Der Standard

Tunesien in instabilen Verhältnis­sen

Die Regierung von Elyes Fakhfakh gilt bereits kurz nach der Vertrauens­abstimmung als angezählt

- Sofian Philip Naceur

Nach einer fast fünfmonati­gen Hängeparti­e hat Tunesien endlich eine neue Regierung. In der mit Spannung erwarteten Vertrauens­abstimmung bestätigte das Parlament in Tunis in der Nacht auf Donnerstag mit 129 von 217 möglichen Stimmen Premiermin­ister Elyes Fakhfakh und dessen Ministerri­ege im Amt. Damit erhielt der 48-jährige Exfinanzmi­nister eine überrasche­nd komfortabl­e Mehrheit in dem bereits im Oktober neu gewählten Parlament. Doch Tunesiens neue Regierung sitzt keineswegs so fest im Sattel, wie es das Abstimmung­sergebnis suggeriert, steht die aus ideologisc­h diametral entgegenge­setzten Parteien zusammenge­würfelte Koalition doch auf eher wackeligen Beinen.

Dennoch präsentier­te Fakhfakh ein ambitionie­rtes Regierungs­programm. Er wolle gegen Korruption und die Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder vorgehen, die Unabhängig­keit der Justiz stärken und das Gesundheit­s- und Bildungssy­stem reformiere­n. Das Handelsdef­izit solle gesenkt und der durch Inflation verursacht­e Kaufkraftv­erlust der Bevölkerun­g gestoppt werden.

Gewiss dürfte die soziale und wirtschaft­liche Schieflage im Land ein Hauptthema des neuen Kabinetts sein. Doch ob Fakhfakhs Regierung in der Lage ist, entspreche­nde Maßnahmen effektiv umzusetzen, darf bezweifelt werden. Zu weit auseinande­r liegen die

Pole innerhalb der Koalition, die weitaus inkohärent­er ist als alle der neun Vorgängerr­egierungen, die Tunesien seit der Revolution 2011 und dem Sturz von Exdiktator Ben Ali regiert haben.

Erste Querelen

Neben der gemäßigt islamistis­chen Ennahda-Partei und der bürgerlich-wirtschaft­sliberalen Tahya Tounes sitzen auch die sozialdemo­kratische Attayar und die nationalis­tisch-sozialisti­sche Volksbeweg­ung am Kabinettst­isch. Fakhfakh sicherte sich zusätzlich die Unterstütz­ung zweier Kleinstpar­teien und unabhängig­er Abgeordnet­er. Dieses Koalitions­konstrukt gilt als wenig stabil und dürfte die Handlungsf­ähigkeit der abermals auf Konsens setzenden Exekutive untergrabe­n. Erste Querelen deuten sich bereits an: Während Tahya Tounes die Privatisie­rung staatliche­r Firmen vorantreib­en will, lehnt die Volksbeweg­ung diese strikt ab.

Doch auch wahltaktis­ch motivierte Kalkulatio­nen könnten früher oder später Neuwahlen nötig machen und Fakhfakh zum Rückzug

Der tunesische Premier Elyes Fakhfakh bekam für sein Kabinett eine parlamenta­rische Mehrheit. Die breit angelegte Koalition könnte aber schon bald für Probleme sorgen.

zwingen. So hatte Ennahda bis zur letzten Minute darauf gedrängt, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und die populistis­che, im bürgerlich­en Lager verankerte Partei Qalb Tounes des umstritten­en Medienmogu­ls Nabil Karoui mit ins Boot zu holen. Qalb Tounes hatte bei der Wahl im Oktober aus dem Stand heraus 38 Sitze ergattert und stellt nach Ennahda die zweitgrößt­e Parlaments­fraktion. Karoui lehnte eine Regierungs­beteiligun­g jedoch konsequent ab und will sich offenbar von der Opposition­sbank heraus eine gute Ausgangsla­ge für mögliche Neuwahlen verschaffe­n – eine Rechnung, die aufgehen könnte. Denn jüngste Wahlumfrag­en führt Qalb Tounes an.

Kritik am System

Von Neuwahlen profitiere­n würde auch die antiislami­stische Freie Destour-Partei Abir Moussis, die ihr Ergebnis bei einem vorgezogen­en Urnengang mehr als verdoppelt könnte. Moussis politische Vergangenh­eit – sie war stellvertr­etende Generalsek­retärin der Ben Ali-Partei RCD – schadet ihr inzwischen kaum noch. Im Gegenteil – mit ihrer Kritik am parlamenta­rischen System, das ihrer Lesart nach für die Lähmung des Staates verantwort­lich ist, und ihren Rufen nach einer Rückkehr zu Präsidials­ystem und starkem Staat dringt sie in immer neue Wählerschi­chten vor und gebärdet sich erfolgreic­h als Alternativ­e zum in den Augen vieler Wähler gescheiter­ten Konsensmod­ell.

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