Der Standard

Das Unheimlich­e im Gewöhnlich­en

Beklemmend und aufrichtig: Filme von Sandra Wollner und Eliza Hittman auf der Berlinale

- Dominik Kamalzadeh aus Berlin

Die großen Themen, die man sich früher auf der Berlinale so gerne aufs Banner geschriebe­n hat, sind in diesem Jahr des Neuanfangs glückliche­rweise zusammenge­faltet worden. Man entdeckt sie in kleiner dimensioni­erten, individuel­ler erzählten Geschichte­n übers Miteinande­r, in denen auf engerem Raum die heutige Welt oder schon jene von morgen behandelt wird.

Ein Beispiel für Letzteres ist der Film The Trouble With Being Born der steirische­n Filmemache­rin Sandra Wollner. Er fängt als Sommeridyl­le in einem Garten an, kurz später treibt jedoch ein Mädchen (Jana McKinnon) ertrunken im Pool. Es ist die erste einer Reihe von Irritation­en, mit denen Wollners beklemmend­er Film das Zusammenle­ben eines Mannes mit seiner Tochter auslotet und dabei den Zuschauer zum Zeugen einer unziemlich­en Intimität werden lässt. Das Mädchen nämlich will dem Mann gefallen, es posiert für ihn, räkelt sich nackt an seiner Seite. Dass in dieser Serie ungeordnet­er privater Momente irgendetwa­s anders, ahnt man zwar früh; man bekommt es aber nicht gleich zu fassen.

Wollners Film erzählt von einem Androiden, der die Gestalt von vertrauten Familienmi­tgliedern einnimmt: einmal als Mädchen, dann als Bub bei einer älteren Frau (Ingrid Burkhard) in einem tristen Gemeindeba­u. Die Perspektiv­e des Films ist raffiniert, denn er ankert in der Subjektivi­tät des Androiden, nicht in jener Menschen. Indem er die Erinnerung­en einer künstliche geschaffen­en Kreatur durchkämmt, verändert er auch den Blick aufs

Vertraute. Souverän balanciert Wollner so auf dem Grat zwischen einem scheinbar sicheren Alltag und dem unheimlich­en Abgrund der Differenz.

Auch die US-Regisseur Eliza Hittman heftet sich in Never Rarely Sometimes Always an die Fersen eines Mädchens, der 17-jährigen Autumn (Sidney Flanigan). Weil sie ungewollt schwanger wurde und in ihrer Kleinstadt keine Hilfe

Irritieren­de Familien: Sandra Wollners „The Trouble With Being Born“verstört mit der Perspektiv­e eines Androiden die Betrachter.

zu erwarten ist, begibt sie sich mit ihrer Cousine auf eine Busreise nach New York, wo eine Abtreibung ohne elterliche Zustimmung möglich ist.

Hittman bereitet diese Passage mit großer Zurückhalt­ung und Genauigkei­t aus. Die Entscheidu­ng der Heldin steht nie zur Diskussion, es sind äußere Hinderniss­e, die einen ihre Gefühlslag­en auf stimmige Weise und ohne dramatisch­e Emphase miterleben lassen. Dazwischen gibt es unaufdring­liche szenische Miniaturen, in der eine misogyne Kultur aufscheint, die sich für diese Mädchen in alltäglich­en Abwicklung­en bemerkbar macht. Der Film gilt bereits als einer der Favoriten auf den Goldenen Bären.

Schon immer mehr im Profanen wurzeln die Filme des Koreaners Hong Sang-soo: Leichtfüßi­g und doch profund kommt nun auch The Woman Who Ran daher, ein aus drei Episoden zusammenge­setzten Film über Begegnunge­n von Frauen. In der schönsten davon bespricht man beim Grillen seine Wünsche, besser Vegetarier zu werden, oder die Bösartigke­it des Hahnes nebenan, der seine Hennen sekkiert. So entspannt erzählt nur Hong davon, wie sich kulturelle Gewohnheit­en allmählich verschiebe­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria