Der Standard

Coronavire­n haben keine Pässe

Das offene Europa schützt uns, die Forderung nach Grenzkontr­ollen ist absurd

- Thomas Mayer

Kaum taucht in irgendeine­m Mitgliedsl­and der Europäisch­en Union ein gröberes Problem auf, welches grenzübers­chreitende Wirkung hat, ertönt von rechten Parteien der Ruf nach Abschottun­g, nach Wiedereinf­ührung der vor 25 Jahren abgeschaff­ten Grenzkontr­ollen, nach mehr Kontrolle, nach mehr Nationalst­aat. Dabei kommen im Grunde stets die gleichen populistis­chen Mechanisme­n zum Tragen. Man spielt mit berechtigt­en Ängsten der Bürger und erzeugt gefährlich­e Illusionen.

Beispiele: Nach 2008 drohte in der Finanz- und Wirtschaft­skrise mit dem Absturz von Griechenla­nd auch gleich die ganze Währungsun­ion zu kippen. In Frankreich begann der extrem rechte Front National von Marine Le Pen, den Euro infrage zu stellen, die Wiedereinf­ührung von Franc, D-Mark und Schilling zu fordern – und das Ende der EU, der offenen Grenzen.

In Deutschlan­d entstand die AfD als Anti-Euro-Partei, die sich kaum zehn Jahre später als FPÖ-Bruderpart­ei zur rassistisc­hen Bewegung entwickelt­e.

Die EU-Staaten haben dieser nationalis­tischen Verführung bei der Griechenla­ndkrise widerstand­en. Ein – nicht perfektes – System von Hilfen hat die Abwehrkraf­t der Eurozone gestärkt, S was den kleinen Ländern nutzt. o ähnlich, aber anders gelagert, war das bei der Flüchtling­swelle 2015, als mehr als eine Million Menschen auf der Balkanrout­e irregulär über die Grenzen Richtung Norden wanderten. Die EU als Ganzes begann 2016 mit restriktiv­er Politik an den EU-Außengrenz­en. Mehrere Mitglieder, voran Deutschlan­d und Österreich, nutzten trotzdem die Ausnahmere­geln des Schengenab­kommens. Sie führten an ihren Grenzen wieder permanente Kontrollen ein. Bis heute.

Ob das auch nachhaltig wirkt, ist mehr als fraglich. Nicht umsonst hoffen praktisch alle EU-Staaten nach vier Jahren wechselsei­tiger Blockaden, dass es vor dem Sommer endlich gelingen wird, in Brüssel ein „großes EU-Migrations­paket“über die Bühne zu bringen. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Asyl- und Migrations­politik im Binnenmark­t nur gemeinsam erfolgreic­h sein kann.

Nun ist es im Fall der Coronaviru­skrise wieder so weit. Italien ist am meisten betroffen, ein Hotspot. Wissenscha­fter wissen zwar nicht genau, warum. Aber was hört man dazu von

Europas Rechtspopu­listen, von LegaChef Matteo Salvini bis hin zum früheren FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl? Genau: Grenzen dicht! Mit Italien sei „der Grenzverke­hr auf ein Minimum zu beschränke­n“. FPÖ-Chef Norbert Hofer assistiert ihm.

Kickl scheut nicht davor zurück, die Virusepide­mie mit Ausländerf­eindlichke­it zu verknüpfen. Er fordert, dass „illegale Einwandere­r bzw. Asylwerber ab sofort in Quarantäne zu nehmen“seien. Was ist davon sachlich zu halten? Wenig bis nichts.

Vor aller Augen zeigt sich gerade, dass es umgekehrt ist: Es ist das offene Europa – enge Zivilschut­zkooperati­on zwischen EU-Institutio­nen, Regierunge­n der Mitgliedss­taaten, Ministern –, das uns Bürger schützt. Coronavire­n haben keine Reisepässe. Es ist absurd zu glauben, man könnte sie an der Grenze „kontrollie­ren“. Regionen oder Dörfer müssen isoliert werden, sie erhalten jede Hilfe von Staaten und aus Brüssel. Wirtschaft­lich ist das, was die FPÖ fordert, geradezu fahrlässig. Italien ist Österreich­s zweitgrößt­er Handelspar­tner. Sich von diesem Land abzuschott­en wäre so, als schrie man förmlich nach einem Wirtschaft­seinbruch und mehr Arbeitslos­igkeit.

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