Sanders, der Hinterbänkler
Zwischen und Revolution Identitätskrise
Wie vor ihm Trump prägt Bernie Sanders, langjähriger Hinterbänkler im Kongress, die US-Vorwahlen und seine Partei.
Konsequent ist Bernard „Bernie“Sanders allemal. Seit nunmehr 50 Jahren wiederholt der geborene New Yorker mit dem starken Brooklyner Akzent und den stets etwas locker sitzenden Anzügen seine immergleiche Botschaft. Während des Großteils seiner Karriere trieb der langjährige Hinterbänkler seine Vision einer sozialen, ökonomischen und ökologischen Revolution voran, die er auch in seinen 25 Jahren Kongressarbeit kaum voranbrachte. Und plötzlich scheint die Zeit reif dafür zu sein. Nach einem ersten gescheiterten Versuch vor vier Jahren erlebt der langjährige Einzelgänger dieser Tage, was es heißt, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Sanders führt unter den Demokraten fast jede nationale Umfrage an, er ist das häufigste Ziel der Attacken aller seiner Rivalinnen und Rivalen. Seine Fans lieben ihn so sehr, dass er auf Veranstaltungen keinen Satz zu Ende sprechen kann, ohne von „Bernie“-Chören unterbrochen zu werden. Dissens gestatten sie dementsprechend keinen.
Wie schon 2016 ist es 2020 wieder ein Außenseiter, der das Feld der Kontrahentinnen und Kontrahenten vor sich hertreibt – dieses Mal aufseiten der Demokraten. Die Republikaner haben sich seit dem Wahlsieg Donald Trumps zu einer ihm bis zur Selbstverleugnung ergebenen Truppe entwickelt. Auch die Partei, die in Rivalität zum Präsidenten steht, hat sich nach drei Jahren Trump’scher Dysfunktionalität verändert. Es liegt aber auch in der eigenen Schwäche begründet, dass es den Demokraten nicht gelungen ist, eine Person aufzustellen, die Amerikanerinnen und Amerikaner über alle Schichten hinweg anzieht. Nun sehen sie erstaunt dabei zu, wie ein 78-jähriger, unabhängiger Alt-Linker die Massen begeistern kann wie kein anderer.
Chancen am Super Tuesday
Nach der Vorwahl in South Carolina am Samstag, wo sich der die längste Zeit als Favorit gehandelte Joe Biden die vielleicht letzte Chance auf eine Machtdemonstration erhofft, bringt der Super Tuesday eine erste wichtige Vorentscheidung in der Primary Season. Weil kommenden Dienstag in gleich 14 Bundesstaaten – darunter in den beiden bevölkerungsreichsten, Kalifornien und Texas – gewählt wird, dürfte sich anschließend ein klareres Bild davon ergeben, wer die Demokraten im November anführen wird. Den nach außen gespielten internen Daten des Wahlkampfteams von Michael Bloomberg zufolge hat einzig Sanders Chancen, in jedem Bundesstaat Stimmen zu holen. Doch auch wenn bis zum Parteitag Mitte Juli in Milwaukee ein Favorit feststeht: Sollte dieser die nötige Mehrheit verfehlen, dann folgt die nächste Wahl. Dann wären die Delegierten nicht an das Ergebnis in ihren Bundesstaaten gebunden – was einigen Hoffnung gibt, dass sich Sanders verhindern lässt. In diesem Fall könnte aber auch folgendes Szeeuropäischen nario eintreten: Ein vom Establishment blockierter Sanders hat das Potenzial, die Spaltung der Partei weiter voranzutreiben. Seine Fans könnten den Demokraten am Wahltag aus Rache die Gefolgschaft verweigern – was Trump stärken würde.
Der Partei hat der progressive Flügel schon seinen Stempel aufgedrückt: Keine Debatte kommt ohne seine Leibthemen aus: soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Krankenversicherung. Sanders Stärke speist sich auch aus Joe Bidens Schwäche: Die Wählbarkeit des ehemaligen Vizepräsidenten galt lange als Hauptargument für den zentristischen Kandidaten.
Es verpuffte mit dessen bisherigem schlechten Abschneiden. Biden gilt inzwischen als Unsicherheitsfaktor – selbst bei seiner treuesten Wählerschaft, den Afroamerikanern, die sich zusehends auch Sanders zuwenden. Latinos tendieren zu Sanders, Junge, aber auch Schlechtausgebildete und Niedrigverdiener stehen hinter ihm wie hinter keinem demokratischen Präsidentschaftsanwärter seit langem. Im direkten Nahkampf mit Trump führt Sanders einige Umfragen an. Allerdings gehören seine größten Fangemeinden auch zu jenen Gruppen, die tendenziell eher nicht wählen gehen. Um eine reelle Chance gegen Trump zu haben, müsste die Wahlbeteiligung aber überaus hoch ausfallen, vor allem bei den unter 35-Jährigen. In diesem Segment müsste sie laut Berechnungen der Nachrichtenseite Vox um elf Prozentpunkte zulegen. Doch auch Trump brachte Wählerschichten an die Urnen, deren Angehörige dort vorher schon lang nicht mehr gesehen worden waren.
Sanders dient nicht nur als Wählermagnet, sondern auch zur Abschreckung. All jene in der Republikanischen Partei, die sich im November einen Sitz im Kongress sichern wollen, bringen ihre Konkurrenz schon jetzt mit ihm in Verbindung: Ihr Kandidat, argumentieren sie, wolle die Wirtschaft weiter ankurbeln, jener der Gegenseite wolle sie zentralisieren. An dem Vorwurf ist nichts dran, Sanders Feinde profitieren aber von dem schwammigen Begriff, den er selbst benützt. Er deklariert sich als „demokratischer Sozialist“, nach Standards ähnelt er in vielem einem Sozialdemokraten: Er kämpft für freie Universitätszugänge, höhere Besteuerung von Reichen und Krankenversicherungen für alle und weiß in diesen Punkten auch die Bevölkerung hinter sich.
Seinen Worten nach will Sanders an die Sozial- und Wirtschaftsreformen des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt anknüpfen. Bei den meisten Interventionen legte er sich quer, aus humanitären Gründen macht er Ausnahmen, etwa beim Nato-Eingriff im Kosovo oder in Libyen. So manche Spitze hat Sanders aus dem Programm genommen: Er plädiert für kontrollierte, nicht offene Migration. Hingegen besteht er weiterhin darauf, dass „Medicare for All“nur aus staatlicher Hand erfolgen soll – was 160 Millionen um ihre private Krankenversicherung bringen würde. Letzteres führt Matt Bennett, Mitbegründer des moderaten Thinktanks Third Way, an, wenn er vor Sanders warnt: „Die Suburbs wollen keine Revolution.“Seine Sorge gilt weißen Frauen mit College-Abschluss: Sie brachten den Demokraten 2018 die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Dass dieses Sanders nicht wohlgesinnt ist, stört seine Fans nicht. So aber setzt er seine Vision selbst als Präsident nicht um.