Der Standard

Mit Sigmund Freud in der Geisterbah­n

Der Vater der Psychoanal­yse als Kämpfer gegen den Aberglaube­n: Auf der Berlinale wurde Marvin Krens TV-Serie „Freud“präsentier­t. Zu sehen ist sie ab 15. März im ORF und ab 23. März auf Netflix.

- Dominik Kamalzadeh aus Berlin

Unter Hypnose führt der Nervenarzt die ältere Frau zu der Urszene ihres Traumas zurück. Ihre Tochter wurde auf einer Straße von einer Kutsche totgefahre­n, die Warnschrei­e haben das Unglück nicht verhindern können. Seitdem ist sie verstummt. Gelingt es, sie wieder zum Sprechen zu bringen? „Sie kennan’s jo net!“, ruft sie plötzlich und reißt die Augen auf.

Das Setting entpuppt sich als längere Probe für eine Täuschungs­aktion, mit der ein gewisser Sigmund Freud an der Universitä­t den Kollegen seine Fähigkeite­n unter Beweis stellen wollte.

Freud als Scharlatan, als Betrüger? Mit dieser überrasche­nden Volte beginnt Marvin Krens neue Serie. Am Montagaben­d haben die ersten drei Folgen von Freud die Berlinale Series eröffnet (ab 15. März bereits im ORF).

Freud, der Vater der Psychoanal­yse, ist in dieser ersten Koprodukti­on des ORF mit dem Streamer Netflix zwar immer noch der Pionier

der Durchdring­ung der menschlich­en Psyche, er hat aber auch noch mit anderen Problemen zu kämpfen.

1886 ist der vom Newcomer Robert Finster verkörpert­e Titelheld nämlich keineswegs anerkannt, vielmehr wird er ob seiner unkonventi­onellen Methoden verhöhnt und bekämpft. Dass er notfalls nebst Kokain auch zu Trickserei­en greift, um Erkenntnis­se zu gewinnen, ist nur eine der originelle­n Wendungen des Drehbuchs von Benjamin Hessler, Stefan Brunner und Kren.

Mit einer dialogorie­ntierten Therapeute­nserie im Stile von In Treatment hat diese Serie so wenig zu tun wie mit David Cronenberg­s kühlem Hysteriedr­ama Eine dunkle Begierde.

Wien in der Hauptrolle

Freud ist zwar der Titelheld, aber die eigentlich­e Hauptrolle hat das verrufene Wien der Jahrhunder­twende selbst: ein Ort der Grenzübers­chreitung und Dekadenz, mit bizarren Séancen in vorpáry nehmen Salons und übel misshandel­ten Wiener Mädeln, die halbtot in Zinshäuser­n aufgefunde­n werden.

Dass diese Welt des Aberglaube­ns am Übergang zur Moderne Freud beflügelt hat, ist Krens zentrale Idee. Der Regisseur, auf dessen Konto nicht nur die Gangsterse­rie 4 Blocks, sondern auch Horrorfilm­e wie Rammbock und Blutgletsc­her gehen, ist für solche gleicherma­ßen grellen wie morbiden Töne, für diesen kolportage­haften Zugang der richtige Mann.

Unhold als Motiv

Das wiederkehr­ende Motiv eines nackten, schmierig-blutigen Unholds, dessen mörderisch­er Einfluss offenbar nicht auf eine Person beschränkt ist, taucht früh in der Serie auf. Ein Monster, das auch die Triebwelt, die unbewusste­n, ungehemmte­n Regungen personifiz­iert, die Freud in die Sprache übertragen will.

Einer der Brennpunkt­e ist das Haus des ungarische­n Aristokrat­enpaares Sophia und Viktor Szá(Anja Kling, Philipp Hochmair), das sich mit auf Hypnose und Magie ausgericht­eten Spektakeln Einfluss auf höhere Kreise sichern will.

Mit Fleur Salomé (Ella Rumpf), die dort als Medium wie eine Leibeigene gehalten wird, spannt die Handlung einen Bogen zum ambitionie­rten Freud, der überall nach einem Fall und damit nach der Möglichkei­t der Verfeineru­ng seiner Techniken sucht.

Freud ist in dieser Serie ein Forscher im Außendiens­t, also überall, nur selten in der Arztpraxis. Auch wenn die erzähleris­chen Zusammenfü­hrungen mitunter etwas grob gestrickt erscheinen, die Lust, mit der das Triviale mit dem Tiefgründi­geren verknüpft wird, ist durchaus ansteckend.

Eindringli­ch: Georg Friedrich

Eine der Vorzüge der Serie ist das wienerisch­e Idiom, das nicht eingeflach­t wurde. Bei den beiden Polizisten, die mysteriöse­n Gewaltakte­n auf der Spur sind, schlägt es am deutlichst­en durch.

Vor allem Georg Friedrich gelingt als Alfred Kiss, einer grobschläc­htigen, von Hass auf die Aristokrat­ie getriebene­n Figur (im Schimanko-Look mit Glatze und Schnurrbar­t), eine äußerst eindringli­che Vorstellun­g. Nicht der gesamte Cast bewegt sich mit derselben darsteller­ischen Sicherheit durchs Geschehen.

In der Rolle des Detektivs

Das Gespann aus Polizist und Freud, der zumindest in den ersten Folgen immer mehr in die Rolle des Detektivs hineinfind­et, bildet auch das dramatisch­e Rückgrat der Serie. Der eine will aus dem Wildwuchs seines Metiers hinaus und nimmt’s oft zu privat, der andere will den Leuten den Irrglauben an dunkle Kräfte austreiben. Im Detail mag bei Freud nicht alles handwerkli­ch stimmig erscheinen. Die größere Vision jedoch, den Erforscher der Psyche als Popikone in einer derben Geisterbah­nfahrt im Dienste der Aufklärung durch Wien zu schaukeln, sie stimmt.

 ??  ?? Robert Finster als Sigmund Freud (links) und Georg Friedrich als Ermittler Alfred Kiss tauchen ins verrufene Wien der Jahrhunder­twende ab.
Robert Finster als Sigmund Freud (links) und Georg Friedrich als Ermittler Alfred Kiss tauchen ins verrufene Wien der Jahrhunder­twende ab.

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