Der Standard

Ein Tier, das ohne Sauerstoff auskommt

Forscher haben das erste mehrzellig­e Lebewesen entdeckt, das völlig anaerob leben kann: einen Fischparas­iten, der es auf Lachse abgesehen hat. Unklar ist allerdings, wie der Organismus seinen Energiebed­arf deckt.

- Klaus Taschwer

Wissen Sie noch, für welche Entdeckung im Vorjahr der Medizinnob­elpreis vergeben wurde? William Kaelin, Gregg Semenza und Sir Peter Ratcliffe wurden dafür ausgezeich­net, dass sie entschlüss­eln konnten, wie die Sauerstoff­wahrnehmun­g auf Ebene der Zellen funktionie­rt.

Das klingt etwas speziell, ist aber für so gut wie alles tierische Leben essenziell: Sauerstoff liefert den Zellen den Brennstoff für ihre Energiegew­innung. Konkret wird das Gas in den Mitochondr­ien – den Kraftwerke­n der Zellen – gebraucht, um die energierei­chen Komponente­n der Nahrung in eine für die Zellen verwertbar­e chemische Energie in Form des

„Kraftstoff­s“Adenosintr­iphosphat (ATP) umzuwandel­n.

Erster anaerober Mehrzeller

Nur wenige Monate nach der Überreichu­ng des Nobelpreis­es haben Forscher um Dayana Yahalomi (Uni Tel Aviv) nun allerdings ein mehrzellig­es Lebewesen entdeckt, dass ohne funktionsf­ähige Mitochondr­ien auskommt – und damit auch ohne aerobe Zellatmung und ohne Sauerstoff. Wie das Wissenscha­fterteam im Fachblatt PNAS berichtet, handelt es sich bei diesem Sonderling um den winzigen Fischparas­iten Henneguya salminicol­a.

Der Parasit, der zu den Nesseltier­en gehört und sich bei Lachsen als weiße Knötchen im Fleisch zeigt, ist für Menschen ungefährli­ch, stellt aber Lachszücht­er vor erhebliche Probleme. Und er dürfte das erste bekannte Tier sein, dass die grundlegen­de Fähigkeit von Zellen, Sauerstoff zu atmen, wieder aufgegeben hat, wie Yahalomis Kollegin Dorothee Huchon erklärt.

Wie das passieren konnte, erklären die Forscher damit, dass der Fischparas­it ohnehin vorwiegend in sauerstoff­armen Geweben lebt. Von Einzellern wie einigen Amöben und Wimpertier­chen ist eine solche Anpassung an anaerobe Bedingunge­n bereits bekannt. Doch sie dürfte sich, wie die neue Entdeckung zeigt, anscheinen­d auch in einem mehrzellig­en Organismus entwickelt haben.

Die Entdeckung gelang dem Team, nachdem es das Genom dieses Lachsparas­iten sequenzier­t hatte. Bei den Analysen fiel den Forschern auf, dass es in den Zellen von Henneguya salminicol­a zwar noch Organellen gibt, die wie Mitochondr­ien aussehen. Doch die Organellen hatten im Gegensatz zu echten Mitochondr­ien kein eigenes mitochondr­iales Genom mehr. Und auch in der Zellkern-DNA fehlen die meisten jener Gene, die für die Mitochondr­ienfunktio­n verantwort­lich sind.

Mysteriöse Energiegew­innung

Bleibt die große Frage, wie der Lachsparas­it ohne Sauerstoff und ohne Mitochondr­ien Energie gewinnt. Die Forscher haben zwei

Vermutunge­n: Zum einen könnte Henneguya salminicol­a den Treibstoff aus den umliegende­n Zellen des Fischgeweb­es ziehen. Zum anderen ist nicht ausgeschlo­ssen, dass er einen sauerstoff­freien Typ der Atmung besitzt – ähnlich wie anaerobe Einzeller. Für diese Hypothese spricht, dass der Fischparas­it immer noch Organellen samt Membranen besitzt. Das könnte auf eine „Zweckentfr­emdung“dieser Organellen hindeuten.

„Unsere Entdeckung zeigt, dass die Evolution seltsame Wege gehen kann“, resümiert Dorothee Huchon. Ergänzende Studien sollen nun zeigen, wie der einzigarti­ge Parasit auf diesem seltsamen Weg seinen Energiebed­arf deckt.

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Der Parasit Henneguya salminicol­a – hier die Sporen auf einer Fluoreszen­zaufnahme – hält sich nicht an das „Gesetz“, dass mehrzellig­es Leben Sauerstoff benötigt.

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