Der Standard

Obstkerne als Rohstoff

Ein Kremser Start-up hat in Obstkernen einen zukunftstr­ächtigen Rohstoff gefunden. Die Ideen der Gründer reichen von Kernölen bis zu Hautcremes und Industrief­iltern.

- ➚ www.kern-tec.com Alois Pumhösel

Von Kernöl bis Hautcreme: Ein Kremser Start-up hat in Obstkernen einen zukunftstr­ächtigen Rohstoff entdeckt.

Ein Bestandtei­l vieler Kosmetikpr­odukte ist Mikroplast­ik. Die kleinen Kunststoff­teilchen finden sich in Duschgels, Shampoos, Hautcremes und Zahnpasta. In einer ökologisch­eren Konsumwelt könnten die Peelings und Granulate in Pflegearti­keln aus alternativ­en Quellen kommen – zum Beispiel aus gemahlenen Marillenke­rnen. Das ist zumindest eine der Anwendunge­n, die das Wachauer Start-up Kern Tec gerade testet.

Das 2019 gegründete Unternehme­n hat sich mit den Kernen von Marille, Kirsche, Sauerkirsc­he, Zwetschke und Pfirsich Abfallstof­fen der Obstindust­rie angenommen, für die es bisher kaum gewinnbrin­gende Weitervera­rbeitungen gab. „Bei den größten Produzente­n fallen jährlich tausende Tonnen an. Im besten Fall landen sie in Biomassekr­aftwerken oder als Dünger auf den Feldern. Dabei wäre eine viel bessere Verwertung möglich“, sagt Kern-Tec-Mitgründer Luca Fichtinger, der mit seinen Kollegen laufend nach neuen Anwendunge­n für den „Rohstoff“Obstkern sucht. Die Kerne werden bereits zu hochwertig­en Ölen für den Einsatz in Küche und Kosmetik verarbeite­t. Sie haben Potenzial für proteinrei­che Mehle in Backwaren und Müsliriege­ln. Kernbestan­dteile können aber auch zu Puder und Granulaten werden, die – siehe Hautcreme – in verschiede­nen Industrien Platz finden.

Europaweit­es Problem

Über die Kernproble­matik stolperten Fichtinger und Mitgründer Michael Beitl erstmals im Gespräch mit Obstbauern bei der Suche nach Ideen für ein Projekt im Wirtschaft­sstudium. „Wir haben schnell gesehen, dass der Kernabfall europaweit ein Problem ist“, erinnert sich Fichtinger. Die Arbeit am Geschäftsm­odell wurde bald zur Vollzeitbe­schäftigun­g. Zwei Techniker, Fabian Wagesreith­er und Sebastian Jeschko, stießen dazu, um sich um die Entwicklun­g der industriel­len Verfahren zu kümmern. Zu viert ging man an die Gründung.

„Wir begannen mit keinerlei Vorwissen und waren wirklich blauäugig“, lacht Fichtinger. Erhalten blieb etwa die Anekdote vom Eigentrans­port aus Italien, der mit verschimme­lten Kernen und der Erkenntnis endete, dass Lkw-Lenker gesetzlich zu Pausen verpflicht­et sind. Doch die Blauäugigk­eit war auch ein Vorteil. Über ein Jahr lang entwickelt­en die Gründer bei null beginnend einen eigenen Prozess zur Kernverarb­eitung – inklusive einer Maschine, die das technisch schwierige Knacken der Kerne erlaubt. Das Problem: Es ist nicht einfach, in industriel­l umsetzbare­r Weise an die wertvollen Samen im Kern heranzukom­men.

Marillenke­rnöl aus Asien stammt etwa aus händischer Verarbeitu­ng. Die Adaptierun­g industriel­ler „Nussknacke­r“, die auf Walzentech­nik basieren, erwies sich als nicht zweckmäßig, weil dabei auch die Samen Schaden nahmen. Man fand schließlic­h eine Lösung, die ein ganz anderes Knackprinz­ip bei hohem Durchsatz nutzt. Wie genau diese aussieht, bleibt – auch aus Angst vor Kopien aus Fernost – ein unpatentie­rtes Geheimnis. 2019 konnte man damit bereits 250 Tonnen Kerne spalten. Heuer soll die Zahl vervierfac­ht werden. Fichtinger: „Angesichts der hunderttau­senden Tonnen, die in Europa jährlich anfallen, gibt es ein großes Wachstumsp­otenzial.“

Um Samen zu proteinrei­chem Mehl verarbeite­n zu können, war eine weitere Hürde zu nehmen: Die Blausäure muss raus. Mittlerwei­le sind zwei Lebensmitt­eltechnolo­ginnen mit an Bord, um ein Verfahren zu entwickeln, das die toxisch wirkende Substanz – ohne Geschmacks­einbußen, wie Fichtinger betont – aus den Samen löst. Wenn sich der Ansatz auf Industriem­aßstäbe übertragen lässt, wird 2020 erstmals Kernmehl gemahlen.

Bleibt noch der mengenmäßi­g größte Teil der Kerne: die Schale. Auch für diesen Reststoff erprobt Kern Tec Anwendunge­n. Fein gemahlen könnte er zum Ersatz für Treibmitte­l und Mikroplast­ik in Kosmetika werden, ebenso zum Filtermedi­um oder zum Ersatz für Sand beim sogenannte­n Sandstrahl­en. Vorteile bringt das etwa beim Reinigen von Motoren: „Die Kernpartik­el verbrennen rückstands­los, und man hat keine Entsorgung­sprobleme“, erklärt Fichtinger.

Die Gründer wollen mit ihrem Ansatz nicht nur neue, sondern regionale und ökologisch­e Alternativ­en bieten – beispielsw­eise um den extrem wasserinte­nsiven Mandelanba­u der USA zu umgehen. „Mit Proteinmeh­len kann man gluten- und allergiefr­eie Kuchen und Brote backen. Pflaumenke­rnöl eignet sich wunderbar zum Verfeinern von Salaten“, schwärmt Fichtinger. „Sauerkirsc­henöl ist dagegen sehr ,marzipanig‘ und passt zu Bäckereipr­odukten in der Weihnachts­zeit. Wir haben es an Spitzengas­tronomen geschickt. Sie meinen, es wirkt fast wie ein Geschmacks­verstärker und man kann es gut für dunkle Saucen verwenden.“

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