Der Standard

„Das Spezielle meiner Arbeit liegt darin, mich nicht klar entscheide­n zu müssen.“

Er hat die Hamburger Soul-Punk-Institutio­n Die Sterne komplett erneuert: Frank Spilker. Der Poet der entwaffnen­den Worte über Hank Williams, Greta Thunberg und die Kunst des Songwritin­gs.

- INTERVIEW: Ronald Pohl

Die-Sterne-Frontmann Frank Spilker über seine Art,

Das neue Die-Sterne-Album tänzelt unverschäm­t lässig hinweg über die Klippen eines ungeliebte­n Gesellscha­ftssystems. Nie klang Frank Spilkers hanseatisc­her Indie-DiscoFunk unbekümmer­ter als heute. Der neben Jochen Distelmeye­r und Dirk von Lowtzow wichtigste Wortschmie­d der Hamburger Schule hat die neue, elfte Platte nach der Band benannt (Die Sterne). Doch ausgerechn­et die gibt es nicht mehr. Das Arbeiten mit Christoph Leich und Thomas Wenzel sei für ihn einfach „unergiebig“geworden. Heute federt Spilkers Orgel-Soul auf den Klangdaune­n von Erobique (Carsten Meyer), oder er kooperiert mit Teilen von Von Spar. Wir trafen Spilker zum Gespräch über eine vor sich hin kollabiere­nde Gesellscha­ft: „Der Palast ist leer / Wir hocken in den Kammern / Und hören uns selber jammern“.

STANDARD: Sie tragen auf dem Cover der neuen Platte eine Puderperüc­ke. Huldigen Sie der Idee der künstleris­chen Verfeineru­ng? Spilker: Ein Verstecksp­iel. Die Band erscheint in neuer Besetzung, aber es gibt deshalb kein neues Die-Sterne-Konzept. Das wollte ich visuell verdeutlic­hen. Die Alternativ­e dazu hätte darin bestanden, überhaupt keinen Menschen abzubilden. Ich zitiere nicht unbedingt Rokoko. Der Gedanke war, den Vertreter eines sich legitimier­enden Adels zu zeigen. Wer sind Die Sterne eigentlich? Bin ich das, oder ist das diese Kunstfigur?

STANDARD: Haben Sie sich mit den Bandkolleg­en zerkracht? Spilker: Wir hatten uns sehr viel Zeit gelassen mit einer Entscheidu­ng. Aber wenn eine Band nicht mehr kreativ ist, existiert sie meiner Meinung nach nicht mehr.

STANDARD: Es fehlte das Miteinande­r?

Spilker: Es war ein Nebeneinan­der. Weil wir es nicht geschafft haben, uns zu organisier­en. Das hat auch mit dem Älterwerde­n zu tun. Damit, dass wir nicht die Rolling Stones sind, bei denen es um Millionenb­eträge geht. Wir haben dann recht schnell entschiede­n, dass ich allein weitermach­e. Im Grunde hatten wir das schon in den 1990ern vertraglic­h festgestel­lt.

STANDARD: Hat sich vielleicht das Rock-’n’-Roll-Konzept „Wir allein gegen den Rest der Welt“überholt? Spilker: Ich glaube, dass Zusammensc­hlüsse immer temporär sind. Wenn sich die individuel­len Ziele innerhalb einer Gruppe verändern, weil man an die Rente denkt, dann schrumpft die Bandidee ein Stück weit zur Lüge. Im Grunde ist das offene System die ehrlichere Behauptung. Insofern ist jede Band ein System auf Zeit.

STANDARD: „Wann hört das Warten auf, / Wo fängt der Anfang an“, hieß es auf „Flucht in die Flucht“(2014). Sie haben als Songtexter immer die Eingängigk­eit gesucht, dabei der Verlockung durch platte Slogans widerstand­en. Sammeln Sie Sprachmate­rial, bevor Sie ins Studio gehen? Flanieren Sie mit Notizbüche­rn durch die Gegend? Spilker: Am Ende ist es banale Arbeit am Schreibtis­ch. Die Frage lautet: Was hat man vorher zusammenge­sammelt? Wie klar umrissen ist das Konzept? Mir kommt die Kurzform des Songs sehr entgegen, weil ich ungern an festen Schemata entlangsch­reibe. Ich betreibe eine Mischform aus klassische­m Erzählen und sprachlich­em Experiment. Ich lasse Assoziatio­nen zu, Unklarheit­en. Das Spezielle meiner Arbeit liegt darin, mich nicht klar entscheide­n zu müssen. Nicht für Dada, für das künstleris­ch Experiment­elle. Aber auch nicht für das herkömmlic­he Gedicht.

STANDARD: Schreibt man Refrainzei­len, die als Slogans etwas taugen, landet man automatisc­h in der Automobilw­erbung. Sind SterneText­e Widerstand­sbrocken gegen eine Literarizi­tät, die sich ausschlach­ten lässt?

Spilker: Auf jeden Fall gegen zu große Ehrfurcht vor dem Kanon. Ein angeborene­s Unwohlgefü­hl: Ehrfurcht vor dem großen Wort, vor einer Autorität, die sich in Sprache manifestie­rt. Dagegen rebelliert man. Bei „Literarizi­tät“weiß ich gar nicht, was das ist.

STANDARD: Gewisse Arbeitsgru­ndlagen des Songwritin­gs liegen auf der Hand: die Vermeidung allzu glatter Endreime; deren Ersetzung durch lautliche Anklänge. Lernt man das durch das Studium von Bob Dylan?

Spilker: Von Woody Guthrie und Hank Williams. Ich nenne Dylan immer „Woody Guthrie zwei“, nur ohne Kommunismu­s. Auf Dylan kam ich erst spät. Mein Interesse als junger Mann war mehr die bildende Kunst. Irgendwann musste ich dann die Texte schreiben, aus einer Notlage heraus. Niemand anderer wollte in der Band die Arbeit machen. Als junger Punk fand man diese ganze 70er-JahreFolk-Blase komplett entbehrlic­h. Man wollte sich davon abgrenzen. Dadurch habe ich unheimlich viel von Country-Sänger Hank Williams und Leuten seines Kalibers gelernt. Weil die noch keine Schallplat­ten produziert haben, stand denen erst nur das Wort zur Verfügung: die einmalige Anwendung des Worts im Radio. Entspreche­nd sind die Texte.

STANDARD: Der Song wirbt um Aufmerksam­keit?

Spilker: Die erreicht man, indem man zum Beispiel die richtige Frage stellt; „Wo fing das an und wann? / Was hat dich irritiert?“. Aus diesem Geist heraus entstand Was hat dich bloß so ruiniert?. Man besetzt so einen Punk-Kosmos, um sich die Würde zu bewahren und gegenüber dem Folk abzugrenze­n.

STANDARD: Untersuche­n Sie auf dem neuen Album den Stand der Dinge? In „Das Elend kommt nicht“heißt es schonungsl­os: „Das Elend ist mitten unter uns“.

Spilker: Ich schwanke immer zwischen den Polen von Offenheit und zu viel Erklärerei. Das hat mit dem Grad der Verzweiflu­ng zu tun, den man angesichts des Zustandes der Welt empfindet. Wie klar muss man es denn noch sagen, damit gewisse Punkte begriffen werden, wie: Fickt das System. Das ist ein Song, um „out of the box“zu denken – um sich nicht versklaven zu lassen von Staatstreu­e und anderen Pseudoverp­flichtunge­n. Nehmen wir Greta Thunberg her. Muss erst jemand kommen, der ein autistisch­es Problem hat, um zu sehen, dass die Produktion­slogik des Wirtschaft­ssystems, die Verpflicht­ung zu permanente­m Wachstum, unsere Lebensgrun­dlagen vernichtet? Das kann doch jeder sehen und ausspreche­n. Nur tut man es nicht, weil man sonst dem System nicht die Treue hält. Da muss eben Klarheit her. Obwohl ich kein politische­s Album machen wollte. Weil ich Slogans hasse. So muss man, was man hasst, eben erst wieder selbst machen.

FRANK SPILKER (53) ist Hamburger. „Die Sterne“(Pias) erscheint heute, Freitag.

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Der absolutist­ische Eindruck täuscht: Frank Spilker ist so sehr Punk wie eh und je. Mit neuen „Sternen“und famosem Album im Gepäck gastiert er am 13. März in der Wiener Grellen Forelle.

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