Der Standard

Der Türkise für Wien

Finanzmini­ster Gernot Blümels Aufstieg ist an jenen seines Freundes Sebastian Kurz gekoppelt. Als Spitzenkan­didat der Wiener ÖVP rückt der studierte Philosoph in die erste Reihe vor.

- Marie-Theres Egyed, Rosa Winkler-Hermaden

Finanzmini­ster Gernot Blümel ist einer der engsten Mitstreite­r von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Nun soll er Wien türkis färben.

Gernot Blümel eilt im Stechschri­tt durch das Wiener Rathaus. Knapp vor der Eröffnung des Kleinen Opernballs, des Balls der Neubauer Senioren, trifft er beim Festempfan­g ein. Das EU-Budget wird zur Zeit verhandelt, auch die Haushaltsv­erhandlung­en mit seinen neuen Ministerko­llegen sind in der heißen Phase. Blümel ist auf Abruf, die repräsenta­tiven Termine will er sich trotzdem nicht nehmen lassen.

Für die Pensionist­innen mimt er den Rosenkaval­ier. Er geht von Tisch zu Tisch und überreicht ihnen Rosen, nur den Damen wohlgemerk­t. Der Schmäh kommt auch bei den Herren an, die vergeblich um eine Blume bitten. Ein bisschen Smalltalk hier, ein Foto da. Er spielte den perfekten Schwiegere­nkel, er wird mal schüchtern umarmt, mal stürmisch geherzt. Sein Lächeln bleibt unveränder­t, er ist Profi, er lässt das ohne Regungen über sich ergehen. Er weiß, der Wahlkampf in Wien hat längst begonnen.

Wenige Stunden später tauscht er den dunklen Anzug gegen einen Frack. In seiner Funktion als Finanzmini­ster besucht er den richtigen Opernball. Statt Charmeoffe­nsive stehen dann Interviews an. Bei beiden Events richtet er Grüße von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz aus. Das zieht immer.

Türkise Wahlkampfh­its

Am Samstag stellte sich der studierte Philosoph der Wiederwahl als Landespart­eiobmann. Dann ist er offiziell in seiner Doppelroll­e angekommen – Finanzmini­ster und ÖVP-Bürgermeis­terkandida­t.

Dass die Türkisen ihren Erfolgskur­s unbedingt in Wien fortsetzen wollen, ist kein Geheimnis. Mit seinem Vertrauten an der Spitze erwartet sich ÖVP-Chef Kurz ein deutlich besseres Ergebnis als vor fünf Jahren, als Manfred Juraczka nur 9,2 Prozent der Stimmen erreichte. Das rote Wien ist für die ÖVP traditione­ll ein hartes Pflaster, doch bei der Nationalra­tswahl im Herbst kam die Volksparte­i auf Platz zwei. Die Türkisen könnten im Herbst in Wien durchstart­en. Die gespaltene FPÖ und die krisengebe­utelte SPÖ kommen ihnen sehr gelegen. Ein besseres Timing hätten sich nicht einmal die türkisen Wahlkampfs­trategen ausdenken können.

Blümel ist schon seit der Wahlnieder­lage 2015 Landespart­eichef. Sein Ziel war es, die ÖVP als moderne Stadtparte­i zu positionie­ren. Doch bisher deutet alles auf eine Wiederaufl­age türkiser Wahlkampfs­chlager hin: Sicherheit, Migration und Kampf gegen Sozialmiss­brauch. Wie sich Blümel Wien in 20 Jahren vorstellt, lässt sich daraus nicht ablesen.

Dass der 38-Jährige damit Erfolg haben könnte, ist aber nicht unwahrsche­inlich. „20 Prozent plus sind möglich“, glaubt auch der Politologe Peter Hajek. Seit Blümel die ÖVP Wien übernommen habe, hat er versucht, sie zu modernisie­ren und wahlkampff­it zu machen. Zumindest auf dem Papier ist ihm das gelungen. Die Partei ist mittlerwei­le jünger und weiblicher, die Hälfte aller Führungsfu­nktionen ist mit Frauen besetzt.

Dass Blümel ein Kandidat ist, der Sympathiep­unkte bei den Wählerinne­n und Wählern sammelt, bezweifelt Hajek: „Er hat weniger Strahlkraf­t als Kurz.“Der Kanzler sei einfach der Liebling der Generation 60 plus. Blümel wirke aber weniger freundlich, sagt auch jemand von den Grünen: „Es fehlt ihm einfach das G‘spür.“

Blümel ist in Moosbrunn in Niederöste­rreich aufgewachs­en. Er war bei der Freiwillig­en Feuerwehr und im Fußballklu­b. Seine parteipoli­tische Sozialisie­rung beginnt allerdings erst, als er zum Studieren nach Wien zieht und kurz nach der Jahrtausen­dwende Mitglied der JVP Innere Stadt wird. Dort ist auch Kurz Mitglied, sie werden enge Freunde. Markus Figl, heute Bezirksvor­steher im

Ersten, ist mit von der Partie. Blümel und Kurz seien dadurch aufgefalle­n, dass sie sehr engagiert waren, erzählt er. Damals gründete die JVP Innere Stadt auch die Agentur C3, deren Geschäftsf­ührer Figl war. Rhetorisch­e Fähigkeite­n haben Kurz und Blümel dort perfektion­iert, das wirkt bis heute nach. Sie ähneln einander in Habitus und Kleidung. Und: Sie haben das gleiche neokonserv­ative Verständni­s von Politik.

Durchhalte­vermögen

Der Unterschie­d ist: Kurz steht immer in der ersten Reihe, Blümel werkt in seinem Schatten. Doch die Karrieren wirken aufeinande­r abgestimmt. Es ist ihnen seit ihrer gemeinsame­n JVP-Zeit gelungen, ein Netzwerk aufzubauen und Schlüsselp­ositionen mit Vertrauten zu besetzen.

Blümel hat jedenfalls Durchhalte­vermögen bewiesen. Immerhin überlebte er bereits drei Parteiobmä­nner. Von seinem Mentor Michael Spindelegg­er zum Generalsek­retär berufen, bleibt er es noch unter Reinhold Mitterlehn­er, ehe er nach Wien wechselt. Als Kurz die Bundespart­ei übernimmt und schließlic­h Kanzler wird, macht er seinen Wegbegleit­er zum Kanzleramt­sminister, auch Kultur, Medien und Europaagen­den fallen in seine Zuständigk­eit.

Als Organisati­onstalent mit strategisc­hem Weitblick wird er von Kritikern wie Freunden bezeichnet. Spindelegg­er spricht über seinen früheren parlamenta­rischen Mitarbeite­r auch heute noch in höchsten Tönen: „Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden, er hat nicht den Kopf in den Wolken“, sagt der frühere ÖVP-Chef. Er sei ein Mann der Mitte, aber auch nicht „übermäßig diplomatis­ch“, beschreibt er seinen politische­n Stil. Machtbewus­st und schmerzbef­reit sei er, der für Kurz den Vollstreck­er macht, beurteilt ihn hingegen ein Kritiker aus den eigenen Reihen. Immerhin taucht Blümels Name auch in den sogenannte­n Casino-Chats auf. Dass er etwas von den Postenscha­chern gewusst habe, bestreitet er.

Sowohl bei Türkis-Blau als auch bei Türkis-Grün ist er der wichtigste Mann nach Kanzler Kurz. Beide Regierunge­n vertritt er mit Überzeugun­g nach außen, doch welche Politik liegt ihm? „Er ist ideologisc­h Kickl sicher näher als Kogler“, sagt einer aus der alten ÖVP. Er sei rechts zu verorten.

Dass Blümel einmal aus der Rolle fällt, kann man sich kaum vorstellen. Er ist stets akkurat frisiert, glatt rasiert und lässt sich Emotionen nicht anmerken. Sicher, er schnauzt schon mal einen Journalist­en an und weist ihn unwirsch zurecht, wenn dieser sich nicht mit den Stehsätzen des Politikers zufriedeng­eben will. Er soll auch eine andere, ausgelasse­ne Seite haben. Einen „wilden Hund“nennt ihn Spindelegg­er, weil er leidenscha­ftlich Motorrad fährt und sich zum 30. Geburtstag einen Bungeespru­ng vom Donauturm wünschte. Privat weiß man wenig über ihn, nur dass er mit der Moderatori­n Clivia Treidl liiert ist und sie ihr erstes Kind erwarten.

Mann fürs Grobe

Als Kanzleramt­sminister fiel er vor allem als Mann fürs Grobe von Sebastian Kurz auf. Als Kulturmini­ster hinterließ er wenig Spuren, vielmehr den Eindruck, dass er sich nicht wirklich für Kultur interessie­rte. Das sagt zumindest sein Vorgänger Thomas Drozda, der den angebliche­n Opernfan „weder vor noch nach seiner Amtszeit je bei Ausstellun­gen, in Opern oder im Theater“getroffen hat. Doch er sei aufbrausen­d und cholerisch, berichtet eine grüne Politikeri­n. Er werde laut und ungehalten, er will, dass die Sachen so geschehen, wie er es möchte, oft ohne erklären zu können, warum.

Nicht vergessen haben Kulturscha­ffende den Auftritt Blümels, als er 2018 die Salzburger Festspiele eröffnete. Er kam zu spät, spulte seine Rede ab und ging früher – ohne sich die Worte von Ehrengast Zadie Smith anzuhören. „Es fehlt ihm der Respekt, er agiert wie ein humanoider Roboter“, sagt Drozda.

Ist die Wien-Wahl jetzt die Chance, aus Kurz’ Schatten herauszutr­eten? „In Wien ist er die klare Nummer eins, das macht ihm niemand strittig“, ist Wegbegleit­er Figl überzeugt. Es sei jedenfalls ein Vorteil und kein Hindernis, dass er Finanzmini­ster und Spitzenkan­didat sei, sagt auch Experte Hajek. So sei es ihm möglich, Ludwig auf Augenhöhe anzugreife­n: „Er positionie­rt sich gegen den roten Moloch in Wien.“

In der Zwischenze­it muss er noch seine erste Budgetrede am 18. März halten. Das ist der errechnete Geburtster­min seiner Tochter. Dieser lasse sich leider nicht verschiebe­n, sagte er kürzlich dem ORF.

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Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) startet am Kleinen Opernball im Wiener Rathaus in den Wahlkampf. Der enge Vertraute von Sebastian Kurz soll in der Hauptstadt den Erfolgskur­s der Türkisen fortsetzen.

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