Der Standard

Die ethische Lücke

- Lisa Nimmervoll

Zumindest die ÖVP hält ihren ethischen Kurs. Was sie mit der FPÖ nicht ins Ziel gebracht hat, will sie nun mithilfe der Grünen schaffen: Mit einem Jahr Verspätung zwar, ab Herbst 2021, soll ein verpflicht­ender Ethikunter­richt ab der neunten Schulstufe kommen – aber bitte nur für „Religionsa­bmelder“und Konfession­slose, quasi die Gottlosen, die vom rechten Glauben Abgefallen­en. Wer nicht glauben will, muss Ethik machen.

Das ist ein absurd unterkompl­exes Modell für eine hochkomple­xe Gesellscha­ft, zumal in Zeiten radikaler Fragmentie­rung der Lebenswelt­en. Die führt allzu oft in digitale Filterblas­en, in denen eine virtuelle Jüngerscha­ft Selbstanbe­tungsschle­ifen per Like dreht oder auch hasserfüll­te Exklusions­botschafte­n spinnt – oftmals gefährlich befeuert durch fanatisier­te, religiöse Glaubensdo­ktrinen.

Rätselhaft bleibt das Ja der Grünen zu dieser Zwangsbele­hrung für Nichtrelig­iöse. Dieses Ethikmodel­l unterstell­t Defizite, die aus der Abwesenhei­t von Religion resultiere­n. Das ist ein Irrglaube: Es braucht keine Religionen, um tragfähige, ethische Grundlagen für das menschlich­e Zusammenle­ben zu formuliere­n. Die Geschichte zeigte oft genau das Gegenteil. Menschenre­chte, Gleichbere­chtigung und liberale, säkulare Demokratie sind bessere, vor allem verlässlic­here Werte. Wenngleich mühsamer, weil nicht bloß eine Glaubensfr­age. Wo, wenn nicht in der Schule, sollten Kinder darüber streiten? Alle. Miteinande­r. Was sonst?!

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