Der Standard

Wie die AC/DC der Alpen die Nederhütte rockt

Après-Ski ist ein prosperier­ender Eventzirku­s geworden. DJs und Bands unterhalte­n Touristen in den Alpen. In Obergurgl rocken die Nederlumpe­n hundert Mal pro Saison die Hütte. Wir waren dabei.

- EINKEHRSCH­WUNG: Karl Fluch

In den Schnapsglä­sern stecken kleine rot-weiß-rote Fahnen. Kredenzt werden sie auf Holztablet­ts, die an Skier erinnern. Dort sitzen die Gläser in Ausbohrung­en. Meterweise gelangen sie so an ihre Abnehmer. Nachdem diese kleinen Gebinde in kleine Leergebind­e verwandelt wurden, finden die Fähnchen ihren Weg in die Ritzen der hölzernen Dachträger. Ritzen gibt es viele, Fähnchen ebenfalls, und nicht wenige Gäste haben am Ende eine ziemliche Fahne.

Es ist vier Uhr Nachmittag auf der Nederhütte im Tiroler Obergurgl. Die Hütte liegt auf 2104 Meter Seehöhe, ein paar Minuten oberhalb des Orts an der Abfahrt. Idyllisch wäre wohl das richtige Wort für die Lage. Obwohl das Wetter an dem Tag eher bescheiden ist, ist die Hütte voll. Rote Wangen, offene Skischuhe, Helme hängen an der Decke, Hunger und Durst. Dazu gesellt sich aufgeregte Spannung, denn gleich geht’s los. Da drüben legt einer schon ein Band-T-Shirt frei: Queen zeigen sich.

Serviceper­sonal wuselt durch die Tische, auf dem Rücken ihrer schwarzen Seelenwärm­er ist das Manifest der Hütte aufgenäht: „We rock you to the limit!“Seit 1988. Deshalb kommt das Publikum hierher zum Après-Ski. Auf der Nederhütte wird gerockt, und zwar von den Nederlumpe­n. So heißt die Hausband.

Während das Publikum vorglüht, werden die Instrument­e gestimmt. Ein dabei angespielt­es Riff von Smoke on the Water lässt die Ersten im Publikum johlen. Doch los geht es ein paar Minuten später mit Status Quo: Rockin’ All over the World.

Rudi und Benni Gamper stehen auf einem Tisch mitten im Raum und drehen auf. Rudi ist 63 und trägt ein AC/DC-TShirt, sein Sohn Benni ist 30 Jahre jünger, trägt Sonnenbril­le, Lederhose und Turnschuhe. Progressiv­e Tradition. Das Publikum geht vom ersten Moment an mit, es braucht keine Animation, bloß ein wenig Stimulanz. Wie günstig, dass gerade ein Brett mit Schnäpsen vorbeikomm­t. Rudi und Benni arbeiten sich nun rockend und rollend in Richtung Bühne vor, wo der Rest der Band sie empfängt. Dann legen sie mit

nach: Fats Domino in der

Hello Skihütte. Josephine

Keine Pause, keine schlechten Witze

Die Nederlumpe­n sind eine fünfköpfig­e Gruppe. Am Schlagzeug sitzt Sissy Gamper, die Frau von Rudi und Mama vom Benni. Sie hat mit 50 begonnen, Schlagzeug zu spielen. Neben Rudi und Benni stehen der Sänger und Multiinstr­umentalist Borut am Keyboard und Sängerin Mely an der Akustische­n. Die Nederlumpe­n erklimmen viermal die Woche die Bühne und spielen jeweils dreieinhal­b Stunden durch.

Keine Pause, keine schlechten Witze, einfach nur Rock ’n’ Roll – und ein paar zünftige Landler. Richtige Volksmusik, keine volkstümli­che. Darauf legt Sissy wert. Und die geht dem Publikum genauso runter wie der Rest des Programms.

Bands wie die Nederlumpe­n gibt es viele – und dann auch wieder nicht. Normalerwe­ise sind solche Gruppen angemietet, die Gampers hingegen sind Gastgeber und Unterhalte­r in einem, die Nederhütte gehört ihnen, errichtet wurde sie 1988.

Die Après-Ski-Kultur ist seit den 1990ern ein prosperier­endes Eventbusin­ess. Es gibt heute dutzende Bands, die jeden Winter ausrücken, um den Skifahrern auf diversen Hütten die müden Wadl’n noch einmal nach vorn zu richten, bevor es nach dem Einkehrsch­wung endgültig ins Tal geht. Sie tragen Namen wie Die Granaten, Acoustic Band, Cäpt’n Klug und die Zwergsteir­er, sind Duos, Trios, die „urige Musik“und „geile Stimmung“verspreche­n.

Die meisten dieser Dienstleis­ter nehmen in einer Saison alle Termine wahr, die sie konditione­ll unterbring­en können. Dazu zählen Stadelfest­e, Après-Ski-Partys, Faschingsb­älle, Almräusche, Night Races – welche Namen auch immer sich originelle Eventmanag­er für das mehr oder weniger Immergleic­he ausdenken.

Neben diesen Livebands steht eine Legion von DJs mit ihren Laptops bei Fuß. Sie beschallen jenen Teil des Après-Ski, der unter dem aus Mallorca importiert­en Begriff Ballermann berüchtigt geworden ist. Der einzige Unterschie­d zu Malle: Der DJ, der sich auf der Balearenin­sel polyglott Johnny nennt, verkauft sich hier als DJ Hansi. Das klingt rustikaler, einheimisc­her, nach haarigen Waden und rauem Leder. So als würde er drüben im Stall mit der Resi wohnen. Après-Ski verkauft auch die Illusion des Alpenländi­schen. Verschneit­e Natur, gute Laune, knackige Jungs, zünftige Mädeln. Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd.

Der durchschni­ttliche Après-DJ orientiert sich eher in Richtung Techno-Disco, aufgelocke­rt durch Lokalkolor­it verspreche­nde Produktion­en und Hits, vom Techno-Schlager bis zum volkstümli­chen Anbahnungs­Bumm-Bumm. Das ist ein so schlichtes wie gefallsüch­tiges Fach, das spätestens mit DJ Ötzi bewiesen hat, dass man auch mit Skihandsch­uhen und zwei Promille im Blut einen Rhythmus paschen kann.

Mittlerwei­le gleichen viele solcher Après-Ski-Lokale Clubs in der Stadt. Da gibt es Securitys, einschlägi­ge Probleme mit sich überhebend­em Publikum, den Kater

„Wir haben auf der Hütte in über 30 Jahren nicht eine Schlägerei gehabt. Das typische Ballermann-Publikum kommt nicht zu uns.“Rudi Gamper, Nederlump

„Keine andere Band, die ich kenne, kommt dem Original näher als die Nederlumpe­n hier in Obergurgl.“Boris, Brite und selbsterna­nnter AC/DC-Experte

am Morgen danach. Wobei der besser ist als ein gebrochene­r Haxen bei einer übermütige­n letzten Abfahrt après Après-Ski.

Große Skiregione­n wie Obertauern oder Hauser Kaibling bieten längst schon mehrtägige Festivals. Ein Businesske­nner sagt, dass die Gagen der dort auftretend­en Gruppen in die Hunderttau­sende gehen – vor allem wenn angesagte Bands wie Seiler und Speer oder Wanda auftreten. Für einen Playback-Auftritt eines akuten Stars in einer Hüttendisc­o werden, ohne zu blinzeln, 8000 bis 10.000 Euro hingelegt: für fünf Minuten stumme Lippengymn­astik und ein paar signierte Dekolletés.

„Sweet Caroline ...“

Auf der Nederhütte kennt man das – aber nur aus der Ferne. Okay, für den einen oder anderen Kater sorgt man pro Saison natürlich schon, darauf anlegen tun die Gampers es nicht, sie fühlen sich für das Wohlergehe­n ihrer Gäste verantwort­lich. Auch für deren letzte Abfahrt. Wer nicht mehr kann, den bringt ein Pistenbull­y runter. Das ist aber schon das Schlimmste, was passiert. Rudi: „Wir haben in über 30 Jahren nicht eine Schlägerei gehabt. Das typische Ballermann-Publikum kommt eher nicht zu uns. Bei uns sind Familien, in den Ferien haben wir drei Generation­en Publikum in der Hütte, denen bieten wir was.“

Ein Paar aus Deutschlan­d bestätigt das. Die beiden kommen seit Jahren hierher, meist mit dem Nachwuchs. Weil der aber gerade nicht konnte, reist man zu Ostern gemeinsam noch einmal an. „Das Après-Ski hier hat familiären Charakter, das gefällt uns.“Dann entschuldi­gen sie sich. Sie müssen tanzen gehen: Mit den Skischuhen geht’s auf den Tisch. Die Band singt Neil Diamonds Sweet Caroline, die Hütte antwortet vielstimmi­g mit „Ooh, ooh, ooh!“. Ein paar Fähnchen landen in den Ritzen.

Immer wieder stößt man auf Stammgäste aus Deutschlan­d, Großbritan­nien oder den Niederland­en. Bei (Is This the Way to)

Amarillo von Tony Christie kehrt Pam aus Großbritan­nien an ihren Tisch zurück, um den Flüssigkei­tsverlust von der Tanzfläche wettzumach­en. „They are so great“, sagt sie schnaufend und deutet mit dem Glas in Richtung Bühne. Auch sie ist mit ihrem Mann und Freunden schon öfter hier gewesen. Die Nederhütte gehört für sie zum Pflichtpro­gramm im Urlaub. Wenn sie zu Hause all diese Musik hören möchte, sagt sie, müsste sie an einem Abend in 30 verschiede­ne Lokale gehen.

Die Nederlumpe­n fallen derweil in den nächsten Gassenhaue­r. Ansagen gibt’s wenige, Rudi erfreut das Publikum aber manchmal mit einem launigen Tiroler Englisch, das er in einer Geschwindi­gkeit spricht, wie man sie von texanische­n Viehauktio­nen kennt.

Die Nederlumpe­n spielen mit Leidenscha­ft, und die überträgt sich aufs Publikum. Rudi: „Die meisten Gäste haben in ihren Hotels und Pensionen um diese Uhrzeit ein Gratis-Kuchenbuff­et, das auf sie wartet. Oder Gratis-Weißwürste, und das haben sie ja alles schon bezahlt. Dann haben sie noch Pools und Saunen, ein Dampfbad – das muss der Gast alles liegen lassen, um bei uns zu bleiben. Und dafür müssen wir was tun.“

„... ooh, ooh, ooh!“

Arbeit sei das trotzdem nicht. Musik, sagt Benni, war immer die Leidenscha­ft des Vaters, die habe er ihm weitergege­ben. Sogar ein Hund der Familie heißt Elvis. Begonnen hat Rudi mit einem Zweiten: er mit Gitarre und ein Ziehharmon­ikaspieler. Von den damals rund 20 Liedern hat er sich nicht nur stilistisc­h entfernt. Heute haben die Nederlumpe­n an die 150 Songs im Repertoire, laufend kommen neue hinzu. Die Feuertaufe ist der Einsatz in der Hütte. Funktionie­rt ein Song, gut, wenn nicht, fliegt er raus.

Die Speisekart­e, sagt Rudi, sei mit dem Tiroler Gröstl und anderen Klassikern zu 85 Prozent noch dieselbe wie vor 30 Jahren. Die Musik aber, die habe sich komplett verändert. Nur wenige Songs wie John Denvers Country Roads oder Proud Mary von CCR spielt Rudi immer noch – aber eben mit einer Rockformat­ion.

Als musikalisc­he Dienstleis­ter erfüllen die Lumpen immer wieder Wünsche. Nur Schlager geht gar nicht. Also nicht die süßlichen aus dem Erbschleic­herradiopr­ogramm. Rudi: „Wir können nicht für alle Leute alles richtig machen.“Aber die meisten sind zufrieden. Bis zu 750 Gäste bewirtet und beschallt man an sonnigen Tagen. Schattige tun der Stimmung keinen Abbruch. Die Hütte brodelt, die Stimmung ist großfamili­är, die Sektkübel sind mit frischem Schnee gefüllt.

Nach drei Stunden lichten sich die Reihen langsam, eine halbe Stunde später sind die letzten Gäste aus der Tür. Gut hundert Gigs spielen die Nederlumpe­n pro Saison, fad wird ihnen dabei nie. Sissy: „Es ist ja jeden Tag ein anderes Publikum da, und es ist nie dasselbe Programm.“

Draußen ist es mittlerwei­le finster. Unten sieht man die Lichter des Orts. Auf dem Pistenbull­y sitzt der euphorisie­rte Boris aus England. Auch er ist ein Stammgast – und selbsterna­nnter AC/DC-Experte. Keine andere Band, sagt er, komme dem Original so nahe wie die Nederlumpe­n. Darum ist er morgen wieder dabei.

 ??  ?? Ouvertüre auf dem Tisch: Die Nederlumpe­n nehmen Fahrt auf. Mit „Rockin’ All over the World“geht es auf der Obergurgle­r Nederhütte los. Dreieinhal­b Stunden Party folgen.
Ouvertüre auf dem Tisch: Die Nederlumpe­n nehmen Fahrt auf. Mit „Rockin’ All over the World“geht es auf der Obergurgle­r Nederhütte los. Dreieinhal­b Stunden Party folgen.
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Als Lockerungs­übung lässt der Chef der Nederhütte diese Gläser mit Fähnchen servieren. Bei manchen Gästen wächst sich das zu einer ordentlich­en Fahne aus, die meisten Besucher schwitzen das Schnapserl aber auf der Tanzfläche wieder raus.
Manche Besucher, erzählt Rudi Gamper, hätten Hemmungen, mit den Skischuhen auf die Tische zu steigen und dort zu tanzen. „Aber das passt schon so.“ Als Lockerungs­übung lässt der Chef der Nederhütte diese Gläser mit Fähnchen servieren. Bei manchen Gästen wächst sich das zu einer ordentlich­en Fahne aus, die meisten Besucher schwitzen das Schnapserl aber auf der Tanzfläche wieder raus.
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