Albträume rund ums Österreich-Ticket
Die überaus komplexe Organisations- und Finanzierungsstruktur im Nah- und Regionalverkehr macht das 1-2-3-Ticket zu einem Kraftakt. Nun werden Pläne für eine stufenweise Einführung gewälzt.
Das Herzensprojekt von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) wird zu einer Herzensaufgabe für Verkehrspolitik und Verkehrsträger in Österreich. Denn die Jahreskarte für alle Öffis, die für ein Bundesland 365 Euro kosten soll, für zwei Länder 730 und für drei 1095 Euro wird vor allem finanziell eine Herausforderung. „Der seit 2012 nie an die Inflation angepasste Preis des 365-Euro-Tickets kann dann wieder nicht erhöht werden“, warnen Vertreter von Verkehrsträgern, die nicht genannt werden wollen. „Der einbetonierte Preis wird dann aufs Neue einzementiert“, sagt ein anderer.
Als mahnendes Beispiel gilt der Branche Wiener Linien. Die Wiener Verkehrsbetriebe sind quasi das erste Opfer ihres marketingtechnisch als unschlagbar gepriesenen Flat-Tarifs. Seither hat es niemand gewagt, an der 365-Euro-Schraube zu drehen, und der Kommunalbetrieb muss die Kostensteigerung für Energie und Gehälter alljährlich schlucken. Nun werde „dieser Wahnsinn“auf ganz Österreich ausgeweitet, warnt ein ÖBBler, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eine Preiserhöhung müsse möglich sein, pflichtet ihm ein in Linienplanung und Vertrieb von Fahrkarten versierter Insider eines Verkehrsverbunds in Westösterreich bei.
Dass das Projekt komplexer ist, als sich das wahlkämpfende Mandatare vorgestellt haben, räumt man mittlerweile auch im Verkehrsministerium ein, wo erste Vorgespräche mit Gebietskörperschaften und Verkehrsverbünden geführt wurden. Prompt machen erste Umsetzungsideen die Runde: Um „quick wins“zu realisieren, wird in Erwägung gezogen, in einem ersten Schritt nur den Dreier des 1-2-3-Tickets zu realisieren. Das wäre quasi im Alleingang mit der ÖBB möglich, denn deren Fernverkehr spielt im bundesländerübergreifenden Personenverkehr die tragende Rolle.
Horrortrip für Verkehrsverbünde
Den sieben Verkehrsverbünden in Österreich gilt genau dies als Horrorvorstellung. Ein Alleingang mit dem ÖBB-Personenverkehr würde bedeuten, dass der Staatsbahn Einnahmenausfälle in Millionenhöhe ersetzt würden – die Rede ist von rund 20 Millionen Euro. Ein singuläres Dreier-Ticket wäre quasi der Eisbrecher, weil dadurch die ÖBB-Österreichcard deutlich billiger würde. Profitieren würden auch WienPendler aus St. Pölten oder Wiener Neustadt – oder dem Burgenland.
Die Burgenländer wären beim 1-2-3-Ticket entgegen der landläufigen Annahme Profiteure der neuen Öffi-Karte – zumindest teilweise. Wohl müssten sie die teuerste Variante für drei Bundesländer kaufen, um öffentlich nach Wien zu kommen, diese wäre mit 1095 Euro aber erheblich billiger als aktuelle VOR-Jahreskarten. Eisenstadt–Wien etwa kostet im Verkehrsverbund VOR bei Vorauszahlung 1501 Euro, ist also um 406 Euro teurer als das Österreich-Ticket. Gleiches gilt für Pendlerzüge von Neusiedl am See nach Wien. Im Ministerium kann man einem 3er-Ticket nichts abgewinnen. Ein Österreich-Ticket allein mit der ÖBB würde der Grundidee des 1-2-3-Tickets widersprechen, stellt ein Sprecher klar.
Druck zum Tarifwechsel
Druck zum Tarifwechsel käme durch ein solches Österreich-Ticket auch für die Zwei-Bundesländer-Front, denn die Pendlerei St. Pölten–Wien oder Wiener Neustadt–Wien, wäre selbst mit der neuen Österreich-Jahreskarte billiger als die aktuellen VOR-Jahreskarten, die bei Vorauskassa 1663 bzw. 1501 Euro kosten.
Zu den Verlierern gehörten nach dieser Rechnung hingegen Mattersburger, die nach Wiener Neustadt pendeln oder von Neudörfl oder Neufeld an der Leitha. Womit die Problemzone umrissen ist, die vom Öffi-technisch teils leidlich erschlossenen Wiener Speckgürtel von Vösendorf über Perchtoldsdorf, Purkersdorf, Klosterneuburg bis Stockerau reicht. Sie zahlen jetzt 620 Euro pro Jahr, um hundert Euro weniger als für das angekündigte Zwei-Bundesländer-Ticket um zwei Euro pro Tag. Für sie müsste ebenso eine Sonderregelung entwickelt werden wie für rund 51.000 Burgenländer, die nach Wien auspendeln und aufgrund der geografischen Lage nie in den Genuss des Zwei-Bundesländer-Tarifs kämen.
Das dämmerte inzwischen auch der Arbeitsgruppe im Verkehrsministerium, die parallel zum Ticket auch an den dazugehörigen Öffi-Verbindungen tüftelt. „Die Fahrgäste werden dort mehr werden, wo die Züge ohnehin schon voll sind“, warnen ÖBBler. Wohin die Reise geht, formulierte ÖBB-Konzernbetriebsratschef Roman Hebenstreit bereits im Jänner offenherzig: Abschaffung der Verkehrsverbünde mit ihren Tarifstrukturen und dem Wettbewerb im Busbereich. Ein ÖBB-Entscheider formuliert es – im Off – eleganter: „Wenn die Finanzierung zentral erfolgt, muss auch die Steuerung zentral erfolgen.“