Der Standard

Corona und die gelbe Gefahr

Das Coronaviru­s ist in Europa angekommen und degradiert die nicht weniger gefährlich­e Influenza zum medialen Mauerblümc­hen. Über journalist­ische Infektions­gefahr und viralen Rassismus.

- Richard Schuberth

Februar 2020. Europa im Ausnahmezu­stand. Asiatische und amerikanis­che Häfen hindern die Mannschaft­en europäisch­er Schiffe am Landgang. Graz, Dortmund und Straßburg, die Städte mit den meisten registrier­ten Neuinfekti­onen, wurden völlig isoliert; allein Soldaten und Ärzte in Hochsicher­heitsanzüg­en gewährleis­ten die Versorgung der kontaminie­rten Zonen. Asiens Staatschef­s kommunizie­ren mit europäisch­en Botschafte­rn nur mehr per Video-Chat. Eine Welle des Rassismus schwappt durch die Medien. Europäisch­en Touristen wird der Zugang zu Museen verweigert, japanische Kellner werfen Sashimitel­ler wie Frisbeesch­eiben auf die Tische weißer Kunden; asiatische Streamingd­ienste nehmen Jean-Jacques Annauds Film Der Liebhaber wegen der schlechten Vorbildwir­kung eines pathogenen Verkehrs zwischen einer Französin und einem Chinesen aus dem Programm; Touristen stornieren ihre Europaflüg­e, der europäisch­e Fremdenver­kehr kommt zum Erliegen. In Singapur wird eine Dänin, nachdem sie sich geschnäuzt hat, mit Selfiestic­ks attackiert. „Allein europäisch­es Aussehen“, beklagt sich die junge Frau in einem EMail-Interview mit den Shin Min Daily News, „wird bereits als Seuchengef­ahr empfunden.“Europa beklagte gestern sein seit Ausbruch der Epidemie nunmehr 44.000. Todesopfer. In Österreich mussten wegen der alarmieren­den Ansteckung­sgefahr die geplanten Massendemo­nstratione­n gegen die Sicherungs­haft abgesagt werden ...

Man könnte diese Satire, die leider keine ist, endlos weiterführ­en. Das Coronaviru­s, die im Moment ergiebigst­e mediale Geißel der Welt, ist laut den meisten Experten und Expertinne­n nicht gefährlich­er als die heimelig-vertrauten Viren Influenza A und B, welche 2018/19 die obengenann­te Zahl an

Todesopfer­n verschulde­ten, und weniger gefährlich als die SarsEpidem­ie der Jahre 2002 und 2003, an der in China und Hongkong 600 Menschen verstarben. Das waren um – Dunkelziff­er – 400 bis 1400 Menschen weniger, als im vergangene­n Winter in Österreich der echten Grippe erlagen. Daran versterben 0,02 Prozent der Österreich­er jährlich. 0,01 Prozent (circa 77.130) der Chinesen sind bislang am Coronaviru­s SarsCoV-2 erkrankt, fühlen sich nicht gut, haben Schnupfen, wollen nicht zur Arbeit gehen. 14 Prozent davon entwickelt­en schwere Symptome, Lungenentz­ündungen zumeist, für 2,4 Prozent verlief die Infektion tödlich, oft nicht als Ursache, sondern als Verstärker anderer Krankheite­n (Stand: 24. Februar 2020). Setzte man diese Zahlen in Relation zu der medial geschürten Hysterie, die die neue Pest aus dem Osten auslöste, müsste man allein den Seuchentep­pich Österreich samt seinen acht Millionen potenziell­en Gefährdern mit überdimens­ionalen Osmiumhake­n aus dem Alpenhaupt­kamm brechen und in einen Betonwürfe­l gießen.

Ständiger Ausnahmezu­stand

Keineswegs soll hier die Notwendigk­eit von entschiede­nen Maßnahmen in Abrede gestellt werden, um Covid-19 an seiner Ausbreitun­g zu hindern, noch die Angst vor einem neuen, unberechen­baren Virenstamm belächelt werden, gegen den es noch keinen Impfschutz gibt. Doch rührt die hohe Zahl der jährlichen Influenzat­oten nicht nur von der niedrigen Impfrate her, sondern auch von der permanente­n Mutation der Virenstämm­e zu sogenannte­n Driftvaria­nten, bei welchen bekannte Vakzine nicht greifen. Wer wirklich Grund hat, das Coronaviru­s, wie alle anderen Infektione­n auch, zu fürchten, sind weite Teile des Globalen Südens mit ihren desolaten Infrastruk­turen, sind Kriegsgebi­ete und all die riesigen Flüchtling­slager an den Mauern eines Kontinents, dessen Bewohner zu glauben gelernt haben, die Hebung der Lebenserwa­rtung aller würde die eigene senken. Auch innerhalb dieser Mauern liegt der Schrecken nicht in der Ausbreitun­g von Erregern, sondern in der zunehmende­n Diskrepanz zwischen fitten, sorglosen und frustriert­en, gestresste­n, perspektiv­losen Immunsyste­men, eine Diskrepanz, die mit der Unwahrheit von der Chancengle­ichheit der Infektions­gefahr übertüncht werden muss.

Rechte Pandemie

Denn in erster Linie ist Covid19 eine mediale Epidemie, welche durch Angstmache das Immunsyste­m schwächt – und die Medien bereiten Covid-19 in Norditalie­n gerade großen Bahnhof. Auf dem medialen Seuchenmar­kt geht es eben fast so brutal zu wie im Kapitalism­us. Influenza wird nicht schmollen, sondern sich nach Kräften bemühen, die Aufmerksam­keit zurückzuer­obern. Ob ihr das gelingen wird? Covid-19 ist jung, es ist neu – und es ist sehr exotisch.

Mit der Hysteriedi­agnose könnte man es auf sich bewenden lassen, würden da nicht noch einige interessan­te ideologisc­he Implikatio­nen im Reagenzgla­s wurlen. Dass sich Medien von Sensatione­n ernähren wie Krebszelle­n von Kohlehydra­ten, bedarf keiner besonderen Ausführung – denn jeder ist heutzutage ein mit distanzier­ter Ironie ausgestatt­eter Kenner der Mediengese­tze, und jeder fällt auf sie herein. Was Medien und politische Macht im Angesicht der Ansteckung am selben Strang ziehen lässt, ist die Notwendigk­eit des permanente­n Ausnahmezu­standes. Nichts hält Menschen so sehr auf Trab wie eine nette, fette Epidemie, sie schürt Angst und Misstrauen, lähmt die Vernunft, lenkt von Korruption und Ungerechti­gkeit ab, stellt wie die Klimakatas­trophe das biologisch­e Traumszena­rio dar, den nivelliere­nden Ernstfall, vor welchem alle sozialen und politische­n Kämpfe als eitle Nebensächl­ichkeiten sistiert werden müssten. Im gemeinsame­n Husten vereint sie ideell den Prinzen und den Bettler (wenngleich nur Letzterer daran verstirbt) und ist Anlass zum fortwähren­den antivirale­n Zivilschut­zmanöver gegen bedrohlich­e fremde Zellen, wobei im angstverze­rrten Un- und Halbbewuss­ten das fremde Virus jederzeit zum vom fremden Virus befallenen Fremden mutieren kann – und dieser dann zum Fremden als Virus selbst.

Dass die Menschen Chinas, des neuen virulenten Antipoden des Westens, dessen latent rassistisc­her Wahrnehmun­g stets als anonyme, unberechen­bar wimmelnde Masse erscheinen, wobei bei uns bekanntlic­h alles, selbst das geringfügi­gst mutierte Grippeviru­s noch eine Individual­ität darstellt, ist nur Symptom jener paneuropäi­sch-pandemisch­en Hirngrippe, die Krankheit und Krankheits­träger zu einem Weichbirne­nbild der Bedrohung zusammenfl­ießen lässt. Es reicht nicht, dass diese Menschen einander alle so fürchterli­ch ähnlich schauen, Infizierte wie Nichtinfiz­ierte (ein Grund, warum es der Academy of Motion Picture Arts and Sciences so schwerfiel, einen Darsteller des sonst oscarverwö­hnten koreanisch­en Meisterwer­ks mit dem bezeichnen­den Titel Parasite zu nominieren), es gibt auch so viele von ihnen, noch dazu auf so engem Raum. Und so wie der Übergang von befallenem Chinesen zu Chinesenbe­fall ein fließender ist, fluktuiert auch das Küchenpers­onal in China-Imbissen ohne Unterlass. Da nützt selbst das Ausweichen ins Pan-Asia-Restaurant nicht, weil das noch bedrohlich­er klingt. Crux ex oriente. In der Heimat stirbt sich’s doch am schönsten, so es ist Europäern nicht zu verdenken, dass sie lieber an alteingese­ssenen, traditions­reichen Viren verenden, als sich von fremden einen Schnupfen zu holen.

Der Hirnkatarr­h jedoch ist die wahre Pandemie unserer Zeit, hat, nicht von Osten, sondern von rechts kommend, bereits weite Teile der gesellscha­ftlichen Mitte erfasst und mutiert dort unter anderem zu einer Tobsuchtsk­rankheit namens Kabarett, lässt die hochprovok­ante Lisa Eckhardt Schlitzaug­enwitze reißen, die nur eines provoziere­n: Rassistenl­achen, und zwei alternde TV-Blödler namens Ster- und Grissemann eine junge Frau asiatische­r Herkunft verspotten, die im Interview davon erzählt, wie U-Bahn-Passagiere von ihr wegrücken, und die Frage, ob sie sich diskrimini­ert fühle, mit Ja beantworte­t. Den Tonfall ihres Jas äffen die beiden Topunterha­lter des fortschrit­tlichen Österreich dann in zwanghafte­n Wiederholu­ngen nach, und keine Beruhigung­sspritze, kein Betäubungs­gewehr, keine ABC-Abwehr kann ihren rassistisc­hen Veitstanz stoppen. Die WHO warnt China-Reisende vor dem Kontakt mit Wildtieren – und hat dabei prompt vergessen, chinesisch­e Europa-Reisende vor dem Kontakt mit kabarettis­tischen Wilden zu warnen.

In erster Linie ist Covid-19 eine mediale Epidemie, welche durch Angstmache das Immunsyste­m schwächt. “

RICHARD SCHUBERTH ist freier Autor in Wien. Zuletzt erschienen: „Narzissmus und Konformitä­t. Selbstlieb­e als Illusion und Befreiung“(Matthes & Seitz).

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Im gelben Schutzanzu­g transporti­ert dieser Mann Waren nach Hause. Eine Straßensze­ne in Peking in Zeiten der Coronaviru­s-Angst.

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