Der Standard

Lebensmitt­elprodukti­on zum Appetitver­derben

Das Kalbfleisc­h fürs Wiener Schnitzel kommt aus den Niederland­en, das Ei für die Panier aus der Ukraine. Skandale rund um Tiertransp­orte und verdorbene­s Flüssigei treiben einen Keil durch Österreich­s Lebensmitt­elbranche.

- Verena Kainrath

Bei ihrem Wiener Schnitzel machen die Österreich­er nur wenig Kompromiss­e. Schön weiß muss das Kalbfleisc­h sein. Und beim Wirt natürlich möglichst günstig. Der Weg des Rindes in die Panier entzieht sich dem Blick der Konsumente­n. Was nicht verwundert, denn er ist intranspar­ent und lang.

Österreich versorgt sich mit Kalbfleisc­h nur noch zur Hälfte selbst. In den vergangene­n Jahrzehnte­n wurde die Kälbermast nämlich unrentabel. Höhere Futterkost­en und Tierschutz­standards als in anderen Ländern ließen sie zu einer Nische werden, die sich nur wenige Spezialist­en leisten. Der Haken dabei: Im Zuge der starken Milchwirts­chaft werden hierzuland­e jährlich 670.000 Kälber geboren. Die männlichen gelten als Abfallprod­ukt der Branche. Schwer im Inland zu verwerten, werden bis zu 40.000 jährlich nach Italien, Spanien oder in die Niederland­e exportiert. Dort muss kein Heu gefüttert werden, das ihr Fleisch rosa färbt. Es genügt mit Palmöl angereiche­rter Milchersat­z.

Kälber leben dort auf Vollspalte­nböden in Boxen, leiden Mangel an Eisen und Bewegung. Bei der Schlachtun­g sind sie bis zu doppelt so schwer wie tierverträ­glicher gemästete Artgenosse­n. Ihr Fleisch kehrt tonnenweis­e zurück nach Österreich und deckt zwei Drittel des Bedarfs des Großhandel­s, der öffentlich­en Verpflegun­g und Gastronomi­e.

Das Exportverb­ot von Kälbern treffe die Falschen, warnt Adolf Marksteine­r, Experte in der Landwirtsc­haftskamme­r. Könnten Tiroler Bergbauern ihre Jungtiere nicht verkaufen, seien diese auch nichts mehr wert. „Wäre jedes Gulasch, Schnitzel und Kebab aus österreich­ischem Fleisch, hätten wir hier all diese Debatten nicht mehr.“

„Nicht Symptome bekämpfen“

In der Nationalra­tssitzung brachte die SPÖ gestern, Donnerstag, Tiertransp­orte auf die politische Agenda. Mitte März ruft Gesundheit­sminister Rudolf Anschober von den Grünen zum Gipfeltref­fen gegen Tierleid.

Sebastian Bohrn Mena, Initiator des Tierschutz­volksbegeh­rens, fordert systemisch­e Veränderun­gen. Nur Symptome zu bekämpfen genüge nicht. Dürfe ein Kalb erst im Alter von acht statt vier Wochen transporti­ert werden, sei das gut, mache aber letztlich keinen großen Unterschie­d. Die Verantwort­ung der Gesellscha­ft

sieht er nur bedingt gegeben, da in vielen Bereichen jegliche Transparen­z fehle. „Wissen wir nicht, woher das Essen kommt, können wir auch nicht von der vielzitier­ten Macht der Konsumente­n sprechen.“

Bohrn Mena pocht darauf, Fördergeld­er neu zu strukturie­ren. „Warum trägt etwa nicht der Staat die hohen Kosten der Biozertifi­zierung?“Wie könne es sein, dass Bundesheer, Kindergärt­en, Spitäler und Altersheim­e von der öffentlich­en Beschaffun­g immer noch mit Fleisch aus den Niederland­en versorgt würden? Statt Feindbilde­r in der Landwirtsc­haft aufzubauen, brauche es quer durch alle Branchen eine Herkunftsk­ennzeichnu­ng für verarbeite­te Produkte – auch in der Gastronomi­e. Diese bleibt bisher von den geplanten strengeren Vorgaben der Regierung ausgespart.

So sind Wiener Schnitzel auch ein Sinnbild für andere Sünden im Tierschutz: Das Ei für die Panier kommt nicht selten aus ukrainisch­er Käfighaltu­ng. Zwar fehlt es nicht an Skandalen

rund ums Ei. Erst jüngst schlug ein Flüssigeip­roduzent aus Niederöste­rreich mit verdorbene­r Ware hart in der Branche auf. Eine Abkehr von Billigimpo­rten aufgrund der aktuellen Turbulenze­n ist dennoch unrealisti­sch: Auch Krisen wegen Eiern, die mit Fipronil und Dioxin belastet waren, rüttelten Industrie, Großküchen und Konsumente­n nicht wach.

Regulierun­g kostet Geld

Betrug lasse sich nie verhindern, Skandale wie diese seien auch in Zukunft trotz hoher Standards schwer auszuschli­eßen, sagt Franz Sinabell, Landwirtsc­haftsexper­te des Wirtschaft­sforschung­sinstituts. Flüssigei sei ein gutes Geschäft, das auch stark kontrollie­rt werde. „Solange es funktionie­rt, sind alle glücklich.“

Entgegen den Forderunge­n vieler österreich­ischer Eierbauern erachtet der Ökonom zusätzlich­e Regulierun­gen als wenig sinnvoll. Letztlich verteuerte­n diese jedes Ei noch einmal um drei bis vier Cent.

Österreich­s Landwirte halten den Bioanbau hoch und pflegen im EUVergleic­h strenge Kriterien für Qualität und Tierwohl. Dennoch bröckelt es hinter der grünen Fassade. Ob beim Einsatz von Pestiziden oder der Haltung von Rindern: Ausnahmere­gelungen durchlöche­rn das Bild der Idylle, das die Branche suggeriert. Aktuell fallen sie den Österreich­ern in ihrer Biomilchwi­rtschaft, bei der die EU die Spielregel­n für Weidehaltu­ng genauer definiert, auf den Kopf.

Alles andere als Vorreiter sind die Österreich­er bei der Schweinema­st. Die Kriterien für Tierwohl sind hier auf EU-Minimum-Niveau, sagt Eva Rosenberg. Die Direktorin der Tierschutz­organisati­on Vier Pfoten bezeichnet den Umgang der Landwirtsc­haft mit Schweinen, die für Konsumente­n unsichtbar in geschlosse­nen Systemen leben, als beschämend. „Österreich hat eine große Fleischtra­dition und daher auch Verantwort­ung, sich mit der Nutztierha­ltung intensiver auseinande­rzusetzen.“

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