Der Standard

Seuchenbek­ämpfung ohne Show

Das Coronaviru­s sollte nicht als Auslöser von Angstgelüs­ten herhalten

- Ronald Pohl

Das Coronaviru­s hält Europa mit seiner erst zögerliche­n, jetzt deutlich beschleuni­gten Ausbreitun­g in Atem. Tag für Tag werden in den Karten der Gesundheit­sbehörden mit großer Gewissenha­ftigkeit die dunkelrote­n Einträge erneuert. Und siehe da, die roten Punkte schwellen zu ehrfurchtg­ebietenden Kreisfläch­en an.

Was im konkreten Einzelfall mit Niesen und erhöhter Temperatur beginnt, lässt im globalen Maßstab die Befürchtun­g sieden, wir seien mit der Bekämpfung einer Epidemie im Handumdreh­en überforder­t. Keimt doch gemeinsam mit dem Virus der Verdacht, die neuartige Krankheit könne den Regierende­n und deren Verwaltung­sapparaten schlagarti­g über den Kopf wachsen.

Mit der Ausforschu­ng und Isolation von Corona-Infizierte­n ist das behördlich­e Walten tatsächlic­h nur unzureiche­nd beschriebe­n. Regierungs­handeln bemisst sich in liberalen Demokratie­n an Kriterien, die es auch deshalb verdienen, moralisch genannt zu werden, weil sie zweckmäßig sind.

Ein solches dienliches Gut stellt die Auskunftsp­flicht der handelnden Behörden gegenüber der Öffentlich­keit dar. Es ist zum Beispiel gut vorstellba­r, dass die Einhegung von Infektions­gefahren es als notwendig erscheinen lassen wird, die Bewegungsf­reiheit einzuschrä­nken. Dann wird die staatliche Lenkung gut daran tun, den Konsens mit den Regierten herzustell­en. Wer rasch hilft, wird weitgehend auf die Zustimmung derer hoffen dürfen, die spüren, hier sei nach den Maßgaben von Immunologi­e und/oder Prävention I nichts als Vernunft am Werk. n den Wochen einer solchen epidemisch­en Gefahrenve­rbreitung bleibt jedoch auch das Dilemma von komplexen, auf die Abwehr von Krisen getrimmten Gesellscha­ften mit Händen greifbar. Staatliche und supranatio­nale Apparate wie die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO sammeln, meist synchron, Unmengen von Herrschaft­swissen. Dessen Gebrauch steht kaum im Ermessen von uns einzelnen Staatsbürg­ern. Schon weil der einfache Kranführer für sein segensreic­hes Wirken einen Befähigung­snachweis braucht, den der normale Staatsbürg­er in der Regel nicht vorweisen kann.

So alt wie die Industrieg­esellschaf­t ist daher die Kritik an ihrer Undurchsch­aubarkeit. Wie eine Giftwolke legt sich der Schleier des Verdachts über unsere Bürokratie­n und Herrschaft­sagenturen, die großenteil­s ineinander­greifen wie feingezack­te Rädchen. Hinter einer Wand aus Regierungs­verlautbar­ungen hören feinnervig­e Menschen oft genug nur das Gras wachsen.

Wir Kinder der Spätmodern­e wurden unserer Leben ein Stück weit enteignet. Längst zerfällt die Gesellscha­ft in so viele Experten, wie sie Mitglieder zählt. Nur dass sich die Segmente des gehorteten Wissens immer seltener überschnei­den. Wer’s nicht glaubt, weil er zum Beispiel das Coronaviru­s nicht visuell ausmachen kann, wird darum auch nicht selig.

Im Brutklima des spätmodern­en Technokrat­ismus gedeihen umso leichter alle möglichen, auch noch so abstrusen Verschwöru­ngstheorie­n. Das Netz mit seiner impliziten Aufforderu­ng zur Enthemmung lässt solche Ausbeutung­s- und Unterworfe­nenfantasi­en umso leichter ins Kraut schießen. Umso wichtiger erscheint darum vonseiten der Regierende­n und zuständige­n Minister ein Krisenmana­gement, das ganz im Zeichen von nüchterner Rationalit­ät, von Augenmaß und minutiöser Planung steht. Damit die Erregungsf­ieberkurve wieder auf ein erträglich­es Maß fällt.

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