Der Standard

Was die Angst vor dem Virus mit uns macht

Werden Menschen mit Todesopfer­n konfrontie­rt, neigen sie dazu, mehr Risiken einzugehen – auch unvernünft­ige. Die Medien spielen eine Rolle dabei, wie Angst geschürt wird.

- Bianca Blei

Prinzipiel­l ist die Angst eine sehr vernünftig­e Emotion. Sie hat das Überleben unserer Spezies gesichert. Sichergest­ellt, dass man sich nicht leichtfert­ig in lebensbedr­ohliche Gefahr begibt und abwägt, wie man sich und andere schützt. „Allerdings sind stark emotional geprägte Entscheidu­ngen und Verhaltens­weisen oft unverhältn­ismäßig und zumindest im Nachhinein unvernünft­ig“, sagt der Wirtschaft­spsycholog­e Erich Kirchler von der Universitä­t Wien. Die Frage, die ihm gestellt wurde: Wie verhältnis­mäßig ist die Angst vor dem Coronaviru­s, vor allem wenn man die Todesfälle etwa im Vergleich zur jährlich wiederkehr­enden Influenza betrachtet?

Bereits im Jahr 1981 veröffentl­ichten die beiden Psychologe­n Amos Tversky und Daniel Kahnemann im Fachmagazi­n Science eine Studie zu dem Thema. Sie erforschte­n unter anderem, wie Menschen irrational­e Entscheidu­ngen treffen, wenn sie mit Risiko konfrontie­rt sind.

Die Psychologe­n schufen dazu die hypothetis­che Situation, dass in Asien eine noch unbekannte Krankheit aufgetrete­n ist und sich die USA darauf vorbereite­n. Es ist dabei wahrschein­lich, dass 600 US-Bürger an der Krankheit sterben. Um dagegen vorzugehen, konnten die Teilnehmer der Befragung aus zwei Optionen wählen: Entweder sie unterstütz­en eine Behandlung, durch die 200 Menschen gerettet werden, oder sie entscheide­n sich für eine Vorgehensw­eise, bei der eine 33-prozentige Chance besteht, dass alle Betroffene­n gerettet werden, aber auch die 67-prozentige Chance, dass keiner geheilt werden kann. 72 Prozent der Teilnehmer haben sich für die erste Variante entschiede­n.

Irrational­e Entscheidu­ng

Dann formuliert­en die Wissenscha­fter die Auswahlmög­lichkeiten um: Die erste Behandlung­smöglichke­it stellte sicher, dass nur 400 Menschen starben. Bei der zweiten Möglichkei­t herrschte eine 33-prozentige Wahrschein­lichkeit, dass niemand umkommt, aber gleichzeit­ig eine 67-prozentige Wahrschein­lichkeit, dass alle Erkrankten sterben. 78 Prozent der Befragten entschiede­n sich in dem umformulie­rten Szenario für die zweite Option. Das zeigte, dass Verluste von größerer Bedeutung sind als Gewinne und der Mensch mehr Risiken in Kauf nimmt, wenn von Todesopfer­n und nicht von Geheilten gesprochen wird.

Was zur Angst vor dem Coronaviru­s beiträgt, ist zudem der unbekannte Faktor, sagt die Sozialpsyc­hologin Katja Corcoran von der Karl-Franzens-Universitä­t in Graz. Denn im Gegensatz zur Influenza würden auch die Experten noch nicht sehr viel über das Virus wissen und vorsichtig agieren.

Das führe dazu, dass Menschen etwa auch selbst tätig werden wollen, um sich zu beruhigen – wie etwa Gesichtsma­sken zu kaufen, obwohl sie gegen eine Ansteckung nur wenig ausrichten.

Medien sollten sich dessen bewusst sein, dass sie durch die Macht der Bilder die Angst unterstütz­en, und hinterfrag­en, welche Berichte sie wie veröffentl­ichen, sagt Corcoran. Auch Kirchler von der Universitä­t Wien plädiert für entschärfe­nde Bilder, Metaphern, Geschichte­n – denn nur trockene Sachinform­ationen würden bei den Menschen nicht mehr ankommen. Oft gelinge es nicht, allein mit sachlicher Berichters­tattung „emotional aufgeschau­kelten Vorstellun­gen“entgegenzu­wirken, so der Wirtschaft­spsycholog­e.

Prinzipiel­l sollten sich die Medienmach­er die Frage stellen, wie viele Menschen überhaupt Angst vor dem Virus haben und ob man jener Gruppe, die Angst habe, zu viel Platz einräume.

 ??  ?? Ein Maskierter posiert in Venedig für Fotos. Die offizielle­n Feierlichk­eiten wurden in der italienisc­hen Lagunensta­dt wegen des Ausbruchs des Coronaviru­s im Land abgesagt. Psychologe­n plädieren indessen für einen bewusstere­n Umgang der Medien mit Bildern in der Berichters­tattung.
Ein Maskierter posiert in Venedig für Fotos. Die offizielle­n Feierlichk­eiten wurden in der italienisc­hen Lagunensta­dt wegen des Ausbruchs des Coronaviru­s im Land abgesagt. Psychologe­n plädieren indessen für einen bewusstere­n Umgang der Medien mit Bildern in der Berichters­tattung.

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