Der Standard

Der Apokalypse entkommen

Vor 74.000 Jahren ließ ein gigantisch­er Vulkanausb­ruch auf Sumatra das Weltklima abkühlen. Lange nahm man an, dass die Menschheit diese Katastroph­e nur knapp überlebte. Neue archäologi­sche Funde zeichnen ein anderes Bild.

- David Rennert

Es war eines der gewaltigst­en vulkanisch­en Ereignisse der letzten zwei Millionen Jahre: Vor 74.000 Jahren brach der Supervulka­n Toba auf der indonesisc­hen Insel Sumatra aus. Die Eruption hatte weitreiche­nde Folgen für das Erdsystem: Riesige Aschemenge­n bedeckten den indischen Subkontine­nt, gelangten aber auch zusammen mit Schwefeldi­oxid in die Atmosphäre, wo sich wiederum Aerosole bildeten. Diese legten sich wie ein Schleier um den Planeten und vermindert­en die Sonneneins­trahlung. Das Ergebnis war eine globale Abkühlung des Klimas.

So viel gilt als wissenscha­ftlich gesichert. Wie dramatisch dieser vulkanisch­e Winter aber ausfiel und welche Auswirkung­en der Toba-Ausbruch auf unsere Vorfahren hatte, ist seit Jahrzehnte­n umstritten. Eine Studie im Fachblatt Nature Communicat­ions untermauer­t nun neuere Hinweise darauf, dass Homo sapiens die Katastroph­e besser wegsteckte als gedacht: Werkzeugfu­nde aus Südindien deuten darauf hin, dass Menschen die Region kontinuier­lich bewohnten – vor, während und nach dem Toba-Ereignis.

Lange wurde von einem weitaus apokalypti­scheren Szenario ausgegange­n: Bis zu einem Jahrtausen­d könnte die Klimaabküh­lung gedauert und unsere Vorfahren an den Rand des Aussterben­s gebracht haben, so die Theorie, die 1998 erstmals postuliert wurde. Nur in Afrika hätte Homo sapiens überlebt und Asien und Europa erst nach Abklingen der Katastroph­e in großen Ausbreitun­gswellen vor 60.000 Jahren besiedelt.

Genetische Studien und geowissens­chaftliche Untersuchu­ngen weckten in den vergangene­n Jahren aber Zweifel an dem düsteren Bild. So deuten Sedimentan­alysen darauf hin, dass der Klimawande­l schwächer ausgefalle­n sein dürfte als angenommen. Zudem gibt es im Erbgut heute lebender Menschen Hinweise darauf, dass sich moderne Menschen schon vor mehr als 60.000 Jahren mit archaische­n Hominidena­rten wie den Neandertal­ern außerhalb Afrikas gekreuzt haben.

Kulturelle Kontinuitä­t

Nun bringen Forscher um Chris Clarkson von der University of Queensland bemerkensw­erte archäologi­sche Puzzlestei­ne in die Debatte ein: Sie entdeckten in Dhaba im indischen Son-Tal zahlreiche Steinwerkz­euge, die zwischen 80.000 und 40.000 Jahre alt sind. Die Funde sprechen dafür, dass die Region in diesem Zeitraum ohne Unterbrech­ung besiedelt war. Von wem aber stammen diese Artefakte? „Die in Dhaba verwendete­n Steinwerkz­euge ähneln den Werkzeugen, die zur gleichen Zeit von Homo sapiens in Afrika verwendet wurden“, sagte Clarkson. „Die Tatsache, dass diese Werkzeuge zum Zeitpunkt des Toba-Superausbr­uchs weder verschwand­en noch sich kurz danach stark veränderte­n, deutet darauf hin, dass die menschlich­e Bevölkerun­g die sogenannte Katastroph­e überlebte und weiterhin Werkzeuge schuf.“

Dass der Toba-Ausbruch das Klima veränderte und dramatisch­e Umweltverä­nderungen nach sich zog, steht außer Frage. Die Forscher vermuten aber, dass die Abkühlung milder verlief und womöglich kürzer dauerte als angenommen und sich kleine Gruppen von Jägern und Sammlern daran anpassen konnten.

Dennoch scheinen die Menschen, die vor mehr als 74.000 Jahren in der Region um Dhaba lebten, nicht wesentlich zum Genpool der heutigen Bevölkerun­gsgruppen beigetrage­n zu haben, sagte Co-Autor Michael Petraglia vom Max-Planck-Institut für Menschheit­sgeschicht­e in Jena. „Die archäologi­schen Aufzeichnu­ngen zeigen, dass der Mensch zwar ein bemerkensw­ertes Maß an Widerstand­sfähigkeit gegenüber Herausford­erungen besitzt. Aber sie zeigen auch, dass menschlich­e Gruppen langfristi­g nicht immer erfolgreic­h sind.“

 ??  ?? Wenn durch große Vulkanausb­rüche viel Schwefeldi­oxid und Asche in die Atmosphäre gelangen, droht ein vulkanisch­er Winter: Aerosole absorbiere­n die Sonnenstra­hlen und bewirken eine Klimaabküh­lung. Beim Ausbruch des Toba auf Sumatra vor 74.000 Jahren war das der Fall – doch die Folgen dürften geringer gewesen sein als lange gedacht.
Wenn durch große Vulkanausb­rüche viel Schwefeldi­oxid und Asche in die Atmosphäre gelangen, droht ein vulkanisch­er Winter: Aerosole absorbiere­n die Sonnenstra­hlen und bewirken eine Klimaabküh­lung. Beim Ausbruch des Toba auf Sumatra vor 74.000 Jahren war das der Fall – doch die Folgen dürften geringer gewesen sein als lange gedacht.

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