang einer Tumorerkra­nkung
Zufällige Veränderun­gen in der DNA wie das Austausche­n einzelner Buchstaben oder das Umsortiere­n ganzer Abschnitte stehen häufig am Anfang einer Tumorerkra­nkung

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