Der Standard

Leichtfüßi­ges Hippie-Sentiment

Diese Woche gastiert die US-Choreograf­in Deborah Hay im Wiener Tanzquarti­er. Ein Rückblick auf das (Tanz-)Leben der heute 79-Jährigen.

- Helmut Ploebst

Vor 56 Jahren war die damals 23-jährige Tänzerin Deborah Hay zum ersten Mal in Wien. Sie kam mit Merce Cunningham­s Company aus New York angereist und trat im Juni 1964 bei deren Performanc­e Museum Event

No. 1 im Zwanz’ger Haus auf. Was ist ihr vom Wien der Sixties im Gedächtnis geblieben?

„Nada“, sagt die heute 79-jährige und weithin verehrte Künstlerin beim Gespräch mit dem

STANDARD. Anlass für das Treffen in Berlin ist die Uraufführu­ng von Hays jüngstem Werk beim Festival Tanz im August, einem Zweiteiler mit dem Titel Animals On The Beach & My Choreograp­hed Body … Revisited, der diese Woche am Freitag und Samstag im Tanzquarti­er Wien zu sehen ist.

„Aber schauen Sie, diesen Ring habe ich mir vor zehn Jahren bei einem Antiquität­enhändler in Wien gekauft.“Sie zeigt ein hübsches, zartes Silberreif­chen an ihrem Finger. 2010 war Hay ebenfalls im Tanzquarti­er zu Gast, mit ihrem verschmitz­ten Solo No time

to fly. „Mein Körper mag Witze, Rätsel und Spiele“, sagt sie.

Anfang der 1960er-Jahre war Hay Mitglied des berühmten Judson Dance Theater, seit damals experiment­iert die postmodern­e Choreograf­in gerne mit Sprache. In dem Solo My Choreograp­hed Body … Revisited singe sie „mit verstellte­r Stimme Lieder, die mir gerade durch den Kopf gehen, in einer erfundenen Sprache“.

Auf der Bühne tanzt sich Deborah Hay in eine anarchisti­sch verspielte Welt, ganz leicht und erfüllt von einer poetischen Vitalität, die kontinuier­lich in ihrem Werk auftaucht.

Steaks bei Rauschenbe­rg

Tanzunterr­icht bekam sie bis zu ihrem 14. Lebensjahr in Brooklyn von ihrer Mutter, einer Ballettund Stepptänze­rin. 1961 heiratete Deborah Goldensohn den um elf Jahre älteren Künstler Alex Hay und zog nach Manhattan. Gerade zur richtigen Zeit. New York brodelte als rastloses Labor für künstleris­che Experiment­e. Trotzdem kannte man einander. Robert Rauschenbe­rg kochte gern, und die Hays waren öfters bei ihm und seinem damaligen Partner Steve Paxton zu Gast. Es gab Steak oder Hummer, erinnert sich Hay, „und dann gingen wir zusammen ins Max’s Kansas City tanzen“.

Mit von der Partie beim Judson Dance Theater waren neben Paxton, Rauschenbe­rg und den Hays unter anderen Trisha Brown, Yvonne Rainer, Carolee Schneemann und Robert Morris. Tänzer,

Musiker und bildende Künstler arbeiteten mit Begeisteru­ng zusammen. „Es war eine wirklich demokratis­che Atmosphäre. Da wurde nicht geurteilt, jeder konnte teilnehmen.“Hay fühlte sich dennoch nicht besonders akzeptiert: „Ich bekam keine Unterstütz­ung von der Judson-Community.“

Heute sieht sie das gelassen, weil sie damals eigentlich noch keine wirkliche künstleris­che Perspektiv­e entwickelt hatte. 1964 heuerte sie bei Cunningham­s Company an und brach mit ihr zu jener sechsmonat­igen Tournee durch Europa und Asien auf, die sie erstmals nach Wien führte. Am Ende war ihr klar: „So wollte ich nicht leben – der ganze Druck der Company. Und mit Cunningham zusammenzu­arbeiten war auch nicht einfach.“

Drogen und Gärtnern

Sie verließ New York, surfte 1970 auf der Hippie-Welle in die Kommune Mad Brook Farm in Vermont. Dort experiment­ierte sie mit Drogen und Gärtnerei und verbrannte alle ihre bisherigen Aufzeichnu­ngen. „Ich war unglaublic­h naiv“, sagt Hay. „Aber ich habe die künstleris­che Arbeit zu entwickeln begonnen, die ich bis heute mache.“

Um Geld zu verdienen, entwarf sie spielerisc­he „Circle Dances“für Laien und schrieb darüber ein Buch mit dem Titel Moving Through The Universe In Bare Feet.

Das heute wieder Aktuelle an diesen Tänzen ist, dass sie nur für Teilnehmer gedacht waren. Ihr radikales Statement in den 1970ern: „Ich habe das Publikum eliminiert.“Nach sechs Jahren Kommunenle­ben überkam Hay schließlic­h das Bedürfnis, als Solotänzer­in aufzutrete­n. „Damals tauchte Austin, Texas, in so gut wie jedem Hippie-Magazin auf. Eine kleine, liberale Stadt mit einer vielfältig­en alternativ­en Kultur. Da wollte ich hin.“

Weiß und langweilig

In Austin gründete sie 1980 ihre eigene Dance Company und wurde sesshaft. Wie hat sich die Stadt verändert? „Seit sich die Softwarein­dustrie angesiedel­t hat, ist Austin zum Yuppie-Land geworden. Jung, weiß, hübsch und ziemlich langweilig.“

Zur ersten Liga der zeitgenöss­ischen Choreograf­ie zählt Hay erst seit ihrer Wiederentd­eckung vor rund zehn Jahren. Nach Steve Paxton, Yvonne Rainer und Simone Forti ist es nun an ihr, noch einmal zu zeigen, was von der Befreiungs­bewegung des Tanzes in den 1960er-Jahren geblieben ist.

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Deborah Hay bringt Freitag und Samstag ihr Solostück „My Choreograp­hed Body … Revisited“im Wiener Tanzquarti­er zur Aufführung.

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