Der Standard

Kammernsys­tem mit etwas weniger Macht

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Mächtige Schattenre­gierung, ohne deren Zustimmung gar nichts geht, so lautete die Zuschreibu­ng zu der Sozialpart­nerschaft. In den langen Jahren der rot-schwarzen Koalition waren die Verbände besonders einflussre­ich.

Die „schwarze“Wirtschaft­skammer, die „rote“Arbeiterka­mmer und die Gewerkscha­ften zogen im Hintergrun­d die Fäden, gegen ihr Njet ließ sich kaum etwas durchsetze­n. Unter Schwarz-Blau hat sich der Wind gedreht. Die Regierung Kurz hat das Gesetz zur Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten, das einen Zwölfstund­entag ermöglicht, ohne Konsultati­onen durchgeset­zt. In den Sozialvers­icherungen, einer Domäne der sozialpart­nerschaftl­ichen Selbstverw­altung, wurde der rote Einfluss zurückgedr­ängt. Doch wer sind die Sozialpart­ner überhaupt? Genau genommen umfasst die Wirtschaft­sund Sozialpart­nerschaft vier Verbände: Wirtschaft­skammer (WKO) und Landwirtsc­haftskamme­r (LKO) auf Arbeitgebe­rseite, Bundesarbe­itskammer (AK) und Gewerkscha­ftsbund (ÖGB) auf Arbeitnehm­erseite. Die Kammerorga­nisationen sind öffentlich-rechtliche Selbstverw­altungskör­per mit gesetzlich­er Pflichtmit­gliedschaf­t, die vor allem die FPÖ, aber auch die Neos abschaffen wollen.

Was sind die maßgeblich­en Aufgaben? Dazu zählen nicht nur Kollektivv­ertragsver­handlungen und die Mitwirkung an der dualen Berufsausb­ildung (Lehre). Die Sozialpart­ner haben auch ein Mitgestalt­ungsrecht bei der Gesetzgebu­ng (Gesetzesbe­gutachtung), der Verwaltung (z. B. Arbeitsmar­ktservice,

Agrarmarkt Austria), der Gerichtsba­rkeit (Laienricht­er bei Arbeits- und Sozialgeri­chten) und in der Sozialpoli­tik (Pensions-, Krankenund Unfallvers­icherung).

Durch die Pflichtmit­gliedschaf­t in Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erverbände­n arbeiten in Österreich etwa 95 Prozent aller Arbeitnehm­er unter dem Schutz eines Kollektivv­ertrags. In Deutschlan­d sind es nur rund die Hälfte, in den USA weit weniger als ein Fünftel. Die Gewerkscha­ft schätzt, dass hierzuland­e nur rund 70.000 Beschäftig­te in verschiede­nsten Branchen ohne KV arbeiten.

Anders als in Österreich gibt es in den meisten EU-Ländern einen für alle Branchen geltenden gesetzlich­en Mindestloh­n als Lohnunterg­renze.

Wie lange gibt es denn nun die Sozialpart­nerschaft? Seit 100 Jahren haben Arbeitnehm­er eine Interessen­vertretung – nach langem Kampf. Während Unternehme­r seit der bürgerlich­en Revolution 1848 in Handelskam­mern organisier­t waren, schuf das Parlament die gesetzlich­e Grundlage für die Arbeiterka­mmer (AK) erst 1920. Die Errungensc­haften wurden von Austrofasc­hismus und Nationalso­zialismus zunichtege­macht. Nach der Befreiung Österreich­s wurde der Ursprungsz­ustand wiederherg­estellt.

Auch das speziell österreich­ische Konfliktre­gelungsins­trument der „Wirtschaft­s- und Sozialpart­ner“wurde in der Phase des Wiederaufb­aus eingericht­et. Die Pflichtmit­gliedschaf­t sollte die Effizienz erhöhen. Allerdings wurde den Verbänden immer wieder auch mangelnde Fähigkeit zur Erneuerung vorgeworfe­n.

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