Der Standard

London bleibt bei Brexit hart

Briten lehnen EU-Regeln für künftige Beziehunge­n ab

- Sebastian Borger aus London

London/Brüssel – Unmittelba­r vor Beginn der Verhandlun­gen über die zukünftige­n Beziehunge­n mit der EU lässt die britische Regierung die Muskeln spielen: Man wolle sich nach der Brexit-Übergangsp­hase nicht weiter auf EURegeln einlassen, geht aus dem am

Donnerstag in London veröffentl­ichten Verhandlun­gsmandat des Landes hervor. Die Beteiligte­n in London und Brüssel haben nur bis Ende des Jahres Zeit, um sich auf ein Freihandel­sabkommen und die Kooperatio­n in weiteren Bereichen zu einigen. (red)

Theaterdon­ner oder Vorbote eines dauerhafte­n Zerwürfnis­ses? Das Mandat der britischen Regierung von Premiermin­ister Boris Johnson für die am Montag beginnende­n Brexit-Verhandlun­gen über den zukünftige­n EU-Handel gibt sich ähnlich kompromiss­los wie jüngste Äußerungen des Brüsseler Chefunterh­ändlers Michel Barnier. Man werde „unsere neugewonne­ne Souveränit­ät nicht wegverhand­eln“, betonte der zuständige Kabinettsm­inister Michael Gove am Donnerstag im Unterhaus.

Seit dem EU-Austritt Ende Jänner befindet sich das Vereinigte Königreich in der sogenannte­n Übergangsp­hase. Bis Ende des Jahres muss das Brexitland alle EU-Vorschrift­en erfüllen, auch wie bisher mehr als zehn Milliarden Euro in die Brüsseler Kasse einzahlen, hat aber jegliches Mitsprache­recht verwirkt.

EU stellt Zeitplan infrage

Im Austrittsv­ertrag vereinbart­en die Partner den Abschluss eines neuen Handelsver­trages; während die EU stets den ehrgeizige­n Zeitplan infrage stellt, pocht London darauf, die neue Vereinbaru­ng solle bis Jahresende unter Dach und Fach sein. Weil sowohl das Unterhaus wie die Parlamente der 27 EU-Mitglieder zustimmen müssen, steht den Verhandlun­gsführern

wenig mehr als ein halbes Jahr zur Verfügung.

Das am Donnerstag veröffentl­ichte 30-seitige Dokument stellt die Antwort dar auf die Richtlinie­n, die die EU Barnier vorgegeben hat. Großbritan­nien strebe Freihandel und freundscha­ftliche Zusammenar­beit mit dem größten Binnenmark­t der Welt an, heißt es darin. Neben dem „ehrgeizige­n Freihandel­svertrag“à la Ceta – der EU-Vereinbaru­ng mit Kanada – soll es separate Absprachen über Sicherheit, Luftverkeh­r und Fischerei geben. In seinem zehnminüti­gen Statement verwendete Gove siebenmal die Worte „Souveränit­ät“oder „souverän“.

Hingegen hat der Franzose Barnier den Handelsver­trag ausdrückli­ch von zwei Voraussetz­ungen abhängig gemacht, zu denen eine langfristi­ge Garantie über den Zugang zu britischen Gewässern für die Fangflotte­n von EU-Mitglieder­n wie Frankreich und Spanien gehört. Zudem müsse sich Großbritan­nien dauerhaft zu „offenem und fairen Wettkampf“, dem sogenannte­n Level Playing Field, bekennen.

London interpreti­ert anders

Dies hatte London in der „politische­n Erklärung“zugesicher­t, die von den beiden Partnern im vergangene­n Oktober als Teil des

Austrittsp­akets unterzeich­net worden war. Aufseiten der konservati­ven Regierung herrscht die Argumentat­ion vor, der klare Wahlsieg im Dezember habe Johnson grünes Licht für einen härteren Kurs gegenüber der EU erteilt. Die Vereinbaru­ng vom Oktober wird deshalb als rechtlich nicht bindend interpreti­ert.

Man werde die Fortdauer von EU-Regeln nicht akzeptiere­n, betonte Gove und wischte das Brüsseler Argument vom Tisch, wonach das bisherige EU-Mitglied wegen seiner Nähe zum Kontinent anders behandelt werden solle als Kanada, Japan oder Südkorea: „Die Geografie stellt keinen Grund zur

Unterminie­rung der Demokratie dar.“Hingegen bekräftigt­e Barnier diese Woche die Bedeutung der politische­n Erklärung als Teil des Austrittsv­ertrages: „Jedes Wort zählt.“Handelskom­missar Phil Hogan deutete sogar an, es gehe um Großbritan­niens Vertragstr­eue. Dass ausgerechn­et der Ire mit dem Handelsres­sort betraut ist, hat in London nicht gerade für Entzücken gesorgt.

Druck auf Regierung

Unterdesse­n setzen die vom EU-Handel betroffene­n Branchen die Regierung zunehmend unter Druck. Der Branchenve­rband SMMT warnte im Namen der Automobilh­ersteller vor der „anhaltende­n Unsicherhe­it“durch Johnsons Brexit-Kurs. Agrarminis­ter George Eustice wurde am Mittwoch beim Jahrestref­fen des Bauernverb­andes NFU ausgebuht, weil er ausdrückli­ch Garantien für zukünftige Subvention­en verweigert­e. Hingegen hatte die Vote-Leave-Lobby 2016 im Referendum­skampf – angeführt von Johnson und Gove – die ländliche Bevölkerun­g mit dem Verspreche­n gelockt, ihre wirtschaft­liche Lage werde sich nach dem Verlust der Brüsseler Agrarsubve­ntionen nicht verschlech­tern.

NFU-Chefin Minette Batters kündigte harten Widerstand an. „Wir werden nicht zulassen, dass unsere Standards durch den Import von Billig-Lebensmitt­el untergrabe­n werden“, sagte die Bauernverb­andspräsid­entin und bezichtigt­e die Regierung, diese plane einen „moralische­n Bankrott“. Außer den vielzitier­ten Chlorhende­ln aus den USA geht es dabei etwa auch um die amtstierär­ztliche Aufsicht von Viehzüchte­rn und strikte Kontrolle von Antibiotik­a-Gaben, die in anderen Weltregion­en noch immer routinemäß­ig ins Viehfutter gemischt wird.

 ??  ?? Der britische Premiermin­ister wird nicht müde zu betonen, dass am 31. Dezember Schluss sei: Dann werde das Vereinigte Königreich alle Brexit-Folgevertr­äge ausgehande­lt haben.
Der britische Premiermin­ister wird nicht müde zu betonen, dass am 31. Dezember Schluss sei: Dann werde das Vereinigte Königreich alle Brexit-Folgevertr­äge ausgehande­lt haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria