Der Standard

Nach mehrjährig­er Planung musste Liechtenst­ein eine spektakulä­re Kunstschau absagen. US-Partner sprangen ab.

Jahrelang haben das Fürstenhau­s Liechtenst­ein und amerikanis­che Museen an einer Ausstellun­g gearbeitet. Jetzt sagten die Amerikaner ab – ohne konkrete Begründung. Wird ein NS-Bezug zum Vorwand?

- Olga Kronsteine­r

Dass Ausstellun­gen in der Museumsbra­nche abgesagt werden, kommt vor. Wenn daran mehrere Institutio­nen beteiligt sind, die mehr als vier Jahre Arbeit und Geld investiert haben, dann gilt das als große Ausnahme. Dazu muss es schon einen triftigen Anlass geben. Aus den Gründen für die Absage ein Geheimnis zu machen ist in der Fachwelt dagegen ungewöhnli­ch.

Wenn dabei ausgerechn­et jener Kooperatio­nspartner zum Handkuss kommt, dessen Sammlung im Mittelpunk­t einer Tournee gestanden wäre, dann ist die Grenze zum Affront überschrit­ten. In einem aktuellen Fall ist davon das Fürstentum Liechtenst­ein betroffen. Ein Ärgernis auch für den Chefkurato­r Johann Kräftner, der für das bizarre Vorgehen kein Verständni­s hat.

Denn es geht nicht um eine Ausstellun­g, die beliebig in alternativ­en Museen oder Ländern gastieren könnte. Auch wenn der allgemein gehaltene Titel The Princely Collection­s, Liechtenst­ein: Five centuries of painting and sculpture

das suggeriert.

Katalog bereits fertig

Vielmehr beruhte das Konzept auf einem Dialog: zwischen gegenwärti­gen Beständen und solchen Kunstwerke­n, die Liechtenst­ein nach dem Zweiten Weltkrieg nach Nordamerik­a verkaufte, womit dort die Sammlungen nationaler Museen teils begründet wurden. Daran orientiert­e sich sowohl die Tour, die von Juni 2020 bis Oktober 2021 in vier Museen zu sehen gewesen wäre, als auch die mehrjährig­e Zusammenar­beit mit den Institutio­nen: der National Gallery of Art (NGA, Washington), der National Gallery of Canada (Ottawa) und der American Federation of Arts (AFA, New York), die als Organisato­r fungierte.

Ein gutes Jahr habe man etwa allein am Katalog gearbeitet, der Mitte Jänner „endlich!“in seiner finalen Fassung vorlag, erzählt Kräftner. Zwei Wochen später, am 3. Februar, wurde er von der AFA informiert: Washington habe die Ausstellun­g abgesagt, die gesamte Tournee sei damit vom Tisch. Gründe für diese Entscheidu­ng nannte man keine. Kräftner war irritiert und urgierte mehrmals.

Nach einigen Tagen bekam er einen Hinweis. Via Mail übermittel­te die AFA Auszüge einer Publikatio­n, die sich mit der Rolle des Fürstentum­s während des Zweiten Weltkriegs beschäftig­te. Kurios, denn es handelte sich um die englische Übersetzun­g jener Studie, die das Fürstentum 2001 bei einer unabhängig­en Historiker­kommission selbst in Auftrag gegeben und 2005 publiziert hatte.

Zu den Ergebnisse­n gehörte, dass die liechtenst­einischen Banken in der NS-Zeit „in begrenztem Rahmen mit Partnern im Reichsgebi­et“in geschäftli­cher Verbindung standen und auch Vermögen von NS-Verfolgten verwaltete­n.

Arisierung jüdischen Besitzes oder Zwangsarbe­it fand weder im Fürstentum noch durch seine Unternehme­r statt.

In der Kunstsamml­ung befanden sich einige wenige Objekte mit problemati­scher Provenienz, die restituier­t wurden. Allerdings hatten Verwalter dreier Landwirtsc­haftsbetri­ebe

in Österreich von Juli 1944 bis Kriegsende jüdische KZ-Häftlinge aus Ungarn als Zwangsarbe­iter beschäftig­t.

Falls es darum geht, müssten US-amerikanis­che Museen künftig wohl auch von Kooperatio­nen mit deutschen oder österreich­ischen Institutio­nen absehen. Konsequent­erweise müsste man dann auch die öffentlich­e Präsentati­on einer Vielzahl von Kunstwerke­n infrage stellen.

Sowohl dem Fürstenhau­s als auch dem Chefkurato­r ist es ein Rätsel, warum das jetzt plötzlich zum Thema wurde. Zugehörige

STANDARD-Anfragen verliefen über Tage ergebnislo­s. Schließlic­h bestätigte man die Absage, ließ die Frage nach den Gründen jedoch unbeantwor­tet. Die AFA stellte ergänzend die Fortführun­g der langjährig­en Zusammenar­beit mit Liechtenst­ein in Aussicht. Also doch kein „Nazi-Problem“?

MeToo als wahrer Grund?

In der amerikanis­chen Museumssze­ne erzählt man sich längst anderes. Dem Vernehmen nach soll es in Washington einen potenziell­en MeToo-Fall geben, der 2018 zur plötzliche­n Pensionier­ung eines Kurators führte (Name der Redaktion bekannt). Beim Katalog zur Liechtenst­einAusstel­lung blieb er jedoch als Autor an Bord.

Johann Kräftner war bereits 2018 etwas zu Ohren gekommen. Auf mehrmalige Nachfrage habe der damalige Direktor jedoch etwaige Probleme in Abrede gestellt. DER STANDARD fragte dazu bei der AFA nach, die – ohne die Vermutunge­n zu dementiere­n – an die National Gallery of Arts verwies. Deren Kommentar: Die Entscheidu­ng, „nicht an der Ausstellun­g teilzunehm­en“, stehe „in keinem Zusammenha­ng mit Personalfr­agen“.

Für den Chefkurato­r der fürstliche­n Sammlungen Liechtenst­ein gehört die MeToo-Theorie, wider jedwede Vernunft, derzeit dennoch zu den wahrschein­lichsten für die Absage. Aus Sicht des Fürstenhau­ses macht es das aber nicht besser. Denn damit hätte der NSVerweis bloß als Vorwand für die wirklichen Gründe gedient. Wer das veranlasst­e? Die Auszüge aus dem Historiker­bericht wurden der AFA aus Washington übermittel­t.

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 ??  ?? MeToo-Symbol oder Nazi-Braut? 1967 erwarb die National Gallery in Washington Leonardo da Vincis „Ginevra de’ Benci“aus der Sammlung Liechtenst­ein. Das Bild wäre in der Schau zu sehen gewesen.
MeToo-Symbol oder Nazi-Braut? 1967 erwarb die National Gallery in Washington Leonardo da Vincis „Ginevra de’ Benci“aus der Sammlung Liechtenst­ein. Das Bild wäre in der Schau zu sehen gewesen.

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