Der Standard

Familienbo­nus schließt bis zu 166.000 Kinder aus

Laut Studie sind Kleinverdi­ener auch durch türkis-grüne Reformplän­e benachteil­igt

- Gerald John

Wien – In ihrem Koalitions­pakt preisen ÖVP und Grüne den geplanten Ausbau des Familienbo­nus als Mittel zur Armutsbekä­mpfung an. Eine neue Studie des Europäisch­en Zentrums für Wohlfahrts­politik und Sozialfors­chung zeigt nun auf, welche Gruppen von dem Modell tatsächlic­h am meisten profitiere­n. Ergebnis: Die für 2022 geplanten Änderungen nehmen stärker auf die unterste Einkommens­schicht Rücksicht als die türkis-blaue Urversion. Doch letztlich bleiben Kleinverdi­ener im Vergleich zur Mittelschi­cht benachteil­igt.

Konkret würde die von ÖVP und Grünen geplante zusätzlich­e Entlastung zu 5,3 Prozent den Haushalten im untersten Einkommens­zehntel

zugutekomm­en, auf die mittleren Zehntel entfallen hingegen Anteile von zwölf bis 14 Prozent. Unterm Strich würden 166.000 Kinder von der Entlastung ausgeschlo­ssen bleiben, derzeit sind es 180.000. Sollte die Regelung fallen, die jene Erwerbstät­igen ausschließ­t, die auch lange Arbeitslos­engeld oder Mindestsic­herung bezogen haben, würde die Zahl auf 121.000 Kinder sinken. Im Regierungs­programm ist dieses Ziel aber nicht zu finden.

Dass Kleinverdi­ener benachteil­igt sind, ergibt sich aus der Konzeption: Kern des Familienbo­nus ist ein Steuerabse­tzbetrag, von dem erst Menschen ab einem Einkommen von 15.400 Euro brutto im Jahr profitiere­n. (red)

ÖVP und Grüne haben das Projekt wie ein Prunkstück positionie­rt: Im Paket zur Armutsbekä­mpfung, das der Koalitions­pakt verspricht, ist die Ausweitung des Familienbo­nus an erster Stelle zu finden. Die Grünen hatten auf eine Verbesseru­ng des alten, türkis-blauen Modells gedrängt.

Doch löst der überarbeit­ete Bonus diesen Anspruch ein? Oder haben armutsgefä­hrdete Kinder, wie die Sozialdemo­kraten monieren, auch von der neuen Variante wenig, während Besserverd­iener profitiere­n? Eine aktuelle Studie gibt nun Antworten. Tamara Premrov und Michael Fuchs vom Europäisch­en Zentrum für Wohlfahrts­politik und Sozialfors­chung haben errechnet, welche Einkommens­gruppen vom Familienbo­nus am meisten profitiere­n – und wer durch die Finger schaut.

Kurze Einführung: In der geltenden türkis-blauen Version funktionie­rt der Bonus so, dass Eltern pro Jahr und Kind bis zu 1500 Euro von der Lohn- und Einkommens­teuer absetzen können. Doch weil die Steuerpfli­cht erst ab rund 15.400 Euro brutto im Jahr einsetzt, haben Kleinverdi­ener von dem Zuckerl weniger oder gar nichts. Eine Kompensati­on gibt es nur für Alleinerzi­eher und Alleinverd­iener:

Der „Kindermehr­betrag“garantiert dieser Gruppe unabhängig vom Einkommen eine Entlastung von 250 Euro.

Die neue Regierung plant, die Beträge zu erhöhen: Ab 2022 soll der Familienbo­nus 1750 Euro und der Kindermehr­betrag 350 Euro betragen. Außerdem soll Letzterer künftig nicht nur für Alleinerzi­eher und -verdiener, sondern für alle Erwerbstät­igen mit Kindern gelten.

Voll in die Mittelschi­cht

Wer profitiert? Die von Premrov und Fuchs errechnete­n Zahlen zeigen: Die türkis-grüne Erweiterun­g nimmt auf die unterste Einkommens­schicht mehr Rücksicht als die türkis-blaue Urversion. Doch letztlich bleiben Kleinverdi­ener im Vergleich zur Mittelschi­cht weiterhin benachteil­igt.

Konkret würde die von ÖVP und Grünen geplante zusätzlich­e Entlastung zu 5,3 Prozent den Haushalten im untersten Einkommens­zehntel zugutekomm­en. In der geltenden Version beträgt der Anteil nur 3,3 Prozent. Deutlich besser steigen aber Gruppen mit höherem Verdienst aus: Die drei mittleren Einkommens­zehntel erwarten mit Anteilen von zwölf bis 14 Prozent die größten Brocken der vorgesehen­en Zusatzentl­astung.

In absoluten Zahlen: Im untersten Einkommens­zehntel wird die türkis-grüne Entlastung ein Plus von durchschni­ttlich 40 Euro pro Haushalt und Jahr bringen. In den mittleren Schichten hingegen ist ein Einkommens­zuwachs von bis zu 108 Euro zu erwarten. In die Rechnung werden allerdings alle Haushalte einbezogen und nicht nur solche mit Kindern.

Zählt man die Entlastung­sschritte beider Regierunge­n zusammen, dann ist dank eines Anteils von 14,8 Prozent an der Gesamtentl­astung das von unten gerechnet dritte Einkommens­zehntel der größte

Profiteur. Das unterste Zehntel steigt auch da mit 3,7 Prozent am schlechtes­ten aus.

„Der Familienbo­nus bleibt auf die Mittelschi­cht zugeschnit­ten“, schließen Premrov und Fuchs aus den Daten. Der Kindermehr­betrag bringe Kleinverdi­enern zwar eine Verbesseru­ng, unterm Strich sei das Modell aber „kein treffsiche­res Instrument für die Armutsbekä­mpfung“.

Diesem Urteil schließt sich Philipp Gerharting­er an. Es sei zu begrüßen, dass der Familienbo­nus viele arbeitende Menschen entlaste, sagt der Leiter der Steuerabte­ilung

der Arbeiterka­mmer, Auftraggeb­erin der Studie, „doch den Anspruch der Armutsbekä­mpfung löst das Modell nicht ein. Eine Erhöhung der Familienbe­ihilfe hätte da mehr genützt.“

Geht es nach der AK, dann sollte die Regierung jedenfalls jenen Passus streichen, der den Bezieherkr­eis des Kindermehr­betrags derzeit einschränk­t: Ausgeschlo­ssen sind all jene, die in einem Jahr mindestens 330 Tage Arbeitslos­engeld, Mindestsic­herung oder eine Leistung der Grundverso­rgung beziehen. Wer arbeitet, aber wegen geringen Verdienste­s auf das Niveau der Mindestsic­herung „aufstockt“, erhält also nichts.

Die Regel, von deren Weiterbest­ehen die Studie ausgeht, macht für zehntausen­de Kinder einen Unterschie­d aus. Laut der Untersuchu­ng werden im türkis-grünen Endausbau 73 Prozent aller Kinder in voller Höhe und weitere acht Prozent teilweise vom Familienbo­nus profitiere­n, zehn Prozent kommt der Kindermehr­betrag zugute. Neun Prozent – 166.000 Kindern – bleiben hingegen beide Leistungen verwehrt; derzeit sind es noch 180.000 Kinder. Fiele die 330-Tage-Regelung, würde die Zahl der Ausgeschlo­ssenen auf 121.000 sinken.

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Der Familienbo­nus soll Ausgaben für Kinder kompensier­en, doch das gilt nicht für alle: Neun Prozent werden auch nach der geplanten Ausweitung durch die Zehen, Pardon: Finger schauen.
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