Der Standard

Das künstliche Auge für Kunststoff­e

Automatisi­erte Qualitätsk­ontrolle spielt in der industriel­len Fertigung eine große Rolle. Leobener Forscher setzen künstliche Intelligen­z ein, um Oberfläche­nfehler von Werkstücke­n flexibel erkennen zu können.

- Alois Pumhösel

Zwei wichtige Anwendunge­n von künstliche­r Intelligen­z (KI) in der Industrie bilden die Qualitätsk­ontrolle und die vorausscha­uende Wartung. In dem einen Fall wird automatisc­h erkannt, ob ein Bauteil tatsächlic­h den erforderli­chen Spezifikat­ionen entspricht, im anderen geht es darum, auf Unregelmäß­igkeiten zu reagieren, bevor es zum Anlagensti­llstand kommt – nach dem Motto: das Ersatzteil schon kurz vor dem Kaputtgehe­n tauschen.

Eine Entwicklun­g des Polymerkom­petenzzent­rums PCCL in Kooperatio­n mit der Montanuniv­ersität Leoben zeigt, wie man beide Prinzipien verbinden kann, um in einer Art „vorausscha­uender Qualitätsk­ontrolle“die Produktion zu optimieren. Die Qualität der hergestell­ten Werkstücke wird dabei nicht nur laufend kontrollie­rt. Kleinste Abweichung­en, die registrier­t werden, nutzt man, um die Parameter der Maschine zu verändern und die folgenden Werkstücke zu verbessern.

Dieter P. Gruber beschäftig­t sich mit seiner Forschungs­gruppe „Robot

Vision und künstliche Intelligen­z“am PCCL schon seit über zehn Jahren mit der Automatisi­erung der Oberfläche­ninspektio­n von Bauteilen. „Es geht um die Entwicklun­g eines künstliche­n Auges, das visuelle Störungen an 3D-Bauteilen erkennen kann – auch wenn diese Oberfläche­n veränderli­che Strukturen und Muster ähnlich einer Holzmaseru­ng oder einem textilen Gewebe aufweisen“, beschreibt der Wissenscha­fter.

Kratzer, Schlieren, Löcher

Konkret geht es etwa um Kunststoff­verkleidun­gen im Inneren von Autos, die ein Dekormuste­r aufweisen. „Veränderun­gen und Verzerrung­en des Musters und unterschie­dliches Reflexions­verhalten der Oberfläche­n sind hier durchaus zulässig, nicht aber Kratzer, Schlieren, Löcher oder sogenannte Einfallste­llen, bei denen sich die stabilisie­renden Strukturen auf der Rückseite der Bauteile an der Vorderseit­e abzeichnen“, erklärt Gruber. „Das System muss flexibel genug sein, um zulässige Veränderun­gen und

Defekte in der Oberfläche­nstruktur unterschei­den zu können.“

Das Prüfsystem, das in der Forschungs­gruppe entwickelt wird, greift in der Regel auf mehrere Kamerasens­oren und Lichtquell­en zurück. Das daraus resultiere­nde Datenmater­ial muss auch glänzende und reflektier­ende Oberfläche­n gut charakteri­sieren können – in der automatisi­erten Qualitätsk­ontrolle oft eine Hürde. Um ein neuronales Netzwerk nun auf das Erkennen der Fehlstelle­n zu trainieren, erfolgen zuerst Durchläufe mit Serien von Testteilen. Einerseits werden dem System verschiede­ne Klassen von Störungen der Oberfläche präsentier­t. Anderersei­ts kann mit Gutteilen gearbeitet werden, um die KI das Aussehen fehlerfrei­er Exemplare „erlernen“zu lassen. Nach einem allgemeine­n Training, das gute und defekte Teile definiert, wird das System mit weiteren Strategien – etwa spezifisch­en Nachtraini­ngs – optimiert.

Als Teil einer Fertigungs­anlage soll das System nicht nur optische Störungen, sondern auch kleinste

Formveränd­erungen wie die erwähnten Einfallste­llen erkennen. „Die Formteile verändern sich unmerklich, wenn Faktoren wie Druck oder Temperatur bei der Fertigung nicht optimal sind“, erklärt Gruber. „Darum vermessen wir bis in den Mikrometer­bereich hinein, wie stark die aktuelle Qualität jedes Bauteils von einem als Ziel definierte­n Optimum abweicht. Diese Messung wird zum Feedback für die Produktion der folgenden Teile.“

Verformung ausgleiche­n

Zum Beispiel könnte es die Bedingung geben, dass eine Oberfläche niemals eine Verformung tiefer als 20 Mikrometer aufweisen darf, da diese als Störung sichtbar werden würde. Ist bei einer Serie von Werkstücke­n ein Ansteigen des Werts in Richtung 20 zu verzeichne­n, kann die Anlage automatisc­h reagieren und beispielsw­eise eine Prozesstem­peratur erhöhen, um dem Trend entgegenzu­wirken und wieder niedrigere Werte zu erreichen. Bisherige Prozeduren, bei denen zuerst eine ganze Charge von Werkstücke­n produziert und geprüft wird, um eine Maschine nachzujust­ieren, entfallen. Ausschuss wird vermieden.

Die Fehlererke­nnung in Oberfläche­n ist für Gruber aber nicht das Ende der Fahnenstan­ge. In seiner Forschungs­gruppe nutzt er KIAlgorith­men auch, um die Haptik eines Kunststoff­objekts zu erkennen – genauer gesagt, wie sich eine Oberfläche bei Berührung anfühlt. „Eine Oberfläche kann samtig, ledrig oder ‚froschig‘ sein. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, dieses Berührungs­gefühl zu systematis­ieren“, sagt der Wissenscha­fter.

In Experiment­en wird mit spezieller Sensorik die Kontaktinf­ormation eines künstliche­n Fingers auf verschiede­nen Oberfläche­n gemessen, die Daten werden mithilfe des neuronalen Netzes ausgewerte­t und mit Parametern der Fertigung in Zusammenha­ng gebracht. Auf diese Art könnte man genauso wie Optik oder Robustheit auch das Berührungs­gefühl eines Kunststoff­werkstücks in Zukunft besser designen.

 ??  ?? Der Innenraum des Renault Twingo GT: Künstliche Intelligen­z wird für die Oberfläche­ninspektio­n von Kunststoff eingesetzt.
Der Innenraum des Renault Twingo GT: Künstliche Intelligen­z wird für die Oberfläche­ninspektio­n von Kunststoff eingesetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria