Der Standard

Das japanische Geschenk

Als sich Japan vor 150 Jahren erstmals dem Westen öffnete, konnte man Relikte leicht käuflich erwerben. Heinrich von Siebold hat zugegriffe­n und damit eine Sammlung geschaffen, die nun in Wien zu sehen ist.

- Doris Griesser

Er war gerade einmal 17 Jahre alt, als er 1869 von Deutschlan­d nach Japan ging, um dort seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen. Sein Vater, der Arzt und Japanforsc­her Philipp Franz von Siebold, war wenige Jahre zuvor gestorben, und Heinrich musste die Schule aus Geldmangel abbrechen. In Japan hatte der bekannte Mittler zwischen den Kulturen seinen beiden Söhnen zumindest einen guten Namen hinterlass­en. Der ältere, Alexander, war bereits mit 15 zum offizielle­n Dolmetsche­r des britischen Konsulats in Edo (dem heutigen Tokio) ernannt worden, und so versuchte auch Heinrich sein Glück in diesem fernen, geheimnisv­ollen Land.

Die vom Vater ererbten Beziehunge­n stellten sich als brauchbare Starthilfe heraus, und so wurde der sprachbega­bte junge Mann tatsächlic­h bald von der neugegründ­eten österreich­isch-ungarische­n Gesandtsch­aft in Edo als Übersetzer eingestell­t. Seine abgebroche­ne Schullaufb­ahn war offenbar kein Hindernis, allerdings sollten ihm die höheren Ränge im diplomatis­chen Dienst deshalb sein ganzes Leben lang verschloss­en bleiben. Immerhin wird Heinrich von Siebold der Freiherren­titel verliehen, als er dem Kaiser Franz Joseph nach fast 20 Jahren in Japan einen großen Teil seiner japanische­n Sammlung für das k. u. k. Naturhisto­rische Museum schenkt. Im Weltmuseum Wien können nun rund 200 Objekte dieser beeindruck­enden Sammlung aus der sogenannte­n Meiji-Zeit besichtigt werden.

Wandlung zur Großmacht

„In der von 1868 bis 1912 dauernden Meiji-Periode wandelte sich Japan vom Feudalstaa­t zur modernen Großmacht, die sich erstmals der Welt öffnet“, erklärt die Ostasien-Kuratorin Bettina Zorn. „Diese Zeit des Übergangs vom Shogunat zu einer neuen Politik der Öffnung, aber auch eines rigiden Nationalis­mus brachte tiefgehend­e gesellscha­ftliche Umwälzunge­n mit sich.“Viele Kult- und Gebrauchsg­egenstände der Shogun-Zeit wurden nicht mehr benötigt und konnten von Sammlern wie Heinrich von Siebold erworben werden. Die Wiener Ausstellun­g umfasst Objekte aus allen Bereichen des Alltagsleb­ens: Keramik, Textilien, religiöse Objekte, Musikinstr­umente, landwirtsc­haftliche Geräte etc. Besonders beeindruck­end ist eine über zwei Meter hohe vergoldete Buddha-Skulptur. „Der Wechsel von der Edo- zur Meiji-Periode brachte in religiöser Hinsicht eine dezidierte Bevorzugun­g des Shintoismu­s gegenüber dem Buddhismus mit sich“, so Bettina Zorn. „Viele buddhistis­che Tempel wurden geschlosse­n oder verloren ihre Anhänger und verfielen aus finanziell­en Gründen.“

Buddhistis­che Skulpturen, Malereien und Kultgeräte aus den Tempeln hat man zerstört, weggeworfe­n oder einfach billig verkauft. Genau in dieser historisch­en Umbruchpha­se kam Heinrich nach Japan und begann mit dem Aufbau seiner Sammlung. Nur 25 Jahre war dieses Zeitfenste­r geöffnet, denn bereits in den 1890er-Jahren schaltete sich der von Europa inspiriert­e japanische Denkmalsch­utz in die heftigen Sammlerakt­ivitäten der Ausländer ein und erschwerte beziehungs­weise verhindert­e fortan den Export japanische­r Kulturgege­nstände.

In der Ausstellun­g des Weltmuseum Wien sind auch zahlreiche traditione­lle Musikinstr­umente zu sehen. Darunter einige ziemlich ausgefalle­ne Kreationen wie etwa eine Brettzithe­r aus dem 19. Jahrhunder­t. „Die japanische Musik war über Jahrhunder­te stark von der chinesisch­en Tradition beeinfluss­t“, berichtet die Kuratorin Bettina Zorn. „Erst in der Meiji-Periode kamen dann auch europäisch­e Musikstile und Instrument­e wie etwa der Flügel oder die Geige nach Japan.“Damit die Besucher einen Eindruck vom Klang dieser Zeit bekommen, werden in der Ausstellun­g Musikbeisp­iele zu hören sein.

Wie stark sich der politische und gesellscha­ftliche Wandel Japans im Stil unterschie­dlichster Gebrauchs- und Kunstgegen­stände niederschl­ägt, zeigt sich auch im Bereich der Keramik. So findet man beispielsw­eise deutlich von deutschen oder französisc­hen Manufaktur­en beeinfluss­te Objekte. „Im Zuge von Weltausste­llungen oder als Geschenke von europäisch­en Herrscherh­äusern gewannen europäisch­e Keramiken in Japan als Vorlagen an Bedeutung“, erklärt Bettina Zorn. Und mit den Einflüssen aus Europa ändert sich allmählich auch der Geschmack der Japaner.

Umgekehrt ließen sich aber auch die Europäer gern vom japanische­n Kunsthandw­erk inspiriere­n, das sie zum Beispiel auf der Weltausste­llung 1873 in Wien zu sehen bekamen. An dieser in Europa ersten Präsentati­on der einstmals abgeschott­eten Nation waren Heinrich und sein Bruder Alexander sehr aktiv beteiligt. Heinrich von Siebold begleitete die japanische Delegation als Dolmetsche­r

und knüpfte bei dieser Gelegenhei­t auch Kontakte zu den Wiener Museen. Zehn Jahre später organisier­te er die erste Ausstellun­g seiner Sammlung in Wien. Heinrichs Angebot, diese dem österreich­ischen Staat zu verkaufen, wurde allerdings abgelehnt. Letztlich entschied er sich für eine Schenkung und die damit verbundene Verleihung des Adelstitel­s.

Die Weltabgesc­hlossenhei­t Japans war übrigens bereits vor der Öffnung des Inselstaat­s in Richtung Westen während der MeijiPerio­de eine durchaus relative, wie die Ostasien-Kennerin und Sinologin Zorn betont. Immerhin sei die japanische Kultur jahrtausen­delang sehr nachhaltig von der chinesisch­en beeinfluss­t worden: „Der Buddhismus etwa kam über Indien von China nach Japan, und auch allgemein als typisch japanisch Erachtetes wie Ikebana oder die Teezeremon­ie sind eigentlich chinesisch­en Ursprungs“, erklärt Bettina Zorn.

Interesse an Umbruchzei­t

Bis vor zwei Jahrzehnte­n haben die Japaner den europäisch geprägten Meiji-Stil nicht sehr geschätzt. Inzwischen aber sei das Interesse an dieser Umbruchzei­t deutlich gewachsen, vielmehr gebe es auch japanische Forschungs­gelder zur umfassende­n Erkundung dieser historisch­en Periode sowie zum Aufbau entspreche­nder Materialda­tenbanken. So fließen in die aktuelle Ausstellun­g auch Ergebnisse eines großen Siebold-Forschungs­projekts ein, an dem Bettina Zorn gemeinsam mit rund 20 Kollegen vom National Museum of Japanese History sowie von verschiede­nen japanische­n Universitä­ten noch bis 2023 arbeiten wird. Im März steht zudem ein internatio­nales Symposium über Heinrich von Siebold auf dem Programm.

Der leidenscha­ftliche Sammler und Archäologe wurde nur 56 Jahre alt. Für seinen frühen Tod war vermutlich ein schweres Magenleide­n verantwort­lich, an dem er 1908 auf seinem Schloss Freudenste­in in Südtirol starb. In den Ruhestand trat er wegen seiner angegriffe­nen Gesundheit bereits zehn Jahre zuvor. Er verließ Japan und damit auch seine (in Europa offiziell nicht als solche anerkannte) japanische Ehefrau Hana, mit der er mehrere Kinder hatte. Deren Nachfolger­in und anerkannte Gattin wurde eine reiche britische Witwe, die auch das Schloss bei Bozen kaufte. Ein Jahr nach Heinrich von Siebolds Tod wurden die etwa 8000 japanische­n Objekte, die er dorthin mitgenomme­n hatte, in Wien versteiger­t, danach waren sie in alle Winde verstreut. Zumindest einen Teil davon aufzuspüre­n wird Bettina Zorn und ihre Kollegen wohl noch viele Jahre beschäftig­en.

„Japan zur Meiji-Zeit – Die Sammlung Heinrich von Siebold“. Die Ausstellun­g läuft noch bis zum 10. Mai 2020 im Weltmuseum Wien.

 ??  ?? Ein Bild des Sammlers: Heinrich Freiherr von Siebold in japanische­r Tracht, 1897.
Ein Bild des Sammlers: Heinrich Freiherr von Siebold in japanische­r Tracht, 1897.
 ?? Foto: KHM-Museumsver­band ?? Ein Schmuckstü­ck aus der Sammlung.
Foto: KHM-Museumsver­band Ein Schmuckstü­ck aus der Sammlung.

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