Der Standard

Widerstand gegen Migrantenl­ager

Nach den gewaltsame­n Ausschreit­ungen zwischen Bewohnern von Lesbos und der Polizei wegen neu zu erbauender Flüchtling­scamps ist man an den Verhandlun­gstisch zurückgeke­hrt.

- Adelheid Wölfl

Hunderte Menschen zogen auch am Donnerstag durch die Straßen der griechisch­en Insel Lesbos, um gegen den Bau eines neuen Lagers für Migranten und Flüchtling­e zu demonstrie­ren. Nach den schweren Zusammenst­ößen der vergangene­n Tage zog Regierungs­chef Kyriakos Mitsotakis die Bereitscha­ftspolizei ab.

Die Insulaner haben sich gegen die Athener Regierung verschwore­n. „Unsere Stimme muss gehört werden“, sagt Tasos Balis, Berater des Bürgermeis­ters von Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, zum STANDARD. Seit Dienstag wird auf den fünf ägäischen Inseln, die am stärksten von der Migrations­krise betroffen sind, gestreikt. Die Verwaltung arbeitet nicht mehr. Denn auf den Inseln sollen neue Migrantenc­amps gebaut werden.

Als am Montag zwölf Lastwägen mit insgesamt etwa 180 Sonderpoli­zisten vom Festland nach Lesbos geschipper­t wurden, um die Demonstran­ten zu vertreiben, die verhindern wollten, dass ein neues Migrations­zentrum auf der Insel errichtet wird, entlud sich die lange aufgestaut­e Wut auf die Regierung.

Etwa 5000 Demonstran­ten, die aus allen Teilen der Insel kamen, protestier­ten gegen die Sonderpoli­zisten, die die Straßenspe­rren aufheben wollten, erzählt Balis. Drei Tage lang kam es zu gewaltsame­n Ausschreit­ungen zwischen der Polizei und den Demonstran­ten. „Wir haben einfach jeglichen Glauben an die Regierung verloren“, erzählt Balis. „Wenn nun ein neues Camp gebaut wird, in dem etwa 7000 Migranten Platz haben, befürchten wir, dass rundherum weitere 15.000 Migranten wild campen, genauso wie im Camp Moria“, erklärt er die Sorge der einheimisc­hen Bevölkerun­g.

Tatsächlic­h ist das Camp Moria, in dem etwa 19.000 Migranten im Müll, im Schlamm, in selbst gebauten Plastikzel­ten und ohne ausreichen­de Versorgung vegetieren, großteils ein wildes Camp.

Verspreche­n nicht einhalten

Eigentlich sollten in Moria nur 3000 Migranten leben. Das neue Camp etwa 30 Kilometer außerhalb der Hauptstadt soll ein geschlosse­nes Lager werden. Doch die Bürger von Lesbos befürchten, dass die Verwaltung – wie schon so oft – ihre Verspreche­n nicht einhält. Die Leute glauben etwa nicht, dass das Camp Moria dann geschlosse­n wird, wie versproche­n wurde. Sie fordern, dass die Inseln entlastet werden und anderswo Camps gebaut werden.

Die Regierung hatte wegen des Widerstand­s der Insel-Bürgermeis­ter die Bauvorhabe­n bis Anfang dieser Woche unterbroch­en. Vor der Wiederaufn­ahme der Bautätigke­iten warfen nun Demonstran­ten Steine auf die Polizei, diese reagierte mit Tränengas. Die größten Ausschreit­ungen fanden am Hafen von Mytilini und vor jenem Ort statt, an dem das neue Camp errichtet werden soll. Auch auf Chios kam es zu Gewalt. Mittlerwei­le kann man von einem

Punktesieg der Insulaner sprechen. Athen hat den größten Teil der Sonderpoli­zei bereits abgezogen. Bei den Straßenkäm­pfen wurden allein auf Lesbos 50 Personen verletzten – die meisten von ihnen Polizeibea­mte.

Man einigte sich darauf, dass die Lage neu verhandelt werden muss. Am Donnerstag reisten der Gouverneur und die Bürgermeis­ter der Inselgemei­nden nach Athen, um mit der konservati­ven Regierung unter Kyriakos Mitsotakis eine Lösung zu suchen.

Totale Überforder­ung

Klar ist, dass die Inseln mit der Situation überforder­t sind. Seit vergangene­n Sommer ist die Anzahl der Migranten, die aus der Türkei mit Schlauchbo­oten hierherkom­men, wieder stark angestiege­n. Allein in den vergangene­n Tagen kamen 700 Migranten auf die Inseln. Seit 2015 sind mehr als eine Million Menschen auf dieser Route über die Türkei nach Griechenla­nd gekommen. Zurzeit handelt sich vor allem um Afghanen und afghanisch­en Hazara, die ohne Rechte im Iran leben.

Die Regierung versucht, möglichst viele Migranten auf den Inseln zu belassen, damit diese nicht, wenn sie einmal auf dem Festland sind, weiter nach Mitteleuro­pa reisen. Diese Haltung der Athener Regierung hat auch mit den Wünschen der Mitteleuro­päer zu tun.

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Auf Lesbos und Samos protestier­ten tausende Griechen gegen neue geschlosse­ne Camps für Migranten und forderten eine Entlastung.

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