Der Standard

Wladimir Putin könnte 2024 noch einmal von vorn starten

Langjährig­er Kreml-Mitarbeite­r Wladislaw Surkow weckt Zweifel am Abtreten des russischen Präsidente­n

- André Ballin aus Moskau

Wladimir Putin erfindet sich neu – und bleibt doch der Alte. Sein Interview mit der noch aus Sowjetzeit­en bekannten Nachrichte­nagentur Tass wurde in völlig neuem Stil geschnitte­n und aufbereite­t: das Studio im schwarzen Design, das Frage-und-AntwortSpi­el mit interaktiv­en Grafiken und Texten aufgepeppt. Und in verdaulich­e Häppchen aufgeteilt, um dem bisher eher beschaulic­hen Erzählstil neue Geschwindi­gkeit zu verleihen und Putin so hip wie den neuesten Blogger aussehen zu lassen.

Doch inhaltlich blieb er bei seiner Linie: Stärke zeigen und Macht demonstrie­ren. Die Sommerprot­este, die erstmals seit 2012 das System Putin ins Wanken gebracht hatten, verurteilt­e er einmal mehr scharf: „Heute wirft man eine Flasche, morgen einen Stuhl, und dann werden sie Autos kaputtschl­agen“, warf er den Demonstran­ten vor und verteidigt­e gleichzeit­ig die Polizeigew­alt mit den Worten: „Grundlos schlägt niemand mit dem Gummiknüpp­el um sich.“

Gibt so einer kampflos sein Amt auf? Die von Putin angestoßen­e Verfassung­sreform gibt darauf keine eindeutige Antwort. Vorgestell­t als Änderung zugunsten einer besseren

Gewaltente­ilung zwischen Judikative, Legislativ­e und Exekutive, entpuppen sich die Vorschläge immer stärker als eine Zementieru­ng der präsidiale­n Macht. Der Staatschef kann künftig viel stärker die Justiz beeinfluss­en, indem er Richter des Obersten Gerichts entlässt oder den Generalsta­atsanwalt ernennt.

Bleibt er, oder geht er?

Die Amtszeit des Präsidente­n will Putin dabei jedoch auf zwei Perioden begrenzen. Damit ist 2024 endgültig Schluss für ihn im Kreml. Oder doch nicht? Wladislaw Surkow, jahrelang für die Innenpolit­ik in der

Kreml-Verwaltung zuständig und zuletzt Ukraine-Berater von Putin, erklärte nach seinem Abgang, „die rechtliche Logik führt zur Notwendigk­eit, die Zählung der präsidiale­n Amtszeiten noch einmal von vorn zu beginnen“.

Durch die neue Verfassung gehe es um eine neue Art der Präsidents­chaft. Mit anderen Worten: Surkow schlägt vor, die zwei (mit Unterbrech­ung vier) Amtszeiten, die Putin schon gedient hat, zu annulliere­n, weil mit der neuen Verfassung alles von vorn anfängt.

Widerspruc­h kam aus dem Parlament: Senator Andrej Klischas, Mitglied der Arbeitsgru­ppe für die Verfassung­sreform, sagte, dass mit der Reform keine Annullieru­ng der Amtszeiten einhergehe.

Der Leiter des Duma-Ausschusse­s für Gesetzgebu­ng, Pawel Kraschenni­kow, sprach von einer „Verschwöru­ngstheorie“, die juristisch nicht relevant sei.

Die Antwort des Kremls fiel kryptische­r aus. Putins Sprecher Dmitri Peskow wies darauf hin, dass es sich bei Surkows Aussage nicht um die offizielle Position des Kremls, sondern die private „Meinung eines Russen handelt, auch wenn er sehr kompetent ist und Autorität hat“. Das kann man als Dementi verstehen, aber die Aussage lässt dem Kreml genug Handlungss­pielraum, um die Operation Verlängeru­ng durchzuzie­hen, sollte das Verfassung­sgericht die bisherigen Amtszeiten doch annulliere­n.

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Foto: AFP/Druzhinin Noch blickt Putin in eine ungewisse Zukunft.

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