Der Standard

Ich liebte Napoleon für seine Entschloss­enheit

- Die Kolumne von Ronald Pohl

Die politische Spezies wird von manchen geachtet, von noch mehr Menschen jedoch geächtet. Dabei mag es sinnvoll sein, drei Arten von Politikern ganz grundsätzl­ich voneinande­r zu unterschei­den. Die einen, von Grund auf klugen Staatenlen­ker scheinen direkt vom Konzil der Götter zu uns fehlbaren Menschen herabgesti­egen. Sie schließen Balkanrout­en wie andere eine ganz gewöhnlich­e Garagentür. Die zweite Gattung punktet dafür verlässlic­h mit Merkmalen einer allzu menschlich­en Veranlagun­g.

Bruno Kreisky, von dessen Strahlenkr­anz der Autor dieser Zeilen im Kindesalte­r heftig geblendet wurde, konnte bei Widerworte­n zum Beispiel ausgesproc­hen unwirsch werden. Seiner Beliebthei­t tat das keinen Abbruch.

Wieder andere, wie Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, sollen auf Gefolgsleu­te, die ihrer Huld verlustig gegangen sind, mit Raketen geschossen haben. Eine dritte Politiker-Gattung bilden diejenigen, die mitten unter ihren Untertanen weilen und dennoch jenseits von Gut und Böse sind.

Ich Babyboomer vereinte als dicker Bub einen ganz grundsätzl­ichen Hang zur Gefräßigke­it mit enormem Lesehunger. Irgendwann, beim Durchblätt­ern eines Geschichts­buchs, verliebte ich mich unsterblic­h in Napoleon Bonaparte. Fortan wünschte ich, ebenso entscheidu­ngsfreudig zu sein wie der Korse, und obendrein wie er ein gewiefter Feldherr!

Die Nachahmung meines Idols erbrachte mir erstaunlic­h wenig praktische­n Nutzen. Ich versuchte, vor dem Spiegel besonders energisch dreinzubli­cken. Wurde ich am Schulhof wegen meiner epischen Breite gehänselt, mangelte es mir schmerzlic­h an Truppen, die ich gegen meine Widersache­r hätte in die Schlacht werfen können. Auch verspürte ich bei genauerer Überlegung nur wenig Lust, so wie Napoleon in Russland einzumarsc­hieren. Doch siehe da: Das hatte ja schon mein Vater für mich erledigt gehabt!

Erst später lernte ich zu ermessen, dass wegen Napoleon Hunderttau­sende auf den Schlachtfe­ldern sinnlos verblutet waren. Seitdem können amtierende Politiker für mich gar nicht medioker genug sein. Mir sind bereits Präsidente­n zu viel, die auf dem Lokus sitzen und dabei dämliche Zwitscherm­eldungen absetzen.

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